Die Konzentration auf Werktexte und musikalisch-dramaturgische Strukturen, die für lange Zeit die Opernforschung bestimmte, ist in jüngerer Zeit durch Ansätze ergänzt, wenn nicht verdrängt worden, die darauf zielen, die 'facts of life' von Oper - die Umstände und Produktionsbedingungen, die Oper entstehen und zur Wirkung gelangen lassen - stärker in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses zu rücken. Daß den Sängern seit den Anfängen der Oper eine zentrale Bedeutung nicht nur für die Durchsetzung und Verbreitung von Werken, sondern vor allem auch bei deren Konzeption zukam, ist zwar allgemein bekannt, aber bislang erst in Ansätzen untersucht worden.
Der Titel 'per ben vestir la virtuosa' ('um die Sängerin gut einzukleiden') bedient sich einer Metapher, die in der Operngeschichte sehr beliebt war. Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Zitat aus einem Brief Johann Adolf Hasses an Giammaria Ortes, in dem er von einem Kollegen berichtet, der sich Mühe gegeben habe, eine Sängerin musikalisch gut einzukleiden. Als oberstes Gebot galt, daß ein Sänger mit der für ihn komponierten Musik zufrieden sein müsse, und das war in der Regel dann der Fall, wenn es einem Komponisten gelang, alle Eigenheiten eines Sängers, Stärken ebenso wie Schwächen, in seiner Werkkonzeption zu berücksichtigen. Zu diesen Eigenheiten gehören unter anderem der Gesamtambitus und die Tessitura (der zentrale Tonbereich eines Sängers), die Bevorzugung spezifischer Gesangsstile (etwa Parlando oder Kantilene), die Vorliebe für bestimmte Figurationen in melismatischen Passagen, aber auch für bestimmte Vokale oder Vokal-Konsonantverbindungen und nicht zuletzt stimmliche Ausdauer und Klangvolumen. Aus der Gesamtheit aller Momente ergibt sich ein 'Vokalprofil', das Auskunft über die individuelle Veranlagung von Sängern zu geben vermag.
Daraus, daß Komponisten ihre Werke auf das Vokalprofil spezifischer Sänger abstimmten, ergaben sich natürlich Konsequenzen für deren Aufführbarkeit. Nur dann, wenn ein Sänger mit dem gleichen oder einem sehr ähnlichen Vokalprofil zur Verfügung stand, konnte eine Opernpartie ohne Probleme aus ihrem ursprünglichen Aufführungskontext in einen anderen übertragen werden. Das war allerdings sehr häufig nicht der Fall, so daß sich vielfach die Notwendigkeit ergab, Rollen dem Können neuer Sänger so anzupassen, daß sie zu deren spezifischem Vokalprofil paßten. Manchmal genügten kleine Änderungen, etwa die Ersetzung allzu exponierter Töne durch harmonieeigene andere Töne ('Punktierungen'), oft waren Transpositionen notwendig, auch für den Austausch größerer Abschnitte bis hin zur kompletten Neukomposition einer Partie gibt es viele Belege. Durch die Orientierung an der wirkungsästhetisch begründeten Zentralstellung der Sänger blieb die Oper auf der - Wort und Musik vereinigenden - Ebene des Textes so lange ein offenes Kunstwerk, bis im Laufe des 19. Jahrhunderts auch für diese Gattung die Idee künstlerischer Geschlossenheit mehr und mehr an Bedeutung gewann. Ausführliche Informationen finden Sie unter www.editionargus.de
Aktualisiert: 2019-10-16
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Ziel des Buches ist es, die Diva - als Sängerin, als Bewunderte, als Star - in einem weiten Kontext zum Gegenstand systematischer wie historischer Untersuchungen zur Musikkultur des 19.und 20. Jahrhunderts zu machen. Sie wird hier als Protagonistin der Musik- beziehungsweise Kulturgeschichte betrachtet, als zentraler Bezugspunkt (musik-)kultureller Phänomene, und nicht - wie gerade in der Musikwissenschaft so oft - als Nebenfigur, deren Bedeutung sich lediglich aus ihrer Beziehung zu Entwicklungen der Gattungs- beziehungsweise Kompositionsgeschichte ableitet. Die Musiktheaterforschung hat die kulturellen Handlungszusammenhänge des Bühnenereignisses lange zugunsten einer an der Kategorie des Meisterwerks orientierten Analyse vernachlässigt, so daß erst seit wenigen Jahrzehnten die Bedeutung der Sängerinnen
und Sänger, ihre Tätigkeit und ihre Kommunikation mit dem Publikum stä in den Fokus des Interesses gerückt sind. Dabei sind Gender-Aspekte erst ansatzweise in den Blick genommen worden, obwohl sie sich geradezu aufdrängen.
Sowohl künstlerische Ausdrucksformen als auch Rezeptionsmodi des Publikums sind in der Musik nicht grundsätzlich von denen im Tanz, im Theater oder im Kino verschieden. Zahlreiche Werke insbesondere in der Epoche zwischen dem beginnenden 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sind auf weibliche Hauptpersonen ausgerichtet und erfüllen durch ihre Inhalte wie ihre musikalisch-dramatischen Strukturen das offenkundige Bedürfnis des Publikums, diese zu bewundern. Partituren, Dramentexte oder Drehbücher sind oft geradezu darauf zugeschnitten, den Protagonistinnen ideale Möglichkeiten für die Selbstinszenierung zu schaffen. Dieser Aspekt verbindet überdies die Sphären, die als 'Kunst' und 'Unterhaltung' zu trennen insbesondere in der Musikgeschichtsschreibung eine problematische Gepflogenheit ist. Begriff und Phänomen der Diva liefern mithin einen Ansatz, zentrale kulturelle Epochen und Zustände, Entwicklungen und Prozesse zu beschreiben. Was besagt das Phänomen der Diva und seine Rezeption über die kulturelle und soziale Rolle von Künstlerinnen, was über Umgangsweisen mit Musik, was über die Medialität einer Epoche? Was unterscheidet eine Kultur, in der es die Diva im engeren Sinne noch nicht gab, von dem Zeitalter Sarah Bernhards und Greta Garbos oder dem Mariah Careys und Anna Netrebkos?
Eine Frage, die sich durch eine Reihe der Beiträge dieses Bandes zieht, ist die nach der (Selbst-)Inszenierung der Diva auf dem Podium, in der Presse, der (Auto-)Biografik und der Ikonographie. In welchem Verhältnis stehen Privatleben und Inszenierung? Welche Rolle spielt die äußere Erscheinung für die Wahrnehmung der Diva? Besonderes Augenmerk wird weiterhin auf den Zusammenhang des Phänomens Diva mit der künstlerischen Tätigkeit des Singens gelegt: Sind für die Identifikation der Sängerinnen mit der Diva nur historische Gründe maßgeblich (da sich der Begriff an Sängerinnen herausgebildet hat und gewissermaßen daran haften blieb), oder prädestinieren spezifische Momente speziell die Sängerin für die Diven-Rolle, etwa die besondere Wirkung der - weiblichen? hohen? - Singstimme oder die durch die Anfälligkeit der Stimme bedingte 'Empfindlichkeit' der Sängerin?
Der Diva kommt im 19. Jahrhundert eine entscheidende Bedeutung nicht nur als Zentralfigur des öffentlichen Lebens und Adressatin öffentlich artikulierter Emotionen zu, sondern auch als Bezugspunkt von Musiktheater als Kunst: Die Oper ist auch die Bühne der sich selbst inszenierenden Diva. Werke des Musiktheaters werden nicht zuletzt auf diese Selbst-Inszenierungsmöglichkeiten hin konzipiert, was nicht nur die Gestaltung der Gesangspartien betrifft, die den Sängerinnen 'auf den Leib geschneidert' werden, sondern auch Personenkonstellationen und Eigenschaften beziehungsweise Charaktere der Figuren. Dabei ist zu erkunden, ob es individuelle Diven-Stars sind, die musikalisch-dramatisch inszeniert werden (wie in der Pariser und Wiener Operette) oder ob die Diva eher als Typus Eingang in eine Rolle und damit in das dramatische Konzept findet. Ausführliche Informationen finden Sie unter www.editionargus.de
Aktualisiert: 2023-04-20
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