Das Relief der Urschweiz von Franz Ludwig Pfyffer (1716-1802): 3D-Rekonstruktion, Analyse und Interpretation

Das Relief der Urschweiz von Franz Ludwig Pfyffer (1716-1802): 3D-Rekonstruktion, Analyse und Interpretation von Niederöst,  Jana
Das in vierzigjähriger Arbeit geschaffene und heute im Gletschergarten Museum in Luzern ausgestellte Relief der Urschweiz von Franz Ludwig Pfyffer von Wyher (1716-1802) ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer anschaulichen Landschaftsdarstellung und somit einer der Ausgangspunkte der modernen Kartographie. Dieses 6,7 m x 3,9 m grosse Werk mit dem verwinkelten Vierwaldstätter See im Zentrum entstand anhand von eigenen Vermessungen seines Luzerner Erbauers. Im unerforschten Alpinraum des 18. Jahrhunderts ist das 1786 fertiggestellte Relief zu einem „virtuellen Flug“ über das ausgedehnte Gelände geworden, zu einer internationalen Berühmtheit, von unzähligen namhaften Persönlichkeiten besucht und in zeitgenössischen Reiseberichten begeistert beschrieben. Nach der Jahrhundertwende wurde das Relief durch die Fortschritte in der Geodäsie und Kartographie in den Hintergrund gedrängt und das Interesse daran nahm allmählich ab. Seine vielfältigen Interpretationen, die weit über den topographischen Aspekt hinaus in politische, militärische und ästhetische Bereiche gehen, sind in ihrer ganzen Breite noch nie aufgezeigt und dokumentiert worden. Da beinahe alle schriftlichen Primärquellen zum Relief und dessen Schöpfer als verloren gelten, wird in der vorliegenden Arbeit das topographische Werk Pfyffers als Quelle behandelt. Mit den modernen Mitteln der Photogrammetrie und Bildverarbeitung wird ein präzises, massstabsgetreues 3D-Computermodell der Relieflandschaft erstellt. Im zweiten Schritt erfolgt die Entwicklung von Verfahren zur kartographischen Genauigkeitsanalyse. Durch die Anwendung dieser Methoden auf das virtuelle Relief sowie auf die zugehörigen Altkarten können neue Informationen zur Entstehungsgeschichte des Reliefs gewonnen werden. Anschliessend wird die Vermessungsweise von Pfyffer rekonstruiert, und seine Leistung wird in den komplexen Zusammenhängen der vermessungstechnischen und gesellschaftlichen Entwicklung jener Zeit gewürdigt. Zur digitalen 3D-Rekonstruktion des Reliefs der Urschweiz kommt das Verfahren der photogrammetrischen Stereoauswertung zum Einsatz. Das Objekt wird mit einer analogen sowie mit einer CCD-Kamera flächendeckend aufgenommen. Aufgrund der hohen Genauigkeitsanforderungen erfolgen die Phototriangulation sowie die Messung eines digitalen Höhenmodells (DHM) manuell an einem Analytischen Plotter. Wie die eingehenden Untersuchungen der Leistungsfähigkeit von automatischen Matching-Algorithmen zeigen, führen letztere zu vielen groben Fehlern und einem mittleren Höhenfehler, der weit über der Genauigkeit der manuellen Messung liegt. Das generierte DHM in einem interpolierten regelmässigen Rasterformat besteht aus etwa 256’000 Punkten und besitzt eine geschätzte Genauigkeit von 0,78 mm. Die mit einer hohen Auflösung gescannten analogen Bilder werden rechnerisch entzerrt und zu einem Mosaik zusammengesetzt. Durch die Überlagerung des DHMs mit dem Orthobild ergibt sich ein interaktives photorealistisches Modell, welches aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und in Echtzeit navigiert werden kann. Das virtuelle Relief kann einerseits als digitale Sicherheitsdokumentation im Falle grösserer Beschädigungen bei der Restaurierung beigezogen werden. Anderseits stellt es eine Basis für die weiteren umfassenden Messungen dar, die nun anstatt unmittelbar am detailreichen Original effektiv und komfortabel am Computer getätigt werden können. Im zweiten Hauptteil werden zunächst die grundlegenden Methoden zur Genauigkeitsanalyse von Altkarten und Reliefs in einer einheitlichen Terminologie zusammengestellt und evaluiert. Es zeigt sich, dass die wenigen in der Literatur dokumentierten Ansätze sich auf Karten beschränken; vergleichbare Untersuchungen im dreidimensionalen Raum liegen bis jetzt keine vor. Die wichtigsten beschriebenen Methoden basieren auf einer Koordinatentransformation zwischen den homologen Punkten in einer alten Aufnahme und in der modernen Karte. Dabei liegt das Schwergewicht der vorliegenden Arbeit - über die einfache Punkttransformation hinaus - in der Ableitung der metrischen Parameter einer Altkarte bzw. eines Reliefs. Insbesondere soll die 3D-Affintransformation erwähnt werden, bei welcher die Massstäbe, Rotationswinkel und Scherungen erstmals isoliert werden und deren Bedeutung aufgezeigt wird. Anschliessend wird ein Forschungsansatz zur Genauigkeitsanalyse von Altkarten und Reliefs hergeleitet und als benutzerfreundliche Software implementiert. Die Analyse beginnt mit der Vorbereitung von Eingangsdaten und der Definition von identischen Punkten. Nach einer geeigneten Transformation erfolgt die Georeferenzierung der alten Aufnahmen, bevor die Verzerrungsgitter erstellt werden. Zum Schluss wird mit einem neuen Verfahren die Genauigkeit der flächenförmigen Karten- bzw. Reliefobjekte ermittelt. Der dritte Hauptteil der vorliegenden Arbeit befasst sich mit der Interpretation der durch die Genauigkeitsanalyse erzielten Ergebnisse. Unter Berücksichtigung der 10 erhalten gebliebenen Briefe von Pfyffer an den Genfer Physiker und Geodäten Jacques-Barthélemy Micheli du Crest (1690-1766) wird Pfyffers Vorgehen bei den Winkel-, Distanz- und Höhenmessungen rekonstruiert. Zur Landesaufnahme griff Pfyffer auf das Verfahren der Triangulation zurück. Er richtete seine Werke mittels einer Kompassnadel aus, die zu jener Zeit um etwa 14,75 Grad von der geographischen Nordrichtung abwich. Daraus lässt sich auf den bisher unbekannten Beginn seiner Vermessungen schliessen (um 1747). Die mittleren Restfehler in X- und Y-Richtung betragen beim Relief sowie bei seinen zwei Übersichtskarten etwa 480 m. Am besten ist die Landschaft um die Stadt Luzern abgebildet, in den abgelegenen Gebieten nimmt die geometrische Qualität von Pfyffers Werken ab. Zur Höhenbestimmung setzte Pfyffer sowohl das Barometer als auch trigonometrische Verfahren ein. Die Meereshöhe seines Ausgangshorizonts - des Vierwaldstätter Sees - ermittelte er mit einer hervorragenden Genauigkeit von 6 m. Interessant ist auch die korrekte Benennung und präzise Vermessung einiger Gipfel der Berner Alpen (innerhalb 20 m), womit er zur Bewältigung einer der grössten wissenschaftlichen Herausforderungen in der Schweiz des 18. Jahrhunderts beitrug. Zum Schluss wird die vermessungstechnische Leistung Pfyffers mit dem damaligen „State of the Art“ in Europa verglichen. Es wird aufgezeigt, dass sich seine Grundrisserfassung mit den Arbeiten aus anderen Gebieten und Ländern durchaus messen kann. Seine Pioniertat waren die flächendeckenden Höhenmessungen. Mit dem Relief der Urschweiz sowie mit der Carte en Perspective du Nord au Midi (1786) leitete Pfyffer die neue Ära der kartographischen Höhenvermittlung ein.
Aktualisiert: 2019-12-30
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