Warum eine solche Handreichung?
Die Gemeinschaften im deutschsprachigen freireligiösen, unitarischen, humanistischen Raum verstehen sich mehrheitlich als Zusammenschlüsse von Laien. Alle Mitglieder haben Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht. Alle Gemeinschaften werden ehrenamtlich von demokratisch gewählten Gremien geleitet. Trotzdem wollten und wollen viele von ihnen nicht über festangestellte oder speziell ernannte Personen zur Betreuung und Durchführung von Veranstaltungen, vor allem bei Feiern im Lebenslauf, verzichten. Diese Sprecher*innen sind, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, bezüglich Grundlagenwissen, Fortbildung und Hilfe bei ihrer Tätigkeit weitgehend auf sich gestellt.
Als kleine Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verfügen wir in Deutschland nicht über eigene Ausbildungsmöglichkeiten und können daher Menschen, die sich für Sprechertätigkeiten interessieren, nicht auf solche verweisen. Fortbildungs- und Ausbildungsangebote gibt es im europäischen Raum wie auch in den USA. Sie können sehr hilfreich sein, allerdings nur für diejenigen, die Englisch können.
Vielfach geschieht die Einarbeitung, die mehr eine Ausbildung ist, direkt in der praktischen Tätigkeit. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile, wie ich bei mir selbst feststellte. Einerseits war es toll, sich so ganz selbstständig einbringen zu können, eigene Themen für Vorträge wählen zu können, neue Feierformen zu entwickeln und Ähnliches. Andererseits gab es Situationen, in denen ich mich gerne an andere gewandt hätte, um ihren Rat, ihre Unterstützung oder einfach nur ihr verständnisvolles Ohr zu bekommen. Sich allein zu fühlen mit der Verantwortung oder zu erkennen, wie wenig ich über diese oder jene Gemeinde wusste und dadurch eher unsicher und manchmal auch hilflos vor Konflikten zu stehen, das Gefühl zu haben, zu schwimmen und nichts sicher zu wissen, erlebte ich oft genug. Aber auch für die Gemeinschaften ist es selten leicht abzuschätzen, welche Person denn nun als Sprecher*in geeignet ist sowohl von ihrem Wissen als auch von ihrem Können, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten her.
Wer Glück hatte, wurde von älteren Kollegen, auch schon solchen im Ruhestand (hier gebrauche ich bewusst die männliche Form, denn es waren bei meinem Arbeitsbeginn 1977 nur männliche Kollegen da) freundlich und sorgfältig unterstützt. Oder jemand entstammte selbst aus dem Umfeld der Gemeinschaft, hatte vielleicht Religions- oder Lebenskundeunterricht gehabt, und kannte so schon die Inhalte und Tätigkeiten im Sprecher*innenamt zumindest von außen. Andere fanden oder finden erst von außerhalb der Gemeinschaften dazu und haben es dementsprechend schwer, sich mit allem vertraut zu machen.
Es gab in der 175-jährigen Geschichte der freireligiösen Gemeinden (ich nenne hier nur sie, da die humanistischen Gemeinschaften aus ihnen entspringen) immer wieder Ansätze, die früher meist „Predigeramt“ genannte Tätigkeit auf einen festen Boden von Inhalten und Ausbildung zu stellen. Ich erwähne hier den südwestdeutschen Predigerverband, der in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts versuchte, mit regelmäßigen gemeinsamen Treffen die Arbeit der einzelnen Sprecher zu koordinieren und Fortbildungen durchzuführen.
Auch nach 1945 gab es kollegiale Treffen und Versuche, mit gegenseitigen Vorträgen und gemeinsamen Diskussionen die Arbeit der fast immer einzeln tätigen Sprecher*innen zu unterstützen.
Nun trat in den letzten Jahren eine ganze Generation von Sprecher*innen in den Ruhestand, neue Personen rückten nach, andere Tätigkeitsformen entwickelten sich etwa im Berufsbild der Gemeindereferent*in, ehrenamtliche bzw. nebenberufliche Sprecher*innen übernehmen vermehrt bestimmte Tätigkeiten.
Bei aller Freude darüber, in einem Feld tätig sein zu können, in dem jemand weitgehend frei eigene Ideen und kreative Ansätze einbringen kann, merke ich wie andere, dass auch die neuen Sprecher*innen sich wünschen, eine feste Grundlage zu finden, von der aus sie ihre eigenen Vorstellungen entwickeln und verwirklichen können. In Ansätzen eine solche Grundlage zu geben und zur eigenen und hoffentlich auch gemeinsamen Fortbildung anzuregen, will ich mit dieser Handreichung anbieten. Sie beruht auf den Inhalten der Sprechertagungen, die ich als Präsidentin des DFW und ehemalige Landsprecherin der Freireligiösen Landesgemeinde Pfalz 2017 und 2018 mit haupt- und ehrenamtlichen Kolleg*innen gestaltete. Auch die Tagung 2020, die ich im Auftrag des DFW durchführte, fließt in ihren Ergebnissen in diese Handreichung ein.
Mein Dank gilt allen Kolleg*innen, die durch ihre Teilnahme an den Tagungen, durch Bereitstellung von Materialien und inhaltlichen Beiträgen erst diese Handreichung möglich machten.
Mit dieser Handreichung will ich ferner zur freireligiösen und humanistischen Lebenspraxis beitragen, denn Freiheit zu leben und zu verwirklichen geht nur im Miteinander und in einer regelmäßigen kritischen Selbstreflektion des eigenen Handelns. Nur so kann ich meiner Verantwortung gegenüber anderen, der Natur und mir gerecht werden.
Ich hoffe, dass ich alle, die zu dieser Handreichung greifen, dazu ermutigen kann, ihre Aufgaben mit Freude, Umsicht und Kreativität zu erfüllen und mit Sinn darin zu gestalten.
Aktualisiert: 2022-01-13
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