Nürnberg – München und zurück

Nürnberg – München und zurück von Grimm,  Nina V.
Dass das Wort „Einsamkeit“ in „Gemeinsamkeit“ steckt, spürt Anne Bindner schon seit längerer Zeit. Zwar gleicht ihr Leben auf den ersten Blick einer Erfolgsgeschichte – seit 25 Jahren ist sie mit ihrem beruflich erfolgreichen Mann verheiratet, hat drei Söhne auf die Welt gebracht, die Familie besitzt ein Haus und ist stolz auf den finanziellen Wohlstand, den sie sich gemeinsam erarbeitet hat –, ein tieferer Blick offenbart jedoch Risse in dieser Fassade: Aus Sicht Anne Bindners erschöpft sich ihre Existenz in weiten Teilen in ihren Rollen als fürsorgliche Mutter sowie brave Ehefrau und Büroangestellte ihres Mannes, Rollen, die von ihrer Familie als selbstverständlich erachtet werden und für die sie keine Wertschätzung mehr erfährt. Gleichzeitig spürt sie, dass sie mehr ist als das, dass es einen Teil in ihr gibt, der die Routine und Monotonie im Homeoffice und während der Haushaltsarbeiten hinter sich lassen will. Dieser Teil sehnt sich nach schöpferischem Spiel, Überraschung, Abenteuer und Leidenschaft. Als Sebastian Webknecht, ein Versicherungsmakler, mit dem sie geschäftlich telefoniert, in ihr Leben tritt, verändert sich alles für sie. In einer Fülle von Telefonaten, E-Mails und vor allem Chatnachrichten dehnen die beiden ihren Kontakt aus und kommen sich immer näher, ohne sich je persönlich gesehen zu haben. Hier findet Anne Bindner die Anerkennung, die ihr fehlt, erhält Komplimente und spürt die Kraft ihrer Wünsche wie unter einem Brennglas. Zwischen den beiden entsteht ein Sog aus Sympathie, Spontaneität, offenem Spiel und vor allem zunehmender sexueller Obsession. Die Erotik wird zum dominanten Akkord in der Melodie ihrer Verbindung. Bereits vor diesem Punkt steht die Frage im Raum, ob ihrer virtuellen Begegnung nicht auch eine persönliche folgen solle. Werden sich die beiden von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen? Werden ihre erotischen Phantasien in der Wirklichkeit aufgehen können, wird aus geschriebenem Wort auch nackte Tat? Und kann das vor dem Hintergrund einer grassierenden Pandemie überhaupt funktionieren? Nina V. Grimm beantwortet dies in ihrem Debütroman, der mehrere Entwicklungen ins Auge fasst, die sich gegenseitig durchdringen: Die Entwicklung einer virtuellen Bekanntschaft, für die ihre Protagonistin keinen Namen findet, vor dem Hintergrund der Entwicklung ihrer Ehe und schließlich auch Anne Bindners persönliche Entwicklung, die sie selbst als befreiend und emanzipatorisch erlebt. Dennoch bleibt es nicht aus, dass ihre geistige und körperliche Freizügigkeit immer wieder mit ihren Zweifeln und moralischen Bedenken kollidiert, gipfelnd in einem Satz, der den Roman wie ein Mantra grundiert: Wo soll das alles nur hinführen?
Aktualisiert: 2023-03-27
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Nürnberg – München und zurück

Nürnberg – München und zurück von Grimm,  Nina V.
Dass das Wort „Einsamkeit“ in „Gemeinsamkeit“ steckt, spürt Anne Bindner schon seit längerer Zeit. Zwar gleicht ihr Leben auf den ersten Blick einer Erfolgsgeschichte – seit 25 Jahren ist sie mit ihrem beruflich erfolgreichen Mann verheiratet, hat drei Söhne auf die Welt gebracht, die Familie besitzt ein Haus und ist stolz auf den finanziellen Wohlstand, den sie sich gemeinsam erarbeitet hat –, ein tieferer Blick offenbart jedoch Risse in dieser Fassade: Aus Sicht Anne Bindners erschöpft sich ihre Existenz in weiten Teilen in ihren Rollen als fürsorgliche Mutter sowie brave Ehefrau und Büroangestellte ihres Mannes, Rollen, die von ihrer Familie als selbstverständlich erachtet werden und für die sie keine Wertschätzung mehr erfährt. Gleichzeitig spürt sie, dass sie mehr ist als das, dass es einen Teil in ihr gibt, der die Routine und Monotonie im Homeoffice und während der Haushaltsarbeiten hinter sich lassen will. Dieser Teil sehnt sich nach schöpferischem Spiel, Überraschung, Abenteuer und Leidenschaft. Als Sebastian Webknecht, ein Versicherungsmakler, mit dem sie geschäftlich telefoniert, in ihr Leben tritt, verändert sich alles für sie. In einer Fülle von Telefonaten, E-Mails und vor allem Chatnachrichten dehnen die beiden ihren Kontakt aus und kommen sich immer näher, ohne sich je persönlich gesehen zu haben. Hier findet Anne Bindner die Anerkennung, die ihr fehlt, erhält Komplimente und spürt die Kraft ihrer Wünsche wie unter einem Brennglas. Zwischen den beiden entsteht ein Sog aus Sympathie, Spontaneität, offenem Spiel und vor allem zunehmender sexueller Obsession. Die Erotik wird zum dominanten Akkord in der Melodie ihrer Verbindung. Bereits vor diesem Punkt steht die Frage im Raum, ob ihrer virtuellen Begegnung nicht auch eine persönliche folgen solle. Werden sich die beiden von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen? Werden ihre erotischen Phantasien in der Wirklichkeit aufgehen können, wird aus geschriebenem Wort auch nackte Tat? Und kann das vor dem Hintergrund einer grassierenden Pandemie überhaupt funktionieren? Nina V. Grimm beantwortet dies in ihrem Debütroman, der mehrere Entwicklungen ins Auge fasst, die sich gegenseitig durchdringen: Die Entwicklung einer virtuellen Bekanntschaft, für die ihre Protagonistin keinen Namen findet, vor dem Hintergrund der Entwicklung ihrer Ehe und schließlich auch Anne Bindners persönliche Entwicklung, die sie selbst als befreiend und emanzipatorisch erlebt. Dennoch bleibt es nicht aus, dass ihre geistige und körperliche Freizügigkeit immer wieder mit ihren Zweifeln und moralischen Bedenken kollidiert, gipfelnd in einem Satz, der den Roman wie ein Mantra grundiert: Wo soll das alles nur hinführen?
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