Chiffre 567
Eine Kontakt-Anzeige, die Anfang 1950 in der Frauenzeitschrift Constanze erscheint, ist Ausgangspunkt für eine umfangreiche Korrespondenz, in deren Verlauf sich Christa Donath aus Leipzig und Erich Molke, Spätheimkehrer, wohnhaft in Recklinghausen, kennen und lieben lernen. Über einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr – unterbrochen von zwei persönlichen Begegnungen – teilen sich Christa und Erich per Brief durchschnittlich zweimal wöchentlich über die deutsch-deutsche Grenze hinweg alles mit, was sie bewegt.
Die Briefe
Im Wartezimmer einer Zahnarztpraxis liest Erich Molke, der im Oktober 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft zu seinen Eltern nach Recklinghausen zurückgekehrt war, folgende Annonce: „Mutiger Gegner für anregenden Federkrieg von lebensbejahender Endzwanzigerin gesucht. Chiffre 567“. Er schreibt und bekommt Antwort von Christa, Bürokraft in einem Anwaltsbüro in Leipzig. Das Verrückte an der Sache: Christa hat keine Anzeige aufgegeben. Ihre Freundin und Kollegin Ruth hat in der Constanze annonciert und so viele Zuschriften bekommen, dass sie einen Teil davon an Freundinnen und Bekannte weitergibt. Christa wird der Brief von Erich „zugeteilt“ und sie antwortet ihm.
Teil 1 des Buches erstreckt sich über den Zeitraum Februar bis August 1950. Man lernt sich kennen: Größe, Gewicht, Augenfarbe, berufliche Tätigkeiten und Ambitionen, Hobbies und Neigungen, persönliche Stärken und Schwächen, Beziehungen zu Freunden und Verwandten werden wechselseitig abgefragt und preisgegeben. Man findet sich sympathisch und schon bald nehmen die Schreiben den Charakter von Liebesbriefen an. Gegen Ende dieser Phase überrascht Christa ihren Erich mit dem Ergebnis eines graphologischen Gutachtens, das sie für sich selbst und auch für ihn in Auftrag gegeben hat. Die nicht besonders schmeichelhafte Expertise wird Quell zahlreicher Neckereien und ändert nichts an dem beiderseitigen Wunsch, sich endlich persönlich kennen zu lernen. Pläne werden erwogen, wie ein Besuch von Christa im Westen auf offiziellem Weg bewerkstelligt werden könnte. Dass die Behörden der DDR mitlesen, ist den beiden bewusst. Dass sich Christa für das heiß ersehnte Treffen am Ende doch für den illegalen Weg über die grüne Grenze entscheidet, erschließt sich nur zwischen den Zeilen.
Teil 2 umfasst den Zeitraum nach Christas Rückkehr zu den Eltern bis zu Erichs Besuch im Dezember 1950 in Leipzig. Zunächst wird die gemeinsame Zeit reflektiert, die im Rahmen des zweiwöchigen Aufenthaltes bei Verwandten von Christa aus Sicht der beiden Liebenden viel zu kurz ausfällt. In äußerst diskreten Andeutungen erfährt der aufmerksame Leser, wie nahe sich die beiden in den wenigen heimlichen Stunden der Zweisamkeit gekommen sind. Das Treffen bestärkt die beiden in ihrem Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft. Postalisch skizzieren sie in diesem Abschnitt ihre jeweiligen Vorstellungen von einem Leben zu zweit. Darüber hinaus erfährt der Leser von den organisatorischen Erfordernissen und den praktischen Hindernissen, die diesem Wunsch vor dem deutsch-deutschen Hintergrund im Wege stehen. Aber es klappt. Weihnachten 1950 kommt Erich nach Leipzig, hält um Christas Hand an, die Verlobung wird bekannt gegeben.
In der Zeit von Januar bis April 1951 gehen weitere Briefe hin und her, die in Teil 3 zusammengefasst sind. In diesen Monaten nach der Verlobung sind die Schreiben geprägt durch die große Sehnsucht nach einander sowie die riesige Vorfreude auf ein gemeinsames Leben. Es gilt, trotz der schlechten Versorgungslage im Osten die Vorbereitungen für die Hochzeit in Leipzig zu treffen, einen immensen „Papierkrieg“ zu bewältigen und die Hürden zwischen evangelisch und katholisch zu überwinden – und das alles per Brief. Am 30.4.1951 heiraten Christa und Erich in Leipzig und fahren anschließend zusammen in den Westen, womit diese Korrespondenz (leider) endet.
Aktualisiert: 2023-03-16
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