Mit seinem Gedichtband Grauzone morgens überraschte im Jahr 1988 ein 26jähriger Dichter aus Dresden – aus der damaligen DDR. Ein »Hineingeborener«, der von seinem Land sich nicht mehr poetische Aufbauhilfe abverlangen ließ, zog mit scharfgeschnittenen Momentaufnahmen aus dem »Ghetto einer verlorenen Generation« in den Metropolen des Sozialismus seine erste Bilanz – mit nüchternem Blick »in Augenhöhe«.
Mit seinem zweiten Gedichtband Schädelbasislektion hat Durs Grünbein den »stillen Aufruhr« poetischer »Zeitrafferaufnahmen« weitergetrieben. Die Tagträume in den Rissen des Alltags von damals sind benennbar geworden.
»Komm zu Dir Gedicht. Berlins Mauer ist offen jetzt. / Wehleid des Wartens. Langweile in Hegels Schmalland / Vorbei wie das stählerne Schweigen …«
Illusionslos und radikal hat Durs Grünbein in Schädelbasislektion seine Gedichtsprache fortentwickelt.
»Vielleicht war diese Stille nichts
Als die Halbwertszeit
Einzelner Wörter
In mir
Und wer bin ich:
Ein genehmigtes Ich,
Blinder Fleck oder bloßer Silbenrest
… (– ich)
Zersplittert und wiedervereinigt
Im Universum
Von Tag zu Tag,
Gehalten vom Bruchband der Stunden
Zusammengeflickt,
Stückweise
Und in Fragmenten
›I feel so atomized.‹«
Zeitgenossenschaft im Dialog mit der Tradition ist in den Gedichten von Durs Grünbein höchst gegenwärtig: Seine lyrischen Lektionen zur Jahrtausendwende haben die poetischen Gewißheiten an Ganglien und die Normen des Gereimten an Neuronen abgetreten.
Die Gedichte in Schädelbasislektion reagieren auf den Zerfall der Sprache in die geschwätzige Phrase – »zu jeder Schandtat bereit« –; auf den schmerzhaften Verlust des seiner nicht mehr selbst gewissen Ich; auf mörderische Großstadteinsamkeit und die Zerstörung der sozialistischen Ikonen. Die Gedichte von Durs Grünbein sezieren die Auflösung des modernen Ich:
»Was Du bist steht am Rand / Anatomischer Tafeln.«
Der Mensch und der Dichter: Ein »metaphysisches Tier«.
Die Liebe: »Auf der Zunge zergangen, lösche
Aktualisiert: 2023-04-05
> findR *
Mit seinem Gedichtband Grauzone morgens überraschte im Jahr 1988 ein 26jähriger Dichter aus Dresden – aus der damaligen DDR. Ein »Hineingeborener«, der von seinem Land sich nicht mehr poetische Aufbauhilfe abverlangen ließ, zog mit scharfgeschnittenen Momentaufnahmen aus dem »Ghetto einer verlorenen Generation« in den Metropolen des Sozialismus seine erste Bilanz – mit nüchternem Blick »in Augenhöhe«.
Mit seinem zweiten Gedichtband Schädelbasislektion hat Durs Grünbein den »stillen Aufruhr« poetischer »Zeitrafferaufnahmen« weitergetrieben. Die Tagträume in den Rissen des Alltags von damals sind benennbar geworden.
»Komm zu Dir Gedicht. Berlins Mauer ist offen jetzt. / Wehleid des Wartens. Langweile in Hegels Schmalland / Vorbei wie das stählerne Schweigen …«
Illusionslos und radikal hat Durs Grünbein in Schädelbasislektion seine Gedichtsprache fortentwickelt.
»Vielleicht war diese Stille nichts
Als die Halbwertszeit
Einzelner Wörter
In mir
Und wer bin ich:
Ein genehmigtes Ich,
Blinder Fleck oder bloßer Silbenrest
… (– ich)
Zersplittert und wiedervereinigt
Im Universum
Von Tag zu Tag,
Gehalten vom Bruchband der Stunden
Zusammengeflickt,
Stückweise
Und in Fragmenten
›I feel so atomized.‹«
Zeitgenossenschaft im Dialog mit der Tradition ist in den Gedichten von Durs Grünbein höchst gegenwärtig: Seine lyrischen Lektionen zur Jahrtausendwende haben die poetischen Gewißheiten an Ganglien und die Normen des Gereimten an Neuronen abgetreten.
Die Gedichte in Schädelbasislektion reagieren auf den Zerfall der Sprache in die geschwätzige Phrase – »zu jeder Schandtat bereit« –; auf den schmerzhaften Verlust des seiner nicht mehr selbst gewissen Ich; auf mörderische Großstadteinsamkeit und die Zerstörung der sozialistischen Ikonen. Die Gedichte von Durs Grünbein sezieren die Auflösung des modernen Ich:
»Was Du bist steht am Rand / Anatomischer Tafeln.«
Der Mensch und der Dichter: Ein »metaphysisches Tier«.
Die Liebe: »Auf der Zunge zergangen, lösche
Aktualisiert: 2023-03-29
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Aktualisiert: 2023-04-03
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Aktualisiert: 2023-04-15
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