Der Literatur- und Musikwissenschaftler Sebastian Kiefer behauptet seit Jahren eine solitäre Stellung in der deutschsprachigen Publizistik: Er entwickelte eine eigene Kunst des minutiösen Lesens und versucht dabei zu zeigen, dass die Ansprüche an poetische Sprache und Erfahrung, wie sie Goethe, Hölderlin oder Eichendorff hegten, heute nur in avancierten Texten lebendig wiederholt oder neu formuliert werden können.
„Lesen“ in Kiefers Sinn ist das Gegenteil des konventionellen „Interpretierens“: Es geht nicht um das Extrahieren angeblicher dichterischer Aussagen – denn alles, was man über die Welt oder über sich selbst sagen kann, lässt sich auch ohne Kunst sagen. Genuin poetische Erfahrungen von Ich, Welt und Sprache können nur im Mit- und Gegeneinander verschiedener Arten von Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen im praktischen Lesen gemacht werden. Lesen ist für Kiefer die Kunst, diese verschiedenen geistigen Aktivitäten zu verfeinern, beobachten und erleben zu können. Kenntnis der historischen Sprechweisen und Erkenntnisbegriffe ist dazu ebenso unerlässlich wie eine Verfeinerung der Aufmerksamkeit für das Spiel der Empfindungen und die Nuancen der sich zeigenden Phänomene. Die hierorts versammelten Aufsätze folgen Kiefers Lektürebewe- gungen in seinen zentralen Untersuchungen von Texten deutscher Klassiker bis zur Neoavantgarde (Reinhard Priessnitz, Ferdinand Schmatz, Ulrich Schlotmann u.a.). Hommagen von Autor*innen, deren ästhetische Positionen für Sebastian Kiefer Relevanz besitzen – zu einigen von ihnen hat er richtungsweisende Publikationen vorgelegt –, komplettieren den Band.
Aktualisiert: 2023-06-26
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Der Literatur- und Musikwissenschaftler Sebastian Kiefer behauptet seit Jahren eine solitäre Stellung in der deutschsprachigen Publizistik: Er entwickelte eine eigene Kunst des minutiösen Lesens und versucht dabei zu zeigen, dass die Ansprüche an poetische Sprache und Erfahrung, wie sie Goethe, Hölderlin oder Eichendorff hegten, heute nur in avancierten Texten lebendig wiederholt oder neu formuliert werden können.
„Lesen“ in Kiefers Sinn ist das Gegenteil des konventionellen „Interpretierens“: Es geht nicht um das Extrahieren angeblicher dichterischer Aussagen – denn alles, was man über die Welt oder über sich selbst sagen kann, lässt sich auch ohne Kunst sagen. Genuin poetische Erfahrungen von Ich, Welt und Sprache können nur im Mit- und Gegeneinander verschiedener Arten von Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen im praktischen Lesen gemacht werden. Lesen ist für Kiefer die Kunst, diese verschiedenen geistigen Aktivitäten zu verfeinern, beobachten und erleben zu können. Kenntnis der historischen Sprechweisen und Erkenntnisbegriffe ist dazu ebenso unerlässlich wie eine Verfeinerung der Aufmerksamkeit für das Spiel der Empfindungen und die Nuancen der sich zeigenden Phänomene. Die hierorts versammelten Aufsätze folgen Kiefers Lektürebewe- gungen in seinen zentralen Untersuchungen von Texten deutscher Klassiker bis zur Neoavantgarde (Reinhard Priessnitz, Ferdinand Schmatz, Ulrich Schlotmann u.a.). Hommagen von Autor*innen, deren ästhetische Positionen für Sebastian Kiefer Relevanz besitzen – zu einigen von ihnen hat er richtungsweisende Publikationen vorgelegt –, komplettieren den Band.
Aktualisiert: 2023-06-26
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Der Literatur- und Musikwissenschaftler Sebastian Kiefer behauptet seit Jahren eine solitäre Stellung in der deutschsprachigen Publizistik: Er entwickelte eine eigene Kunst des minutiösen Lesens und versucht dabei zu zeigen, dass die Ansprüche an poetische Sprache und Erfahrung, wie sie Goethe, Hölderlin oder Eichendorff hegten, heute nur in avancierten Texten lebendig wiederholt oder neu formuliert werden können.
„Lesen“ in Kiefers Sinn ist das Gegenteil des konventionellen „Interpretierens“: Es geht nicht um das Extrahieren angeblicher dichterischer Aussagen – denn alles, was man über die Welt oder über sich selbst sagen kann, lässt sich auch ohne Kunst sagen. Genuin poetische Erfahrungen von Ich, Welt und Sprache können nur im Mit- und Gegeneinander verschiedener Arten von Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen im praktischen Lesen gemacht werden. Lesen ist für Kiefer die Kunst, diese verschiedenen geistigen Aktivitäten zu verfeinern, beobachten und erleben zu können. Kenntnis der historischen Sprechweisen und Erkenntnisbegriffe ist dazu ebenso unerlässlich wie eine Verfeinerung der Aufmerksamkeit für das Spiel der Empfindungen und die Nuancen der sich zeigenden Phänomene. Die hierorts versammelten Aufsätze folgen Kiefers Lektürebewe- gungen in seinen zentralen Untersuchungen von Texten deutscher Klassiker bis zur Neoavantgarde (Reinhard Priessnitz, Ferdinand Schmatz, Ulrich Schlotmann u.a.). Hommagen von Autor*innen, deren ästhetische Positionen für Sebastian Kiefer Relevanz besitzen – zu einigen von ihnen hat er richtungsweisende Publikationen vorgelegt –, komplettieren den Band.
Aktualisiert: 2023-06-26
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Maria Lassnig zählt zu den bedeutendsten Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts. Ihr erstes eigenes Atelier hatte sie in Klagen- furt, hier begann ihre Weltkarriere. Vom Atelier aus, „ein improvi- sierter Nachkriegssalon“ großer Strahlkraft, erkundet dieses Buch Aspekte der Kunst und des Lebens der Künstlerin: „Eine Hommage an Maria Lassnig aus dem Land ihrer Herkunft, das sie nur selten Heimat nannte.“ Landschaft ist der Schlüssel, der das Buch in drei Abschnitte gliedert.
Im ersten Abschnitt 'Landschaft des Notwendigen: Ort – Zeit – Bild – Wort' wird Lassnigs erstes Atelier als ORT des Anfangs vorgestellt und in seine ZEIT gefügt. Danach tritt ein BILD-theoretischer Text in die Landschaft; auch Maria Lassnigs Literatur findet sich ein: das WORT.
Im Abschnitt 'Landschaft Meisterklasse' kommen Schüler und Schülerinnen aus der Lassnig-Meisterklasse, heute arrivierte Per- sönlichkeiten in der Kunst, zu Wort. „Meisterschüler sein ist eine Lebensaufgabe.“
Der dritte und letzte Abschnitt 'In die Nähe und in die Ferne gehen' widmet sich Begegnungen in der Zusammenarbeit mit Maria Lassnig – die Filmkamera tritt auf. Danach folgen die Textminiaturen 'Momente der Nähe'. Freundschaften und andere Abneigungen kommen zur Sprache: einzelne, die in die Ferne gehen, aber auch solche in den Nachbarhäusern des Ateliers. „Sie kämpfte für ihre Kunst, der sie alles unterwarf.“
Zu den Autoren und Autorinnen des Buches – unter ihnen auch die Herausgeberin – gehören WissenschafterInnen der Universität Klagenfurt, Künstlerinnen und Künstler aus der Meisterklasse Maria Lassnig; außerdem Menschen, die dieser Künstlerin und ihrem Werk verschiedentlich nahestanden.
Aktualisiert: 2023-05-18
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Maria Lassnig zählt zu den bedeutendsten Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts. Ihr erstes eigenes Atelier hatte sie in Klagen- furt, hier begann ihre Weltkarriere. Vom Atelier aus, „ein improvi- sierter Nachkriegssalon“ großer Strahlkraft, erkundet dieses Buch Aspekte der Kunst und des Lebens der Künstlerin: „Eine Hommage an Maria Lassnig aus dem Land ihrer Herkunft, das sie nur selten Heimat nannte.“ Landschaft ist der Schlüssel, der das Buch in drei Abschnitte gliedert.
Im ersten Abschnitt 'Landschaft des Notwendigen: Ort – Zeit – Bild – Wort' wird Lassnigs erstes Atelier als ORT des Anfangs vorgestellt und in seine ZEIT gefügt. Danach tritt ein BILD-theoretischer Text in die Landschaft; auch Maria Lassnigs Literatur findet sich ein: das WORT.
Im Abschnitt 'Landschaft Meisterklasse' kommen Schüler und Schülerinnen aus der Lassnig-Meisterklasse, heute arrivierte Per- sönlichkeiten in der Kunst, zu Wort. „Meisterschüler sein ist eine Lebensaufgabe.“
Der dritte und letzte Abschnitt 'In die Nähe und in die Ferne gehen' widmet sich Begegnungen in der Zusammenarbeit mit Maria Lassnig – die Filmkamera tritt auf. Danach folgen die Textminiaturen 'Momente der Nähe'. Freundschaften und andere Abneigungen kommen zur Sprache: einzelne, die in die Ferne gehen, aber auch solche in den Nachbarhäusern des Ateliers. „Sie kämpfte für ihre Kunst, der sie alles unterwarf.“
Zu den Autoren und Autorinnen des Buches – unter ihnen auch die Herausgeberin – gehören WissenschafterInnen der Universität Klagenfurt, Künstlerinnen und Künstler aus der Meisterklasse Maria Lassnig; außerdem Menschen, die dieser Künstlerin und ihrem Werk verschiedentlich nahestanden.
Aktualisiert: 2023-05-18
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„lassen“, der erste Katalog von Sigrid Friedmann und Ulrich Kaufmann, gibt Einblick in 20 Jahre individuellen und gemeinsamen Schaffens. Der Duo-Werkkatalog dokumentiert Licht-, Raum- und Videoinstallationen, Filme, Inszenierungen, Kunst im öffentlichen Raum und Performances. „lassen“ beschreibt in Verbindung mit anderen Worten immer einen Prozess des aktiven Zulassens. Es geht um die Kunst, im richtigen Moment nichts zu tun, um etwas entstehen zu lassen. Tun und lassen. Ein Entscheidungsprozess, der in den Arbeiten von Friedmann und Kaufmann eine wesentliche Rolle spielt.
Sigrid Friedmann interpretiert die Materialien um, sie enthebt sie ihrer eigentlichen Bedeutungen und Aufgaben und erfindet sie neu. Ulrich Kaufmanns Arbeiten beziehen sich meist auf ihn selbst und lassen den Betrachter*innen Platz sich darin wiederzuerkennen. Poetisch sind seine Arbeiten und still. Gemeinsam verwandeln Friedmann und Kaufmann Räume in Klang- und Videoinstallationen. Die Arbeiten können als eine Einladung verstanden werden, der Suche nach dem Sinn eine Pause zu gönnen.
Aktualisiert: 2023-05-15
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Die Privatgelehrte Mimi La Whipp beschäftigt sich mit einer „Theorie von Allem“ und hofft auf eine Maschine zur Verbesserung der Welt, die „wir alle“ sind. Ihre Geschichte gibt den Rahmen für mannigfaltige Ausführungen zum „St. Immerleinstag“, zur Verwandtschaft der Unarten, zu „melancholischen Wolken“ oder „Klebseria-Bakterien“ sowie zur Frage, ob man Biber und Baum zugleich lieben kann. Zu den Hauptfiguren gehören weiters „Mein Spatz“, der oder die in einem Essigkrug geboren wurde und sich für die Mitarbeit an diesem Text beworben hat, die literarische und die psychologische Beraterin der Autorin und auch diese selbst, die uns lesend am Konzeptionieren ihres Buchs teilnehmen lässt. Im virtuosen Spiel mit Fakt und Fiktion kommen Mechanismen von Mikrogesellschaften, Möglichkeiten des horizontalen Austauschs von genetischem Material ebenso wie literarische Strategien für den Publikumserfolg zur Sprache. Meisterinnenhaft führt Ilse Kilic unterschiedliche Textsorten und Realitätsebenen zu einem vielstimmigen Buch zusammen und schärft mit gewitzten Einfällen und lakonischem Humor unsere Sinne und den Widerstandsgeist gegenüber so manchen Skurrilitäten heutiger Wirklichkeit.
Aktualisiert: 2023-04-27
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Plattform eins versammelt drei Prosatexte, die aus unterschiedlichem Blickwinkel alltäglichen Schrecken beleuchten. Ein Erzähler schweift wie mit einem Kameraauge ausgestattet über Straßen und Hinterhöfe, „schaut“ durch Fenster in Wohnungen und schildert von Gewalt und Zerstörung geprägte Situationen. Ein Mann und eine Frau offenbaren in alternierenden Monologen den Zustand ihrer Beziehung als paranoides Gezerre um den Zugang zu Küche und Wohnzimmer. Die selbstaffirmativen Reflexionen eines Mannes schließlich künden von finaler Erstarrung und sozialer Isolation. Feindseligkeit und Ignoranz beherrschen den öffentlichen, Argwohn und Abkapselung den privaten Raum. Robert Stähr wählt zur Darstellung solcher Befindlichkeit präzise kalkuliert stilistische Register: einen unterkühlten Beschreibungsmodus, Gesten rauschhafter Subjektivität oder eine raffinierte Dramaturgie der Spiegelung. Ein dichtes Netz an Korrespondenzen, das sich über die drei Texte spannt, macht die Dimension psychosozialer Desaster evident. Mit Plattform eins schrieb Robert Stähr ein auf faszinierende Weise gegenwärtiges Prosabuch!
Aktualisiert: 2023-04-27
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Ein Anfang an der Supermarktkasse, ein Gedrängel um Plätze, das sich wie anderes nach seriellem Prinzip wiederholen wird. Tage laufen ab zwischen Besorgungen und Beobachtungen, nebenbei findet ein Krieg statt, der Preise und Verhalten verändert. Medial Vermitteltes fließt durch manche intime Vergegenwärtigung des Erzählers, zu dessen lebenserhaltenden Routinen neben Lesen und Schreiben das Zwiegespräch mit einer oder mehreren anderen gehört: gewesenen und gegenwärtigen Geliebten oder Konkurrent:innen im Feld der Sprachkunst vielleicht. Konkretes Handeln verschwindet nahezu hinter dem Vorhang aus zitierten Fakten und sich bisweilen mit der Außenwahrnehmung verschmelzenden Jugend- und Familienerinnerungen. Dazwischen geschliffene Notate zum dis- paraten Sein eines sonstwo Übriggebliebenen, wo Anschluss an eine zunehmend retrograde Betriebsumgebung als Option wenig erstrebenswert erscheint. Der in der Partystadt Lebende zeigt sich als feinnerviger Analyst sozialer Distinktion in einer Zeit rasant wechselnder pseudo-egalitärer Marktdiktate. Dem Aktualitätsgetue zeitnaher Literaturprodukte setzt ralf b. korte die Schlüssigkeit einer an den Avantgarden geschärften Redeweise entgegen.
Aktualisiert: 2023-04-27
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Warum dreht sich am Äquator die Erde schneller? Wofür wurden Aquädukte gebaut? Max Höfler hat die Antworten parat: Es sind die Beschleunigungskräfte des flotten Springbocks und des zackigen Impalas, die den Untergrund zum Rotieren bringen, und in den Hochleitungen sollte einst der Lambrusco und Veltliner für die Haute Volée rinnen. Es sind die Fragen des Trivial Pursuit-Spiels, die sich Höfler in Alles über alles als Ausgangspunkt für Mutmaßungen über die Beschaffenheit der Welt hernimmt, streng formelhaft und stets als Gegenfrage formuliert. Der Kanon weitgehend nutzlosen Wissens ist als Unterscheidungsmerkmal sogenannter Eliten funktionslos geworden. Max Höfler lässt dieses in grotesken „Erklärungen“ verpuffen und treibt dessen Trägern die Bildungsdünkel aus. Eine hybride Kunstsprache, die sich der kreativen Energie der Idiome von Halbstarken, kleinbürgerlichen Poseuren und Sprücheklopfern des Privat-TV zunutze macht, usurpiert das Pädagogendeutsch des Gesellschaftsspiels. Neuseeländische Kampfschafe und Berserker-Pinguine machen sich über das Thema Postfaktizität her und diverse, uns Lesende aufs Korn nehmende Clickbaits und Bilder stellen Hierarchien von Wissensgenerierung bloß. Alles über alles bietet ebenso extravagante Unterhaltung wie deren Dekonstruktion, und noch mehr: Wenn der Enzyklopädist die Herkunft der roten Farbe der Golden Gate Bridge mit dem Blutzoll, den die Arbeiter bei deren Errichtung zahlten, erklärt, tippt er Wis- sensformationen an, die nicht nur beim trivialen Party-Spiel unter den Tisch gekehrt werden.
Aktualisiert: 2023-04-27
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Rätselhafte Begegnungen mit Nachbarn, mit einer „Geschützabwerferin“, Beobachtungen von driftenden Passant:innen und strauchelnden Tauben lassen Versehrtheiten spürbar werden, die (auch buchstäblich) vom Zupflastern individueller Spielräume herrühren. Was landläufig als vertraut und unproblematisch wahrgenommen wird, ein akkurat eingerichteter Park, nachträglich gepflanzte Alleen, gerasterte Wohnviertel, offenbart sich in Franziska Füchsls Die Straßen sind sichtbar als heikel, wird gerade darin die strukturelle Feindseligkeit einer allgegenwärtigen Zurichtungsmaschinerie sichtbar. Die Erzählerinnen versuchen, sich gegenüber solchen Umgebungen so etwas wie Souveränität zu bewahren: einerseits durch eine Sicht auf die Welt aus dem Tiefparterre, andrerseits anhand eines überraschenden sprachlichen Zugriffs auf die Dinge und Zustände nach dem eigenen Augenschein. Losgelöst aus gewohnten Begriffsbahnen verbinden sich Wörter und Wendungen auf neue Art, schlagen Wurzeln und verbinden im poetischen Bild Mensch mit Baum, mentale Vorgänge mit physischer Natur, verschalten Außenwahrnehmung mit Innensicht. Franziska Füchsls Erzähl-Dichtungen lassen solcherart die Narben und klaffenden Wunden heutigen Lebens im systemischen Zusammenhang erkennbar werden.
Aktualisiert: 2023-04-27
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Gerhard Rühm bezeichnet die Zahl als reduziertestes und zugleich universellstes, intermedial übertragbares Gestaltungselement. Seit Mitte der 1950er Jahre wählte der Autor Zahlwörter und Ziffern als Material für zahlreiche Arbeiten, v.a. der auditiven und visuellen Poesie, die hier erstmals gesammelt und großenteils im Erstdruck vorliegen. Aufs Papier gebracht z.B. als Schreibmaschinenideogramm, Schriftzeichnung, in der Collage von Alltagsdokumenten oder in unterschiedlichsten literarischen Formaten gewinnen Zahlen und Zahlenkonstellationen thematische Prägnanz aus der jeweiligen Gestaltungsweise. Als gerecht, verunglückt, geträumt oder mystisch betitelte Rechnungen übersetzen arithmetisches Vokabular in lebensweltliche, existentielle oder kosmische Vorstellungsbereiche.
Die Verwandtschaft der Wörter „zählen“ und „erzählen“ akzentuiert Rühm in modellhaften „Erzählungen“: vom Lebenslauf als Liste zu- und abnehmender Körpergröße in Zentimetern bis zur Geschichte des Universums im verkleinerten Maßstab eines Erdjahres: vom Urknall am 1.1. bis zur Mondlandung in den letzten Sekunden vor Silvester Mitternacht.
Aus der genuinen Verbindung von Zahl und Rhythmus entwickelt der Autor vielfältige sprachmusikalische Konzepte. Durch die Freisetzung der sinnlichen Qualitäten der Numeralia subvertieren Rühms exakt kalkulierte Dichtungen unsere durch maßlose Steigerung und lückenloses Controlling geprägten Zahlen- und Lebensumgebungen. Gerhard Rühms Zahlendichtungen erweisen sich in der Zusammenschau als das facettenreichste, vergnüglichs- te und brisanteste Corpus innerhalb dieses Genres heute.
Aktualisiert: 2023-04-27
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Von Prosa- und Dialogsplittern begleitete Gedichte erschaffen eigentümliche Welten, in denen sich alle Grenzen aufheben: zwischen Menschen und anderen belebten und unbelebten Natur- erscheinungen, aber auch dem Übernatürlichen in Gestalt von Göttern und Dämonen. Bäume, Flüsse, Tiere: ein jedes spricht für sich und ist zugleich Teil eines zentrumslosen Ganzen, einer Wilderness, deren Gesetze sich als weit wirkmächtiger erweisen als menschliche Macht- und Tauschwertlogik. Zur Überschreitung herkömmlichen Verstehens tendiert auch Pessls Sprachform, deren kühne Wortprägungen und -verbindungen die Zügellosigkeit der vitalen und vegetativen Sphären ins Recht setzen. Unüberhörbar sind in Peter Pessls Anti-Bukolik Störgeräusche einer in Auflösung begriffenen Zivilisation, deren Vereinnahmung ein fluktuierendes Ich zu entgehen versucht. Peter Pessls Gasthaus der Wilderness ist ein Buch poetischer Entfesselung und Opulenz, das sich mit Nachdruck Konventionen von Verständigungsliteratur entzieht.
Aktualisiert: 2023-03-29
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Rosa Pock legt nach zweieinhalb Jahrzehnten eine Fortsetzung ihres Prosabandes Ein Halbjahr im Leben einer Infantin vor. Jour- nalartige Einträge wie Traumprotokolle, Mikroerzählungen oder (Selbst-)Beobachtungen rufen unsere Existenz betreffende Themen auf, die von der Philosophie heute nur noch am Rande behandelt werden. Die Dynamik des Textes resultiert aus intensivem Begeh- ren – im ersten Teil auf einen als „Narren“ bezeichneten charis- matischen Nonkonformisten konzentriert – und findet Ausdruck in stetem Neu-Ansetzen, Einsicht in die Ordnung der Dinge und Mechanismen der Sprache zu gewinnen und diese mit der Frage „Wie kann man leben?“ zu verbinden. Im Lauf der beiden „Halbjah- re“ durchmisst die Infantin gleichsam als „Sprechmaschine“ einen ebenso individuellen wie universalen Denk- und Empfindungs- raum zwischen Kunst, Wissenschaft und Entgrenzung. Rosa Pock gelingt in ihrem neuen Buch die Komplettierung eines grandiosen poetisch-philosophischen Werks von verblüffender Prägnanz und feinem Humor.
Aktualisiert: 2023-02-27
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Von Juni 2018 bis Oktober 2021 veranstaltete Toni Kleinlercher in seinem Wiener Studio die Ausstellungsreihe PRIVATE VIEWING. 12 Künstler:innen waren eingeladen, in Kontext mit jeweils einer Arbeit aus Kleinlerchers Werkfundus zu treten, was in der Folge zu 12 Dialogausstellungen führte. Der formale Rahmen der Präsentationen war klar strukturiert, die Inhalte aber gänzlich offen. Zwei gegenüberliegende Wände und ein Tisch in der Mitte des Raumes standen zur Bespielung zur Verfügung. Inhaltlich galt es herauszufinden, mit welchen Arbeiten man das konzeptionell vorgegebene Dialoghafte in der Präsentation verwirklichen konnte, wobei nicht von vornherein klar war, wie man den Begriff „Dialog“ auslegen möchte – als Untersuchung, Erhebung, Begegnung, Diskurs,Austausch, dialektische Gegenüberstellung. Textbeiträge von 12 Autor:innen erweiterten und ergänzten die Präsentationen. Sie wurden zum Einen visuell bzw. performativ in die Ausstellung integriert und zum Anderen als Eröffnungsrede vor Publikum vorgetragen.
Mit Beiträgen von Johann Berger, Maria Bussmann, Julius Deutschbauer, Paul Divjak, Harald Gsaller, Vasja Nagy-Hofbauer, Eric Moinat, Alexandra Reill, Wolfgang Koch, Paul Albert Leitner, Christoph Luger, Mitsuku Aka Kuki, Peter Moosgaard, Jeanette Müller, Gerald Nestler, Thomas Raab, Alexandra Reill, Georg Salner, Jeannot Schwartz, Günther Selichar, Lisa Spalt, Christian Steinbacher, Gisela Steinlechner, Gerhard Zeillinger.
Aktualisiert: 2022-12-15
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Li Mollets später ist ein Buch über Zeit und Raum, ein Panorama von Wandel und Vergehen. Gleichsam um der Flüchtigkeit Einhalt zu gebieten, ist der Text streng nach Plan in einhundertundvier Abschnitte gegliedert, die stets mit einer Notiz zum Interieur der Schreib- und Wohnstatt beginnend die Innen- und Mitwelt einer schreibenden Ich-Figur sprachlich in Szene setzen: Vegetation und Witterung, Klänge und Geräusche, die Beobachtung eines Kindes, Träume, Gespräche oder Bemerkenswertes, das anderen widerfährt, werden nach Prinzipien der Analogie oder kontrapunktisch zu annähernd gleich langen Sequenzen zusammengefügt.
Li Mollet ist eine Meisterin der Verknappung: Lebensentwürfe werden komprimiert zu einem einzigen Satz, und in scheinbar Nebensächlichem entfalten sich epochale Atmosphären. Ihr Prosa- buch später gibt auf herz- und geisterfrischende Art Auskunft, wie Empfinden und Anschauung des Einzelnen von der ökonomischen Weltwetterlage draußen mitgeprägt werden und welche inspirieren- den Umtriebe man Letzterer entgegengehalten kann.
Aktualisiert: 2023-02-27
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Von der emotional unzugänglichen Mutter in die Verbindlichkeit einer elitären Gemeinschaft. Von der Gewalt des eigenen Vaters in die Abhängigkeit vom „alle Frauen besitzenden Urvater“. Aus der katholischen Scham in eine trügerische „freie Sexualität“. Aus dem demütigenden Arbeitermilieu in den auserwählten Kreis der Aktionsanalytischen Organisation. Von Brunau nach Friedrichshof.
„Wie soll ich wissen, wer ich war?“
Herbert Stumpfl stellt sich der Aufgabe des Erinnerns und des Nachdenkens. Als Revoltierender gegen eine verkappte „Kleinfamiliengesellschaft“ war er Muehl-Kommunarde der ersten Stunde. Als „philosophisch inspirierter Literat“ unterzieht er die Zeit von den ersten gemeinsamen Aktionen bis zum letzten Besuch kurz vor dem Tod des „Meisters“ einer strukturellen, und dabei persönlichen Analyse. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität bringt nicht nur die maskulin-autoritäre Prägung einer Bevölkerung zutage, die sich ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit entzieht, sondern zeigt auch auf, wie diese das langjährige Bestehen der Muehl-Kommune befördert hat.
Aktualisiert: 2023-04-06
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Im Zentrum dieses Breviers steht eine experimentell-literarische Annäherung an Österreich, an dessen sprachliche Konstruktion und das verborgene „Selbst“ des Landes. Bekannte und weniger geläufige Reden über Österreich – so auch Zitate von Karl Kraus, Hilde Spiel, Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard – treten als Fehlübersetzung in Erscheinung: mittels Google-Translate wie- derholt ins Thailändische übertragen – eine Sprache, in die sich Hierarchien der Gesellschaft deutlich einschreiben – und wieder zurückübersetzt, mit all den von der KI generierten Unschärfen und Sinnverschiebungen.
Der Duktus von schlecht übersetzten Gebrauchsanweisungen erin- nert in seinen besten Beispielen vielleicht an Dissertationen eben noch gewesener österreichischer Minister. Und in der Tat werden im begrifflichen Gestelze und syntaktischen Gestolpere Sprachfor- men des machtpolitischen Diskurses (nicht nur Österreichs) wie- der erkennbar. Der anarchische Witz und der feierliche Nonsense so mancher Kalauer freilich lässt eine als typisch österreichisch bezeichnete sprachsatirische Tradition hochleben.
Aktualisiert: 2023-03-01
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Ein Gedicht kann in allem stecken: in Computerfehlermeldungen, in Schlagzeilen der Yellow-Press, in Nekrologen ebenso wie in der Bundesligatabelle oder auch in standardisierten Antwortschreiben von Preiskomitees und Verlagen. Der Autor Clemens Schittko ist jemand, der Gedichte eher findet als erfindet. Seine listenartigen Textgebilde zeigen uns in analoger Form die Absurditäten der digi- talen Welt, die einer zunehmend absurden realen Welt entspringen, ja selbst Teil davon sind. Schittkos poetische Verfahren der Kumu- lierung verweisen auf heutige Produktions- und Kontroll-Hyper- trophie. In der monomanischen Zurschaustellung sprachlicher Fundstücke werden die Perfidien massenmedialen Bewusstseins- schwindels offenbar. Dem spätkapitalistischen Blues stellt Schittko melancholisch getönte Anti-Gedichte über Liebesleid und Tod zur Seite: wahre Kleinode von Selbstironie und stilistischem Under- statement. Clemens Schittkos poetischer Konzeptualismus gehört zu den originellsten Beiträgen deutschsprachiger Lyrik heute.
Aktualisiert: 2023-03-29
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Ein Mann wird zum Arzt geschickt, weil er Visionen hat, die für ihn umgehend Gestalt annehmen. Die Stadt Graz erscheint ihm als ein kleines Venedig mit Gondeln auf der Mur, gleichzeitig – so behauptet er – halte er sich als Toter in Istanbul auf. Er glaubt einem Buch, das „Weltverlust“ heißt, entsprungen zu sein. Günter Eichbergers Prosa umspielt mit dichterischem Esprit Theoreme des Konstruktivismus ebenso wie Topoi des Anarchismus und klas- sischer Avantgarden. Bei aller Erfindungslust und Neigung zum Grotesken erweisen sich Eichbergers phantastische Szenarien auf frappierende Weise als welthaltig. Seine Fabulierkunst übersetzt drohende Entwicklungen von Trans-Humanisierung in skurrile Bil- der handfester Körperlichkeit. Ein Gegengewicht zur herzhaft bra- chialen Komik seiner Plots stellt Günter Eichbergers Sprachsatire dar, die mit feinem Besteck den in wohlfeilen Phrasen verborgenen Hintersinn freilegt und solcherart den Blick auf virulente gesell- schaftliche Widersprüche zu schärfen vermag.
Aktualisiert: 2023-02-27
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