Untersuchungen zum Vorkommen und zur Bedeutung von Mykoplasmen bei Weißstörchen (Ciconia ciconia, LINNAEUS, 1758) und Beschreibung einer neuen Spezies (Mycoplasma ciconiae sp. nov.) von Möller Palau-Ribes,  Franca

Untersuchungen zum Vorkommen und zur Bedeutung von Mykoplasmen bei Weißstörchen (Ciconia ciconia, LINNAEUS, 1758) und Beschreibung einer neuen Spezies (Mycoplasma ciconiae sp. nov.)

Mykoplasmen sind zellwandlose Bakterien der Klasse Mollicutes, die als bedeutende Krankheitserreger beim Geflügel hohe wirtschaftliche Verluste verursachen. Bei Weißstörchen (Ciconia ciconia) gibt es vereinzelt Nachweise von Mykoplasmen bei geschwächt aufgefundenen Individuen. Über die Verbreitung von Mykoplasmen in der klinisch gesunden Weißstorchpopulation ist hingegen wenig bekannt. Diese Kenntnisse werden jedoch benötigt, um die klinische Bedeutung von Mykoplasmen für Weißstörche sowie Weißstörche als Erregerreservoir für geflügelpathogene Mykoplasmen, einschätzen zu können. In Voruntersuchungen an klinisch gesunden, wildlebenden Weißstorchnestlingen in Deutschland wurde eine flächendeckende Verbreitung von Mykoplasmen innerhalb der Storchenpopulation festgestellt (HAGEN et al. 2004). Eine Speziesdifferenzierung erfolgte nicht, dennoch wurden zwei Isolate (ST 57 und ST 101) identifiziert, die keiner bislang beschriebenen Spezies zugeordnet werden konnten.
Ziel der Untersuchung war, diese beiden Isolate weiter zu charakterisieren, wenn möglich als Vertreter neu entdeckter Spezies zu beschreiben, und deren Vorkommen und Bedeutung bei Weißstörchen anhand der vorliegenden Proben zu eruieren. Für diese Arbeit standen 83 Mykoplasmenkulturen und eine DNA-Probe aus der Studie von HAGEN et al. (2004) zur Verfügung. Mit ausgewählten Isolaten wurden genetische und phänotypische Untersuchungen durchgeführt. Als Basis der phylogenetischen Untersuchungen dienten die Sequenzen des 16S-rRNA-Gens sowie der 16S-23S-Intergenic-Transcribed-Spacer-Region (ITS). Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigten, dass das Isolat ST 101 sehr nah mit M. spumans und weiteren Mykoplasmenspezies verwandt war, sodass eine Beschreibung als neue Spezies nicht möglich war. Die biochemischen Eigenschaften der Isolate ST 57 und ST 101 wurden anhand der Fermentation von Glucose sowie der Hydrolyse von Arginin und Harnstoff untersucht. Von beiden Isolaten wurde zudem Temperaturoptimum und -toleranz für das Wachstum bestimmt. Beide Isolate wurden durch Membranfilter mit Porendurchmessern von 800 nm, 450 nm und 220 nm filtriert, um durch Passage der Filter indirekt das Fehlen einer Zellwand nachzuweisen. Desweiteren wurde eine Gramfärbung durchgeführt, um ebenfalls die Zellen sichtbar zu machen. Weitere Untersuchungen dienten der Beschreibung einer neuen Mykoplasmenspezies und wurden daher ausschließlich mit dem Isolat ST 57 durchgeführt, darunter eine elektronenmikroskopische Untersuchung und ein Test zum indirekten Nachweis der Abhängigkeit des Wachstums von Cholesterin (Digitonin-Test). Zusätzlich wurden spezifische Kaninchen-Hyperimmunseruen gegen das Isolat ST 57 hergestellt und Immunobinding Assays mit Referenzstämmen und -antiseren nah verwandter Mykoplasmenspezies durchgeführt. Anhand des Typstammes ST 57T wurde somit die neue Spezies Myco-plasma ciconiae sp. nov. beschrieben. Zur molekularbiologischen Identifizierung von M. ciconiae sp. nov. wurde eine speziesspezifische PCR entwickelt. Alle 83 Mykoplasmenkulturen und die DNA-Probe wurden mit dieser PCR untersucht, um die Prävalenz von M. ciconiae sp. nov. in Weißstorchnestlingen zu schätzen.
M. ciconiae sp. nov. (ci.coni´ae. L. gen. fem. n. ciconiae eines (Weiß-) Storches) ist pleomorph mit kokkoiden und flaschenartigen Formen mit einer terminalen Protrusion und durch Filter einer Porengröße von 450 nm filtrierbar. Auf SP4-Agarmedium bilden sich typische, spiegeleiförmige Kolonien mit undeutlich abgegrenzten Zentren. Die Spezies wächst bei 37°C unter mikroaerophilen und anaeroben Bedingungen in SP4-Medium und Hay¬flick-Medium. Die optimale Wachstumstemperatur liegt bei 37°C, wobei bei Temperaturen von 23°C bis 42°C ein Wachstum in vitro gezeigt werden konnte. Das Wachstum dieser Spezies wird durch Digitonin gehemmt. Die Spezies verstoffwechselt Glucose, jedoch kein Arginin oder Urea und ist serologisch von nah verwandten Mykoplasmen abgrenzbar. Der Typstamm von M. ciconiae sp. nov. ist ST 57T. Dieser wurde bei der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen sowie der American Type Culture Collection hinterlegt (DSM 25251, ATCC BAA-2401). Die Sequenzen des 16S-rRNA-Gens (KP264571) und der ITS (KP264577) wurden bei GenBank veröffentlicht. Vier zusätzliche Isolate von M. ciconiae sp. nov. wurden bei der DSMZ (DSM 29908-10, DSM 29054) hinterlegt und die Sequenzen des 16S-rRNA-Gens (KP26469, -70, -72, -73) und der ITS (KP26475-78) bei GenBank, sowie die vollständige Speziesbeschreibung im International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology veröffentlicht (MÖLLER PALAU-RIBES et al. 2016).
Bei den Sequenzanalysen fanden sich weitere Myko¬plasmenisolate, die keiner der bislang beschriebenen Spezies zugeordnet werden konnten. Die Isolate wurden anhand der Sequenzen des 16S-rRNA-Gens und ITS zwei Gruppen zugeordnet, die beide zum Hominis-Cluster gehören. Anhand der nächsten verwandten Spezies wurden diese als „M. gypis-“ und „M. spumans-ähnliche“ Gruppe benannt. Analog zu Greifvögeln gehören bei Weißstörchen Mykoplasmen möglicherweise zu einer komplexen Trachealmikrobiota.
Im Rahmen der Prävalenzstudie war M. ciconiae sp. nov. mittels spezies-spezifischer PCR bei 58,3% (49/84) der untersuchten 83 Kulturen und einer DNA-Probe nachweisbar. Das 95%-Konfidenzintervall lag zwischen 47,1%-69%. In der Studie zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Nachweishäufigkeit zwischen geografischen Regionen, untersschiedlichen Anzahlen an Nestlingen pro Horst und unterschiedlich alten Nestlingen. Aufgrund der hohen Nachweisrate und Verteiung bei klinisch unauffälligen Weißstorchnestlingen, ist M. ciconiae sp. nov. vermutlich apathogen für Weißstörche. Während einige Spezies wie M. ciconiae sp. nov. klinisch ohne Bedeutung zu sein scheinen, könnten andere Spezies, z.B. geflügelpathogene Mykoplasmen, möglicherweise klinische Symptome bei Weißstörchen hervorrufen. Werden bei einem geschwächt oder verletzt aufgefundenen Weißstorch Mykoplasmen nachgewiesen, sollte daher eine Speziesdifferenzierung folgen. Da vermutlich apathogene Spezies in der Trachea gesunder Störche regelmäßig nachgewiesen werden, ist auch bei erkrankten Störchen die Detektion von Mykoplasmen ohne Speziesdifferenzierung nicht ausreichend, um diese als Krankheitsursache zu bewerten.

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