Das Undenkbare Leben
Elias Canettis "Die Blendung": Eine ironische Parabel über den ontologischen Abgrund
Irene Boose
In der engen Welt von Elias Canettis einzigem Roman „Die Blendung“ tut sich ein ontologischer Riß auf. Er bestimmt das Verhältnis von Text und Leser: Selbst alltägliche Situationen in der Geschichte um den geistigen und sozialen Niedergang eines Gelehrten bis zu seinem Selbstmord sind geprägt von den Zumutungen der Peinlichkeit, die den Leser ständig zwischen Lachen und Grausen hin- und herwerfen. Diese Irritation in der „zivilisatorischen Übereinkunft“ von Erzählfunktion und Lesergemeinde reicht tiefer, als es das bloße – gemeinschaftliche – Mißbehagen am Versagen vor der Konvention könnte. Daß es zur Strategie des Romans gehört, den „Wertbegriff‘ des Lesers zu zerrütten, spricht die Figur des Literatur- und Sprachwissenschaftlers Kien selbst aus: „Romane sind Keile, die ein schreibender Schauspieler in die geschlossene Person seiner Leser treibt. Je besser er Keil und Widerstand berechnet, um so gespaltener läßt er die Person zurück. Romane müßten von Staats wegen verboten sein.“