Verschollen im Mikrospiel der Stadt
Werner Lüerß
Nichts ist unvorstellbarer als die Zeit, in der wir leben.
Benjamin und Marvins Lachen drang durch die weit geöffnete Dachluke. Ich lag am Boden, meine Ohren auf Angriff gestellt, unfähig mich zu bewegen.
Völlig baff und ungläubig hörte ich ihrem Plan zu. Seltsam kalt, dieses Gefühl im Jetzt …
Es war so perfide, verletzend zugleich, Nachbars Jungs bei einer Verschwörung zuzuhören.
Marvin und Benjamin waren dabei, ihre Familie zu verraten.
Sie telefonierten mit einem Notar aus Berlin-Frohnau, ihre hellen Stimmen für mich unverwechselbar.
Mein Inneres kochte wie ein junger Vulkan.
Wo soll deine Oma bleiben, Marvin?
Komisch wie er mich dabei ansah, dieses Fragende in seinen flackernden Augen … jenes Vergangene sehe ich vor mir.
Unglaublich, die Beiden spielen Roulette.
20. Juni 2018, 9:00 Uhr.
Staatsanwalt Dr. Bocinsky von der Abteilung »Organisierte Kriminalität« wartet auf uns in Berlin Moabit, Turmstraße 91.
Blind for the moment.
Warum gingen wir nur zu zweit?
U-Bahn Turmstaße, tief unter der Erde, im Dämmerlicht, hallender Wortschwall, Schattennetze. Wir spürten plötzlich Dunkles, Gefahrvolles. Männer in Anzügen bewegten sich lautlos drohend auf uns zu: Sie hatten auf uns gewartet!
Wie von einer Tarantel gestochen rannten wir im Zickzack los. Meine Armbanduhr zeigte zehn nach acht. Neles Schatten-Schrei hörte ich noch … etwas Heißes drang in mich ein, ich versank im Bodenlosen …