Eine Brieftaube im fremden Revier
Ingeborg Kazek
Ich heiße Eums One und bin eine Brieftaube vom EU-Geheimdienst. Gestern Abend musste ich hier notlanden. Nun sitze ich auf dem Ast eines Ahornbaums und habe seit Tagen nichts gegessen. Mehrere Krähen, Elstern, zwei Ringeltauben und viele kleine Vögel rennen geschäftig auf einem Schuppendach herum, wo alles voll mit Futter liegt. Ich könnte ausflippen vor Hunger. Ein fettes Krähenmännchen kommt aus einer Baumkrone angeschossen, fliegt ganz dicht an mir vorbei und kreischt: „Hau ab, wir dulden keine Fremden in unserem Revier.“ So leicht werde ich nicht aufgeben, ich bin ein Schatten meiner selbst, nur noch Federn und Knochen. Wahrscheinlich sind jetzt alle meine Muskeln weg. Die Krähe setzt sich neben mich und krächzt, so dass es alle hören können: „Hast du nicht gehört Fremder? Hier bin ich der Boss.“ Bestimmt wissen alle in meiner Dienststelle und bei den anderen Geheimdiensten, dass ich die SD Karte mit der Nachricht nicht abgegeben habe. Dieser blöde Wikileaks muss ja immer gleich alles ausposaunen. Ganz in der Nähe höre ich das Geräusch von einem Hubschrauber. Oh Himmel, haben die mich schon geortet? Was fliegt denn da zwischen den Bäumen herum? Eine Überwachungs-Drohne! Ich bin so was von erledigt! Meine eigene Dienststelle wird mich jagen, sie wollen die SD Karte auf meinem Rücken, ich bin denen egal.