Vom Lehrling zum Azubi
Berufsausbildung in Hessen seit dem 19. Jahrhundert (Ausstellungskatalog)
Ulrich Eisenbach
Die Berufsausbildung gehört zu den großen gesellschaftspolitischen Themenfeldern unserer Zeit. Seit Jahren sind wir an Presseberichte über fehlende Ausbildungsplätze und Klagen über mangelnde Ausbildungsvoraussetzungen bei Jugendlichen gewöhnt. Technologischer Fortschritt und globaler Wettbewerb stellen nicht nur an Auszubildende immer höhere Anforderungen, sondern verlangen auch nach Ausbildungsformen, die größtmögliche Effizienz und Flexibilität gewährleisten.
Das spezifisch deutsche System der dualen Ausbildung – die Kombination von fundiertem theoretischem Wissen und praktischen Erfahrungen und Fertigkeiten – scheint den Herausforderungen unserer Zeit besser gewachsen zu sein als andere Modelle. Nicht wenige sehen in ihm den Schlüssel, mit dem Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg rasch zur führenden Exportnation aufgestiegen ist. Auch ist es sicher kein Zufall, dass Deutschland in Europa zu den Ländern mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit zählt.
Nichtsdestotrotz ist auch die duale Ausbildung in die Diskussion geraten. Zwar gibt es nur wenige, die das System als Ganzes in Frage stellen, doch Kritik an einzelnen Komponenten gibt es durchaus. Um die Diskussion verstehen zu können, ist es hilfreich, einen Blick auf die Geschichte der Ausbildung zu werfen. Grund genug für das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadt, diesem Thema eine Ausstellung zu widmen.
Die Wurzeln der dualen Ausbildung reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Als mit der Gewerbefreiheit die Grundlage für die von den Zünften organisierte so genannte Meisterlehre entfiel, entwickelten Unternehmen, Gewerbevereine, Handelsvereine und Kammern neue Formen der schulischen und betrieblichen Ausbildung. Zwischen 1820 und 1845 entstanden aus privater Initiative die ersten Zeichen-, Gewerbe- und Handwerkerschulen. Bis spätestens 1922 gingen sie in die Trägerschaft der Kommunen oder Kreise über. Aus ihnen entwickelten sich noch in den zwanziger Jahren die Berufsschulen, allerdings zunächst noch ohne allgemeine Berufspflicht, die erst 1938 für alle Jugendliche beiderlei Geschlechts gesetzlich in ganz Deutschland eingeführt wurde. Die betriebliche Ausbildung als zweite Säule des dualen Systems kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hinzu. Damals begannen die großen Industriebetriebe mit einer systematischen Ausbildung des Facharbeiternachwuchses. Zwischen 1918 und 1938 nahm dieses Ausbildungssystem feste Formen an. Lehr- und Anlernberufe wurden geschaffen, Berufsbilder erstellt und Lehrabschlussprüfungen zwingend vorgeschrieben.
Der Ausstellungskatalog beschreibt am Beispiel Hessens diesen langwierigen Prozess von den Frühformen der kaufmännischen und industriell-gewerblichen Lehre bis zum heutigen System der dualen Ausbildung. Sie geht auch ausführlich auf den ideologischen Missbrauch der Lehrlinge in der Zeit des Nationalsozialismus, auf die schwierige Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg und auf den Wandel des Selbstverständnisses der Auszubildenden im Gefolge der 1968-Bewegung ein.