Das Intelligenzblatt: Gemeinnutz und Aufklärung für jedermann. Studie zu einer publizistischen Gattung des 18. Jahrhunderts, zur Revolution der Wissensvermittlung und zu den Anfängen einer lokalen Presse.
Band I: Entstehung und Entwicklung einer neuen publizistischen Gattung
Holger Böning
Das Intelligenzblatt galt vor dreihundert Jahren als so geniale Erfindung wie heute das Internet, in dem Suchmaschinen die unterschiedlichsten Bedürfnisse noch effizienter zusammenführen als dies erstmals durch die Intelligenzblätter geschah.
Diese Studie stellt die seit 1722 entstandene publizistische Gattung der gut 200 Intelligenz- oder Anzeigenblätter des aufgeklärten Säkulums vor. Innerhalb weniger Jahrzehnte präsentieren sie sich überall im deutschen Sprachraum in größter Vielfalt und als Hilfsmittel für das gesamte Alltagsleben. In ihnen ist kein Bereich der menschlichen Existenz und des zeitgenössischen Wissens ausgeschlossen, sie sind dem Gemeinnutz und der Aufklärung für jedermann verpflichtet. Nebst dem Kalender sprechen sie als erstes Periodikum Leser aller Art an. Ihre kommunikations-, medien- und kulturgeschichtliche Bedeutung ist kaum zu überschätzen.
Beginnend bei den profanen Dingen des Alltagslebens bis zu den anspruchsvollsten, aber allgemeinverständlich vorgebrachten philosophischen Überlegungen – beispielsweise eines Immanuel Kant im Königsberger Intelligenzblatt –, von der Vermittlung neuer naturkundlicher Kenntnisse bis zu praxisnahen Ratschlägen und Informationen für die Land- und Hauswirtschaft oder zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten, ist in ihnen eine Revolution der Wissensvermittlung zu erkennen: Neues Wissen soll zum Allgemeingut werden. Zugleich führen die Aufklärer hier die großen Debatten des aufgeklärten Säkulums: Was ist unter Aufklärung zu verstehen? Wie weit und auf auf welche Teile der Bevölkerung soll sie sich erstrecken? Wie kann die ständische Gesellschaft durch die Abschaffung von Leibeigenschaft und Fronarbeit gemeinsam mit der wenig leistungsfähigen Landwirtschaft so reformiert werden, dass die Ernährung der Bevölkerung nicht bei jeder Wetterunbill gefährdet ist? Wie ist das Bildungswesen so umzugestalten, dass es der Bedeutung einer guten Ausbildung für den einzelnen wie für die gesamte Gesellschaft gerecht wird?
Im Intelligenzblatt als Medium der praktischen Aufklärung ist um die Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Entdeckung der arbeitenden Stände – des Volkes – und deren Bedeutung für die gesellschaftliche Weiterentwicklung die Entstehung der Volksaufklärungund mit ihr der Beginn einer intensiven Volkskunde zu verfolgen. Gemeinsam mit der aufklärerischen Zeitschriftenpublizistik und den gemeinnützig-ökonomischen Gesellschaften verbinden sich die Intelligenzblätter zu dem Netzwerk einer regelrechten Bürgerbewegung, in der praktisch-gemeinnütziges Engagement organisiert und die Debatte über gesellschaftliche Strukturen und wünschenswerte Reformen geführt wird. Hier werden in der Selbstermächtigung eines neuen Lesepublikums Vorstellungen zur Weiterentwicklung und Überwindung der ständischen Gesellschaft formuliert. Einige Intelligenzblätter erinnern mit ihren Inhaltsverzeichnissen an die Tagesordnungen erster Parlamente im 19. Jahrhundert.
Intelligenzblätter stellen die ersten Druckmedien dar, die sich direkt auf den Ort beziehen, in dem sie erschienen, vielfach stellen sie den Anfang der örtlichen Presse und der lokalen Berichterstattung dar. Ihr Beitrag zur Entstehung einer städtischen und regionalen Öffentlichkeit, in die mehr und mehr alle Bevölkerungsgruppen einbezogen werden, ist ebenso bedeutsam wie ihre Einbindung in das nationale Netzwerk der praktischen Aufklärung.