Terrassenbuch von Amanshauser,  Gerhard, Hoeller,  Hans

Terrassenbuch

Terrasse, hier keine Erdstufe im ursprünglichen Sinn, sondern eine Dachterrasse; Terra soll hier den Planeten bezeichnen, darauf ist eine künstliche Plattform gebaut.
Die Terrasse ist eine rechteckige Wanne, vier mal zwei mal eins, in der manchmal die Sonne brütet, manchmal die Kälte nistet. Eine merkwürdige Laune des Baumeisters hat die südliche Brüstung mit breiten Schießscharten versehen. Von dort blickt man über das häßliche Chaos der Vorstädte auf die Alpen.
Bäume umgeben mich, ragen hinter mir, wo der Berg steht, hoch über die Terrasse, und vor mir, wo er fällt, blicke ich über ihre Kronen. Wenn die Blätter abfallen, kommt hinten über dem Dach die Festung zum Vorschein; ihre Verteidigungswälle, die längst nichts mehr schützen, ruhen auf den Felsen. Kommen die Blätter wieder, verschwindet das Fundament, bis nur mehr der höchste Turm mit der Fahne sichtbar ist, von dem die Stimme des Fremdenführers tönt, als wollte sie die Stadt samt Umgebung versteigern.
Die Terrasse wurde im Krieg von einem Bombensplitter getroffen, so daß die Westseite der Steinbrüstung hinabstürzte; deutlich erkennt man die Stellen, wo die neu aufgemauerte Brüstung sich an die alte schließt. Viele meiner Bekannten, unzählige meiner Altersgenossen mußten, als ihre Kindheit verdorben war, um den Besitz von Wüsten kämpfen, die sie zum Teil selbst hergestellt hatten. Man lehrte sie, sich im Schmutz zu vergraben, bis sie schließlich verstümmelt und eingestampft waren, was ihnen den Titel Helden eintrug. Andere erhielten eine vorzügliche Ausbildung als Mörder.
Mein Kopf war nach einem der Systeme, die man gegen Inspiration anwendet, mit Erfolg behandelt worden. Man hatte mir beigebracht, wie man Parolen brüllt und Gassenhauer singt. Nach dieser Erziehung, als der Krieg endlich verloren war, stand ich benommen da und spürte ein Würgen im Hals.
Die anderen gingen wieder an die Arbeit. Doch ich sagte: Langsam! Ich bin etwas schwer von Begriff. – Man räumte mir schließlich ein Dachzimmer ein, überließ mich meiner Faulheit und meinen asozialen Instinkten. Ein Dachzimmer und eine Terrasse. Als ich fünfundzwanzig war, begannen durchziehende Wolken den Komplex meiner Erziehung aufzulösen und fortzutragen. (…)

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