Die Wacht am Rhein
Roman
Clara Viebig
Aus Clara Viebig: Eine Kindheit im alten Düsseldorf … Ein Stückchen von Konditor Neuhaus, die Kasernenstraße hinauf fingen die grauen Mauern der alten Kaserne an. Sie waren schon damals recht bröcklig, abgeplatzt, mit Kreide beschmiert, von unnützen Händen mit allerlei Fratzen verunziert. Und doch war es mir, als ich hörte: die alte Kaserne wird abgerissen, als sei es jammerschade um dieses Wahrzeichen von Düsseldorf. Ich freue mich, daß ich es in der ‚Wacht am Rhein‘ festgehalten habe. – Wieviele hundert Male bin ich an dir vorübergegangen, du alte Kaserne! Auf meinem täglichen Schulweg. Aus den Fenstern lümmelten sich die Drillichjacken und pfiffen hübschen Mädchen nach. Auf dem großen Exerzierplatz, der offen an der Straße lag, nur durch eine Eisenstange abgegrenzt, ritten die Offiziere ihre jungen Pferde ein, und das schnarrende Kommando des wutschnaubenden Unteroffiziers reizte ebenso zum Zugucken wie das verzweifelte Beinwerfen der gedrillten Rekruten. Ich bin selber oft in der alten Kaserne gewesen; zu Friedenszeiten freilich nur ein paarmal, als meine Schulgenossin, die Feldwebeltochter, mich heimlich mitschleppte, aber desto öfter in jenem großen Jahr, im Jahre Siebzig. Da lag die Kaserne voll von Verwundeten, meine Mutter pflegte darin, und die kleine Klara ging oft durch die Säle, half an schulfreien Nachmittagen den Nonnen den Kaffee, die Butterbrote austeilen und legte auch manchesmal dem todwunden Turko eine Traube zur Erquickung auf die Bettdecke. O das waren glorreiche Zeiten für Düsseldorf! Ich glaube, jede
Stadt wird sich jener Tage besonders rühmen – viel Begeisterung, viel Opferfreudigkeit – aber mir ist es, als wäre damals durch die Straßen und Sträßchen, durch Düsseldorfs Gassen und Gässchen ein Geist gewandelt, der Reiche und Arme, Hohe und Niedrige so zusammenführte, als sei da kein Abstand mehr. …