Aus der Werkstatt der deutschen Revolution

Aus der Werkstatt der deutschen Revolution von Barth,  Emil
Vor 100 Jahren, etwa von Anfang November bis zum Frühjahr 1919, erlebte Deutschland das, was heute, zur Abgrenzung von der russischen „Oktoberrevolution“ recht unscharf als „Novemberrevolution“ bezeichnet wird. Die ihr vorausgehenden und ihr folgenden Entwicklungen wären ohne den damaligen Weltkrieg mit seinen schließlich dramatischen Auswirkungen auf das Alltagsleben der Menschen gerade im vom Welthandel abgeschnittenen Deutschland nicht zu erwarten gewesen. Die Novemberrevolution und die Ereignisse in ihrem Vorfeld haben nicht zur militärischen Niederlage geführt, wie es die verantwortlichen und gescheiterten führenden Militärs zu ihrer Selbstentlastung („Dolchstoßlegende“) gern behauptet haben; im Gegenteil, das viel zu späte Eingeständnis des bevorstehenden Zusammenbruchs und das leichtsinnige Verhalten der Seekriegsleitung haben den in Jahren kriegsbedingt aufgestauten Druck erst zum Überdruck und schließlich, als „Streik gegen den Krieg“ und seine Auswirkungen, zur Entladung, zur Revolution geführt. Heute wird die Berichterstattung über die Novemberrevolution oft reduziert auf die fingierte Abdankung der Hohenzollern, die Ausrufung der Republik, Friedrich Eberts Regierungsübernahme, den „Spartakus aufstand“, die Nationalversammlung und den Versailler Vertrag. Man nennt Namen wie Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Was eigentlich geschah und worum es ging wird nur kurz abgehandelt. Im „Rat der Volksbeauftragten“, einer Art Revolutionsregierung, waren Liebknecht und Luxemburg nicht vertreten, aber neben Ebert, Scheidemann und Otto Landsberg von der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (SPD) für etwa 6 Wochen auch drei Vertreter der 1916 von dieser abgespaltenen „Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (USPD): Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth. Die USPD-Vertreter sind heute so gut wie vergessen. Das gilt ganz besonders für Emil Barth. Über ihn gibt es nur wenige wohlwollende oder gar anerkennende, bestenfalls nachsichtige Kommentare. Verkürzt kann man aber sagen, dass Barth im „Rat der Volksbeauftragten“ in dem Bemühen, einerseits die Belange seiner linksradikalen Unterstützer zu vertreten und andererseits den Realitäten Rechnung zu tragen, also „zwischen beiden Stühlen sitzend“, gescheitert ist. Der am 23. April 1879 als Arbeitersohn in Heidelberg geborene Emil Barth erlernte nach seinem Volksschulabschluss den Beruf des Klempners, in dem er ab 1898 ausübte. 1908 übersiedelte er nach Berlin und trat dort der SPD und dem Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) bei, in dem er ab 1914 als hauptamtlichen Funktionär tätig war. 1917 verließ er die SPD und trat der USPD bei. Am 9. Februar 1918 ließ sich Barth nach einer flammenden Rede zum Vorsitzenden der „Revolutionären Obleute“ von Berlin wählen. In dieser Eigenschaft wurde er neben Haase und Dittmann für die USPD in den Rat der Volksbeauftragten entsandt, in dem er für Sozial- und Gesundheitspolitik zuständig war. Außerdem wurde er, der die Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte im Zirkus Busch am 10, November geleitet hatte, in den „Vollzugsrat“ des Arbeiter- und Soldatenrats gewählt, der nach Vorstellung linksradikalen Kräfte den Rat der Volksbeauftragten kontrollieren sollte. Nach den „Weihnachtskämpfen“ um die „Volksmarine-Division“ treten am 29. Dezember die drei USPD-Vertreter aus dem Rat der Volksbeauftragten aus. Nach der Zersplitterung der USPD verließ Barth die Restpartei und trat 1921 wieder in die SPD ein. Von 1921–1924 war er Vorsitzender und Sekretär der Berliner Betriebsrätezentrale und trat gelegentlich als Redner in Partei- und Gewerkschaftsversammlungen auf, ohne hier eine besondere Funktion inne zu haben. Nach mehreren Verhaftungen während der NS-Zeit starb Emil Barth am 25. Juli 1941 in Berlin. Schon 1919 veröffentlichte er seine von Verbitterung geprägte Rechtfertigungsschrift Aus der Werkstatt der deutschen Revolution. Hierin hat er seine Rolle vor und während der Revolution stark überzeichnet, aber immerhin bietet er als einer der ersten Zeitzeugen und vor allem als politisch Handelnder Einblicke in die Vorgänge in dieser dramatischen Zeit. Mit der Einschränkung, dass die deutsche Revolution vom November 1918 nicht „in erster Linie von dem Verfasser dieser Arbeit vorbereitet worden“ ist, hat das Vorwort des Verlegers Adolph Hoffmann, der selbst im Rahmen der SPD, USPD, später KPD und dann wieder SPD politisch tätig war) auch heute noch Gültigkeit. Der Bericht kann und sollte den umfangreicheren und tiefer gehenden (später verfassten) Erfahrungsberichten anderer Zeitgenossen wie etwa Richard Müller und Hermann Müller zur Seite gestellt werden. Bei allen Vorbehalten dem Text gegenüber (geben die als Zitate wiedergegebenen Reden und Gespräche wirklich genau den tatsächlichen Inhalt wieder?) wird doch deutlich, dass Emil Barth zwar kein deutscher Trotzki oder Antonow-Owsejenko war, aber auch kein „Hofnarr der Revolution“, wie ein böses Wort lautete: Im Rat der Volksbeauftragten konnte er sich gegen Ebert und vor allem Landsberg (beide SPD) nicht behaupten, geschweige denn durchsetzen, und durch Dittmann und den phlegmatischen Haase (der immerhin auf dem Papier gleichberechtigter Vorsitzender neben Ebert war), den beiden weiteren USPD-Vertretern, fand er keine Unterstützung. Nach hundert Jahren halte ich es für gerechtfertigt, die Werkstatt wieder zugänglich zu machen. Der Bericht kann und sollte den umfangreicheren und tiefer gehenden (später verfassten) Erfahrungsberichten anderer Zeitgenossen zur Seite gestellt werden, wie etwa Richard Müller: Vom Kaiserreich zur Republik [I. Band]. Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung während des Weltkrieges. Wissenschaft und Gesellschaft. Band 3. Wien: Malik 1924; Vom Kaiserreich zur Republik. II. Band. Die Novemberrevolution. Wissenschaft und Gesellschaft. Band 4. Wien: Malik 1925; Der Bürgerkrieg in Deutschland. Geburtswehen der Republik. Berlin: Phöbus 1925. – Es gibt mehrere Neuausgaben. Aktuell ist die preiswerte Neuausgabe in einem Band unter dem Titel Eine Geschichte der Novemberrevolution zu empfehlen: Berlin: Die Buchmacherei, 12. Aufl. 2018
Aktualisiert: 2020-07-19
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