Himmelsnetz

Himmelsnetz von Burghardt,  Juana, Choi,  Doo-Hwan & Regine, Park,  Hijin
PARK HIJIN wurde 1931 in Yonchon geboren. Seine ersten 14 Lebensjahre fielen noch ganz in die japanische Kolonialzeit (1910-1945). Im wohlhabenden ländlichen Elternhaus wurde die klassische chinesische und koreanische Bildung vermittelt. In der Schulzeit fand seine Begegnung mit der europäischen Literatur, u.a. Rilke, Yeats, Baudelaire, Valéry und Elliot, noch auf Japanisch statt, d.h.: in japanischen Übersetzungen. Korea befand sich in der letzten Phase der japanischen Kolonialzeit, als die Kampagne gegen die koreanische Kultur ihren Höhepunkt erreichte, der Gebrauch des Koreanischen auch privat verboten war und selbst koreanische Familiennamen japanisiert wurden. Später nannte sich Park Hijin einen durch seine Schulbildung und Sprache „durch und durch japanisierten Knaben“. Erst in der Studienzeit entdeckte er bei der Lektüre koreanischer Dichter die ganze Schönheit seiner Muttersprache und die eigene Identität als Koreaner. Vor diesem Hintergrund läßt sich der Beginn seines Vierzeilers „Ohne Titel ??“ (S. 108) besser verstehen: „Gott sei Lob und Dank, daß ich im Land der Morgenstille / als Dichter der koreanischen Sprache geboren bin!“ Aus diesem Bewußtsein erwuchs sein Schreiben in der koreanischen Sprache, der Sprache eines Landes, das von der politischen Landkarte hatte ausradiert werden sollen. Er arbeitete nach seinem Anglistikstudium an der Koryo-Universität als Englischlehrer am Dongsong-Gymnasium in Seoul und gewann als junger Dichter viele Bewunderer, die ihm teilweise bis heute verbunden sind. Während sich viele andere koreanische Dichter nach wie vor der gesellschaftlich engagierten Literatur verschrieben haben, ging Park Hijin einen anderen Weg. Als sich das Militärregime in den 60er Jahren verfestigte, entzog er sich dem öffentlichen Kulturleben: er lehnte den Vorsitz des Koreanischen Dichterverbandes ab, gab mit Freunden die zwölfbändige „Anthologie der 60er Jahre“ heraus und zog sich aus der Literaturszene zurück. 1965 gründete er als erster koreanischer Dichter einen Lese- und Dichterkreis, der seither jeden Monat Teilnehmer aus verschiedenen Kreisen der Gesellschaft anzieht und im Jahre 2005 die 300ste Sitzung feierte. Im Gefolge dieser Initiative gründeten andere Dichter ähnliche Kreise. Er verfolgte seinen Rückzug in die schöpferische Unabhängigkeit mit aller Konsequenz, gab bereits mit 53 Jahren den Schuldienst als Englischlehrer auf und lebt bescheiden und zurückgezogen als Junggeselle, ein ungewöhnlicher Status in seiner Generation, wie im „Epitaph des Dichters ?? ??? ???“ (S.82) beschrieben: „Ich wünschte zu Lebzeiten, unsichtbar zu leben, / und so lebte ich auch.“ Es mutet leicht widersprüchlich an, daß er beim heutigen Lesepublikum in Korea nicht mehr so bekannt zu sein scheint, aber mit etlichen anerkannten Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, darunter 1976 mit dem Woltan-Literaturpreis, 1988 mit dem Preis für moderne Dichtung, 1991 mit dem Preis des Koreanischen Dichterverbandes sowie 1999 mit der Bogwan-Kulturmedaille und dem Sangwha-Poesiepreis. Im Juni 2007 wurde Park Hijin als ordentliches Mitglied in die angesehene Koreanische Kunstakademie gewählt. Zudem wirkte er durch diverse Initiativen in die Gesellschaft hinein. In den vergangenen 20 Jahren ging sein äußerer Rückzug einher mit einer zunehmenden Hinwendung zu ostasiatischem Gedankengut des Konfuzianismus, Taoismus, Buddhismus und Pungryudo. Davon zeugt die vorliegende Auswahl: etwa im leitmotivisch wiederkehrenden Streben nach Reinheit, im Schweigen, das oft im Schweigen des Buddha gipfelt, in der Hinwendung von außen nach innen und im taoistischen Einswerden alles Seienden und aller Gegensätze, eine Denkbewegung, mit der seine Gedichte gerne ausklingen: „In seinen Gedichten // fließen Vergangenheit Gegenwart und Zukunft ineinander /. wie die Natur so ist wie das Ewige so ist“ („In seinen Gedichten ?? ?“, S. 101). Auch die unscheinbarsten Naturerscheinungen „lassen uns im Jetzt die Ewigkeit erkennen“ („Lob der Magnolien ???(???)“, S. 81). In diesen Zusammenhang gehört auch der oft auftauchende Gedanke des Pung ryu do (Weg des Pneuma), einer koreanischen Naturphilosophie, die alles Leben vom Fließen des Pneuma (Qi / Chi) im All herleitet. Park Hijin versucht, „im Jetzt die Ewigkeit“ durch viele Formen einzukreisen: in Langgedichten wie „Hände“ (S. 45) oder „Die Zunge“ (S. 48), in Sonetten und koreanischen Vierzeilern. In den letzten Jahren zeigt sich bei ihm eine wachsenden Tendenz zur Reduktion: bis hin zu vielen Einzeilern. Sie knüpfen an die chinesische und koreanische Tradition der kurzen Bildgedichte oder einzeiligen Vier-Zeichen-Sprüche (Sa ja song o) der chinesischen Klassiker an, wie sie in Korea noch an traditionellen Gebäuden wie Palästen und Yangban-Häusern zu sehen sind. Gemeinsam ist ihnen ein lehrreicher Ton, der Park Hijin selbst in die Reihe der Lehrer und Meister stellt. Daß er die Rolle des Dichters durchaus in diesem Sinne begreift, zeigen die zahlreichen Gedichte über vorbildliche Persönlichkeiten, u.a. Rilke, Tagore, Tschakan und Dostojewski, deren Verehrung, ganz in ostasiatischer Tradition, ein Grundton seines Dichtens ist. Daneben ist in seinen Gedichten buddhistisches Gedankengut unmittelbar oder ungenannt gegenwärtig, wie es besonders von der buddhistischen Schule des Hwa om (Sanskrit: Blumen om) vertreten wird: staunendes Schauen aller Erscheinungen des Lebens und Lob der Schöpfung. Seine sympathische Definition des Menschen lautet: „ein Tier, das lobpreisen kann“ (S. 124), zuweilen mit feinsinnigem Humor unterlegt, doch erst „großes Bejahen und Lobpreisung“ ermöglichen das unbegrenzte Gedicht (S. 124). Sein Hauptthema ist überhaupt der Akt des Dichtens und die dichterische Existenz. Sie nährt sich aus dem schon im Taoismus und Konfuzianismus dominierenden Ideal des Su do Ja (Weg des Tao-Übenden): einer mönchischen Lebensform wie in Europa etwa bei den frühchristlichen Eremiten und russischen Pilgern. Dichten als lebenslange und existentielle Aufgabe, als religiöse Verbindung von Himmel und Erde, wobei der Dichter mitten in der Zehnmillionenstadt Seoul wie auf einer „Niemandsinsel“ lebt, durch Meditation und freiwillige Askese nach Tugend und Erleuchtung strebt und somit Autorität als Lehrer und Meister gewinnt. Dieses Ideal, dem sich Park Hijin verschrieben hat, evoziert er in seinen Künstlergedichten, was ihm zuweilen kritische, aber auch einfühlsame Stimmen beschert. Gerade diese Haltung mit dem Anflug eines verschwiegenen Lächelns und das daraus erwachsene Schreiben macht seine besondere Originalität unter zeitgenössischen koreanischen Dichtern aus. Wer Park Hijin in seiner kleinen Wohnung aufsucht, trifft auf eine zunächst verwirrende Vielfalt kleiner Kunstobjekte, die nur ein Liebhaber gesammelt haben kann. Im Mittelpunkt aber nimmt ein Buddhakopf den Blick gefangen. Das läßt an sein vierzeiliges Kurzgedicht „Der Buddhakopf ????“ (S.93) denken: der Gegensatz vom lauten Gewirr der Megalopolis zur Stille seiner Behausung unter dem Blick des Buddha. Und vor dem breiten Fenster seines Hinterzimmers entfaltet sich das majestätische Panorama des Pukhan-Bergmassivs, das zu strenger Konzentration einlädt. Wir kennen ihn als schweigsamen Menschen, sogar in seinem Lesekreis. Er mischt sich kaum unter die Leute, scheint auch wenig umgänglich und liebenswürdig, lacht fast nie, setzt sich abseits, weniger jedoch aus Bescheidenheit, sondern eher, um seine Ruhe zu wahren. Er ist eine sehr gesammelte Existenz und möchte diese innere Sammlung lieber nicht durch Banalitäten zerrinnen lassen. Aber sobald er seine oder andere Gedichte vorträgt, die er mitunter interpretiert, und über Dichtung spricht, ist er begeistert. In der freien Natur fühlt er sich besonders wohl, z. B. bei dem im Frühling und Herbst stattfindenden Poesiefest am Berg Si san jä, wenn sich sein Dichterkreis auf dem Pukhan am Rande von Seoul an einer einsamen Stelle versammelt. Dort werden dem Berggeist – eine Konzession an die schamanistische Tradition – würdevoll Speisen und Getränke dargeboten. Die Teilnehmer tragen eigene Gedichte und Lieder vor, um anschließend fröhlich miteinander zu essen und zu trinken. Hervorzuheben sind seine Lesungen im Wald, dem passenden Ort für seine Naturgedichte. Sein Engagement für die Aufwertung der koreanischen Pinie ist bemerkenswert. Nicht zufällig hat er ihr den Lyrikband „Meine liebe Pinie“ mit Zeichnungen gewidmet. Er möchte die Anerkennung der Pinie, welche die koreanische Berglandschaft beherrscht und als Symbol der Aufrichtigkeit und Beständigkeit sogar Eingang in die koreanische Hymne gefunden hat, als Landesbaum neben der Landesblume Hibiskus. Seine Initiative hat schon Parlamentsebene erreicht. Vor wenigen Jahren hat Park Hijin am Rande eines buddhistischen Mönchsfriedhofes die eigene Grabstele enthüllt, die von ehemaligen Schülern entworfen und gestiftet wurde. Sie soll später seine Urne bergen. Auf der Rückseite steht das Gedicht „Der Durchgang ????” (S. 91) eingraviert. Park Hijin gehört zur älteren Dichtergeneration im heutigen Südkorea und ist dort ein Klassiker der Moderne. Sein Gesamtwerk umfaßt 25 poetische Einzeltitel und erscheint seit 2004 im Verlag Shi ua Jinshil, Seoul, bisher 4 Sammelbände Lyrik. Seine Gedichte wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Die chronologische und teilweise zweisprachige Werkauswahl lädt dazu ein, den Weg dieses unverwechselbaren Dichters kennenzulernen. Doo-Hwan und Regine Choi (Nachwort)
Aktualisiert: 2020-02-09
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Als der Hahn im Dorf am Fluß krähte, hing der Mond noch im Dachgesims

Als der Hahn im Dorf am Fluß krähte, hing der Mond noch im Dachgesims von Burghardt,  Juana, Burghardt,  Tobias, Burghardt,  Tobias & Juana, Choi,  Doo-Hwan & Regine, Toegye (Lee Hwang / Yi Hwang)
TOEGYE, eigentlich Lee Hwang oder Yi Hwang, geboren 1501 in Ongyeri bei Andong, Provinz Kyongsanpukdo, war der jüngste von sieben Brüdern und einer Schwester. Schon als kleiner Junge brachte ihm sein Onkel Yi-Ho die Lehrgespräche 'Lunyü' von Konfuzius näher. Und er begeisterte sich für die Gedichte des großen chinesischen Dichters Do Yeonmyong (365-427), auch Tao Yuanming oder Tao Qian genannt, des berühmten Meisters der fünf Weiden. So eiferte er ihm nach und schrieb seine ersten Gedichte. Mit 14 Jahren entstand beispielsweise sein Hanshi-Vierzeiler 'Der Krebs', der den 'Auftakt' in dieser chronologischen Werkauswahl bildet. Als er 20 Jahre alt war, vertiefte er sich in das 'Buch der Wandlung' (I Ching) und setzte sich mit neokonfuzianischen Schriften auseinander. Er verließ seine Heimat im Südwesten der koreanischen Halbinsel und ging 1523 zum Grundstudium der Geisteswissenschaften nach Seoul, das er 1528 mit der Jinsa-Prüfung abschloß. Er begann im Anschluß daran seine Amtslaufbahn als Inspektor und war 'Im Dienst der Königs unterwegs', wie das zweite Kapitel lautet. Er bereiste dabei mehrere Provinzen und besuchte die geschichtsträchtigen Ortschaften berühmter Dichter und Gelehrter, worüber er bisweilen gerne schrieb. Mit 33 Jahren lebte er erneut in Seoul und legte im Folgejahr die geisteswissenschaftliche Staatsprüfung in Literatur, Geschichte und Philosophie ab, die ihn zum gehobenen Dienst in der königlichen Regierung der Choson-Dynastie befähigte. Als seine Mutter starb, kehrte er in das Dorf seiner Kindheit zurück und trauerte drei Jahre, bevor er mit 39 Jahren seine königlichen Amtsgeschäfte wieder aufnahm. Er verabscheute die machthascherischen Intrigen am Königshof – einer seiner Brüder wurde ein Opfer einer großangelegten politischen Säuberungsmaßnahme – und war für seine moralische Integrität und unbestechliche Diensttreue bekannt, zumal er zu unterschiedlichen Anlässen die Hauptstadt verließ, um seine festen Grundsätze weiterhin wahren zu können. Mit 43 Jahren genoß er ein Freijahr – 'Die Zeit im Lesehaus', wie das zweite Kapitel heißt, in dem er sich am Rand der Hauptstadt weiterbilden sollte und vom König mit allerlei Speisen und Trank beliefert wurde. Seine poetischen und philosophischen Zwiegespräche mit chinesischen und koreanischen Klassikern spiegeln sich gerade in jenen Gedichten wider. Aber vor allem wuchs die innerer Zwiespältigkeit, sowohl Dichter und Philosoph, der allzugerne in der ländlichen Heimat leben möchte, als auch königlicher Amtmann im Bann der Hauptstadt zu sein. Schließlich zog er sich mit 49 Jahren in 'Das ersehnte Landleben' zurück, wie das dritte Kapitel überschrieben ist. Toegye folgte seinem großen Vorbild Konfuzius, um als Privatgelehrter zurückgezogen in seiner Heimat zu leben. Dort gründete er in Dosan bei Andong die Privatakademie 'Dosan-Seowon' für konfuzianisches Gedankengut, die dann als 'Toegye-Schule des Denkens' bekannt wurde und vier Jahrhunderte eine führende koreanische Akademie war. Bis zu seinem Tod 1570 wurde Toegye wiederholtermaßen zu immer höheren Ämtern berufen, aus denen er sich regelmäßig alsbald wieder entlassen ließ. Im Verlauf seines bewegten Lebens diente er den folgenden vier Königen: Jungjong (1506–1544), Injong (1544–1545), Myeongjong (1545–1567) und Seonjo (1567–1608). Er zählt mit dem jüngeren Dichter und Philosophen Yulgok (1536-1584), eigentlich Lee Sukheon oder Yi I, zu den großen Denkern des koreanischen Neokonfuzianismus und gleichzeitig zu den bedeutenden koreanischen Dichtern des 16. Jahrhunderts, die ihre Werke noch mit chinesischen Zeichen schrieben, die erst später in koreanischen Lautzeichen transkribiert worden sind, danach ins Koreanische. Sein Werk umfaßt mehr als zweitausend Gedichte und mehrere hundert philosophische Schriften. Für diese Werkauswahl haben Doo-Hwan und Regine Choi die Textgrundlage akribisch erarbeitet, aus der die deutsche Fassung anschließend entstanden ist. Nun können 53 Gedichte des koreanischen Denkers Toegye erstmals hier entdeckt und bekannt werden. Eine bemerkenswerte Eigenheit seiner Poetik ist die Lehre des Pung ryu do, 'der Kern der drei Lehren, nämlich Konfuzianismus, Buddhismus und Daoismus' (Choi Chi Un), eine tiefsinnige koreanische Naturphilosophie, deren traditionelle Spuren Toegye nicht allein nur sucht, sondern selbst als Pungryudo-Meister gestaltet und vorlebt, was ihm besonders im vierten Kapitel 'Lehrer in der Heimat' gelingt. Dabei verquicken die poetischen Motive der Gestaltlosigkeit, Abgeschiedenheit und Vervollkommnung durch Nichttun des Daoismus, der großen Leere und des Sitzens im leeren Raum der zen-buddhistische Betrachtung mit jener Klarheit und wachen Helle der konfuzianischen Erkenntnis. Er versöhnt sozusagen die Rationalität Li mit der Lebensenergie Qi und erlangt ein metaphysisches Herzdenken, das sowohl ethische als auch ästhetische Früchte nach sich trägt. Toegye spricht mitunter in der Stimme des Wassers oder der Pflaumenblüte und verleiht Felsen, Hochtälern und Flüssen neue Bezeichnungen, die noch heute gelten. Interessant sind zudem die Pavillon-Gedichte, die einerseits den Namen im Titel führen und andererseits eine landschaftsverbundene Architektur aufweisen, die mit den Jahreszeiten und augenblicklichen Naturereignissen als Lebensraum der Poesie korrespondiert. Nicht allein den Denker Toegye, sondern gerade auch den Dichter Toegye gilt es zu beachten. Tobias Burghardt (Jadeperlen)
Aktualisiert: 2020-02-09
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