Entwicklung der Fließspannung bei veränderlicher Umformgeschwindigkeit in der Warmumformung

Entwicklung der Fließspannung bei veränderlicher Umformgeschwindigkeit in der Warmumformung von Dierdorf,  Jens
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde der Einfluss von sich ändernden Umformgeschwindigkeiten auf den Verlauf der Fließspannung für verschiedene industriell eingesetzte Werkstoffe untersucht. Die Werkstoffe und Umformbedingungen wurden dabei so gewählt, dass die Entfestigung während der Warmumformung durch unterschiedliche dominierende Mechanismen abläuft: Ein Einsatzstahl, der primär durch dynamische Rekristallisation entfestigt, eine Aluminiumlegierung, bei der die Entfestigung durch dynamische Erholung erfolgt und eine Nickelbasislegierung, die eine Kombination aus beiden Phänomenen zeigt. Für diese Werkstoffklassen wurde über die Untersuchungsreihen ermittelt, inwieweit die Fließspannung bei sich ändernden Umformgeschwindigkeiten von klassischen Fließspannungsmodellen abweicht, die auf Basis von Grundversuchen kalibriert wurden, welche bei konstanter Temperatur und Umformgeschwindigkeit aufgenommen wurden. Im Fokus stand dabei vor allem der einfachste und am häufigsten genutzte Ansatz der linearen Interpolation. Ziel dieser Untersuchungen war es, die Fehleranfälligkeit simulationsgestützter Prozessmodellierungen zu überprüfen, die typischerweise auf derartigen Fließspannungsmodellen basieren. Da die im Rahmen dieser Modellierungen ausgelegten industriellen Umformprozesse jedoch in nahezu allen Fällen durch sich ändernde Umformgeschwindigkeiten für jeden Punkt in der Bauteilgeometrie gekennzeichnet sind, besteht eine Gefahr für Abweichungen in der Fließspannungsvorhersage, die auf Basis der Interaktion von Verfestigung und Entfestigung entstehen. In früheren Untersuchungen aus der Literatur gibt es schon Ergebnisse zu sogenannten Strain-Rate-Jump Tests. Bei diesen Grundversuchen wurde die Umformgeschwindigkeit, beispielsweise im Stauchversuch, schlagartig erhöht bzw. reduziert, um das Werkstoffverhalten als Sprungantwort auf diese Änderung zu betrachten. Diese Versuche fanden jedoch meist bei sehr geringen Umformgeschwindigkeiten statt. Darüber hinaus sind die Umformgeschwindigkeiten in industriellen Umformprozessen typischerweise nicht durch Sprünge, sondern durch nahezu lineare Änderungen charakterisiert. Daher wurde in Rahmen der vorliegenden Arbeit der Fokus auf lineare Änderungen der Umformgeschwindigkeit gelegt und zusätzlich auch gezielt Umformgeschwindigkeitsverläufe im Grundversuch nachgefahren, welche aus Materialpunkten von exemplarischen, industriellen Umformprozessen ermittelt wurden. Die ermittelten Ergebnisse der Untersuchungsreihen und die ermittelten Zusammenhänge lassen sich in den nachfolgenden Kernaussagen zusammenfassen: 1. Der Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 zeigt als Antwort auf eine sich ändernde Umformgeschwindigkeit ein Einschwingverhalten in der gemessenen Fließspannung. Bei einem schlagartigen Anstieg der Umformgeschwindigkeit führt dies zu einem Überschießen der Steady-State Fließspannung und bei einem schlagartigen Abfall zu einer Verringerung der Fließspannung unter diese, bevor es zu einem Angleichen mit der Fließkurve kommt, die bei konstanter Umformgeschwindigkeit aufgenommen wurde. 2. Bei einer linearen Änderung der Umformgeschwindigkeit nehmen diese Abweichungen für den Einsatzstahl mit abnehmender Änderungsrate der Umformgeschwindigkeit ab. In den untersuchten Fällen konnten jedoch keine Grenzen gefunden werden, bei denen die Fließspannung nur durch die Zustandsvariablen und nicht durch die Historie der Umformgeschwindigkeit beeinflusst wird. Derartige Grenzen waren beispielsweise durch Barraclough und Sellars [39] beschrieben. 3. Im Vergleich zum Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 konnte für die ebenfalls untersuchte Aluminiumlegierung EN AW-6016 nahezu kein Einschwingverhalten nach oder während eines Wechsels der Umformgeschwindigkeit festgestellt werden. 4. Diese Unterschiede zwischen der Aluminiumlegierung und dem Einsatzstahl sowie die beim Einsatzstahl beobachteten ver- und entfestigungsdominierten Bereiche legen den Schluss nahe, dass die Werkstoffreaktion ganz maßgeblich durch die dominierenden Entfestigungsverhalten bestimmt wird. Beim Einsatzstahl erfolgt die Entfestigung primär durch dynamische Rekristallisation. Diese Gefügeneubildung bedarf einer Inkubationszeit, welche auch schon den typischen Verlauf einer klassischen Warmfließkurve mit Peak-Strain, Abnahme der Fließspannung und Einpendeln auf einen Steady-State Wert erklärt. Vergleichbare Verläufe lassen sich ebenfalls für Änderungen der Umformgeschwindigkeit feststellen.
Aktualisiert: 2023-06-30
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Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde der Einfluss von sich ändernden Umformgeschwindigkeiten auf den Verlauf der Fließspannung für verschiedene industriell eingesetzte Werkstoffe untersucht. Die Werkstoffe und Umformbedingungen wurden dabei so gewählt, dass die Entfestigung während der Warmumformung durch unterschiedliche dominierende Mechanismen abläuft: Ein Einsatzstahl, der primär durch dynamische Rekristallisation entfestigt, eine Aluminiumlegierung, bei der die Entfestigung durch dynamische Erholung erfolgt und eine Nickelbasislegierung, die eine Kombination aus beiden Phänomenen zeigt. Für diese Werkstoffklassen wurde über die Untersuchungsreihen ermittelt, inwieweit die Fließspannung bei sich ändernden Umformgeschwindigkeiten von klassischen Fließspannungsmodellen abweicht, die auf Basis von Grundversuchen kalibriert wurden, welche bei konstanter Temperatur und Umformgeschwindigkeit aufgenommen wurden. Im Fokus stand dabei vor allem der einfachste und am häufigsten genutzte Ansatz der linearen Interpolation. Ziel dieser Untersuchungen war es, die Fehleranfälligkeit simulationsgestützter Prozessmodellierungen zu überprüfen, die typischerweise auf derartigen Fließspannungsmodellen basieren. Da die im Rahmen dieser Modellierungen ausgelegten industriellen Umformprozesse jedoch in nahezu allen Fällen durch sich ändernde Umformgeschwindigkeiten für jeden Punkt in der Bauteilgeometrie gekennzeichnet sind, besteht eine Gefahr für Abweichungen in der Fließspannungsvorhersage, die auf Basis der Interaktion von Verfestigung und Entfestigung entstehen. In früheren Untersuchungen aus der Literatur gibt es schon Ergebnisse zu sogenannten Strain-Rate-Jump Tests. Bei diesen Grundversuchen wurde die Umformgeschwindigkeit, beispielsweise im Stauchversuch, schlagartig erhöht bzw. reduziert, um das Werkstoffverhalten als Sprungantwort auf diese Änderung zu betrachten. Diese Versuche fanden jedoch meist bei sehr geringen Umformgeschwindigkeiten statt. Darüber hinaus sind die Umformgeschwindigkeiten in industriellen Umformprozessen typischerweise nicht durch Sprünge, sondern durch nahezu lineare Änderungen charakterisiert. Daher wurde in Rahmen der vorliegenden Arbeit der Fokus auf lineare Änderungen der Umformgeschwindigkeit gelegt und zusätzlich auch gezielt Umformgeschwindigkeitsverläufe im Grundversuch nachgefahren, welche aus Materialpunkten von exemplarischen, industriellen Umformprozessen ermittelt wurden. Die ermittelten Ergebnisse der Untersuchungsreihen und die ermittelten Zusammenhänge lassen sich in den nachfolgenden Kernaussagen zusammenfassen: 1. Der Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 zeigt als Antwort auf eine sich ändernde Umformgeschwindigkeit ein Einschwingverhalten in der gemessenen Fließspannung. Bei einem schlagartigen Anstieg der Umformgeschwindigkeit führt dies zu einem Überschießen der Steady-State Fließspannung und bei einem schlagartigen Abfall zu einer Verringerung der Fließspannung unter diese, bevor es zu einem Angleichen mit der Fließkurve kommt, die bei konstanter Umformgeschwindigkeit aufgenommen wurde. 2. Bei einer linearen Änderung der Umformgeschwindigkeit nehmen diese Abweichungen für den Einsatzstahl mit abnehmender Änderungsrate der Umformgeschwindigkeit ab. In den untersuchten Fällen konnten jedoch keine Grenzen gefunden werden, bei denen die Fließspannung nur durch die Zustandsvariablen und nicht durch die Historie der Umformgeschwindigkeit beeinflusst wird. Derartige Grenzen waren beispielsweise durch Barraclough und Sellars [39] beschrieben. 3. Im Vergleich zum Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 konnte für die ebenfalls untersuchte Aluminiumlegierung EN AW-6016 nahezu kein Einschwingverhalten nach oder während eines Wechsels der Umformgeschwindigkeit festgestellt werden. 4. Diese Unterschiede zwischen der Aluminiumlegierung und dem Einsatzstahl sowie die beim Einsatzstahl beobachteten ver- und entfestigungsdominierten Bereiche legen den Schluss nahe, dass die Werkstoffreaktion ganz maßgeblich durch die dominierenden Entfestigungsverhalten bestimmt wird. Beim Einsatzstahl erfolgt die Entfestigung primär durch dynamische Rekristallisation. Diese Gefügeneubildung bedarf einer Inkubationszeit, welche auch schon den typischen Verlauf einer klassischen Warmfließkurve mit Peak-Strain, Abnahme der Fließspannung und Einpendeln auf einen Steady-State Wert erklärt. Vergleichbare Verläufe lassen sich ebenfalls für Änderungen der Umformgeschwindigkeit feststellen.
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Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde der Einfluss von sich ändernden Umformgeschwindigkeiten auf den Verlauf der Fließspannung für verschiedene industriell eingesetzte Werkstoffe untersucht. Die Werkstoffe und Umformbedingungen wurden dabei so gewählt, dass die Entfestigung während der Warmumformung durch unterschiedliche dominierende Mechanismen abläuft: Ein Einsatzstahl, der primär durch dynamische Rekristallisation entfestigt, eine Aluminiumlegierung, bei der die Entfestigung durch dynamische Erholung erfolgt und eine Nickelbasislegierung, die eine Kombination aus beiden Phänomenen zeigt. Für diese Werkstoffklassen wurde über die Untersuchungsreihen ermittelt, inwieweit die Fließspannung bei sich ändernden Umformgeschwindigkeiten von klassischen Fließspannungsmodellen abweicht, die auf Basis von Grundversuchen kalibriert wurden, welche bei konstanter Temperatur und Umformgeschwindigkeit aufgenommen wurden. Im Fokus stand dabei vor allem der einfachste und am häufigsten genutzte Ansatz der linearen Interpolation. Ziel dieser Untersuchungen war es, die Fehleranfälligkeit simulationsgestützter Prozessmodellierungen zu überprüfen, die typischerweise auf derartigen Fließspannungsmodellen basieren. Da die im Rahmen dieser Modellierungen ausgelegten industriellen Umformprozesse jedoch in nahezu allen Fällen durch sich ändernde Umformgeschwindigkeiten für jeden Punkt in der Bauteilgeometrie gekennzeichnet sind, besteht eine Gefahr für Abweichungen in der Fließspannungsvorhersage, die auf Basis der Interaktion von Verfestigung und Entfestigung entstehen. In früheren Untersuchungen aus der Literatur gibt es schon Ergebnisse zu sogenannten Strain-Rate-Jump Tests. Bei diesen Grundversuchen wurde die Umformgeschwindigkeit, beispielsweise im Stauchversuch, schlagartig erhöht bzw. reduziert, um das Werkstoffverhalten als Sprungantwort auf diese Änderung zu betrachten. Diese Versuche fanden jedoch meist bei sehr geringen Umformgeschwindigkeiten statt. Darüber hinaus sind die Umformgeschwindigkeiten in industriellen Umformprozessen typischerweise nicht durch Sprünge, sondern durch nahezu lineare Änderungen charakterisiert. Daher wurde in Rahmen der vorliegenden Arbeit der Fokus auf lineare Änderungen der Umformgeschwindigkeit gelegt und zusätzlich auch gezielt Umformgeschwindigkeitsverläufe im Grundversuch nachgefahren, welche aus Materialpunkten von exemplarischen, industriellen Umformprozessen ermittelt wurden. Die ermittelten Ergebnisse der Untersuchungsreihen und die ermittelten Zusammenhänge lassen sich in den nachfolgenden Kernaussagen zusammenfassen: 1. Der Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 zeigt als Antwort auf eine sich ändernde Umformgeschwindigkeit ein Einschwingverhalten in der gemessenen Fließspannung. Bei einem schlagartigen Anstieg der Umformgeschwindigkeit führt dies zu einem Überschießen der Steady-State Fließspannung und bei einem schlagartigen Abfall zu einer Verringerung der Fließspannung unter diese, bevor es zu einem Angleichen mit der Fließkurve kommt, die bei konstanter Umformgeschwindigkeit aufgenommen wurde. 2. Bei einer linearen Änderung der Umformgeschwindigkeit nehmen diese Abweichungen für den Einsatzstahl mit abnehmender Änderungsrate der Umformgeschwindigkeit ab. In den untersuchten Fällen konnten jedoch keine Grenzen gefunden werden, bei denen die Fließspannung nur durch die Zustandsvariablen und nicht durch die Historie der Umformgeschwindigkeit beeinflusst wird. Derartige Grenzen waren beispielsweise durch Barraclough und Sellars [39] beschrieben. 3. Im Vergleich zum Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 konnte für die ebenfalls untersuchte Aluminiumlegierung EN AW-6016 nahezu kein Einschwingverhalten nach oder während eines Wechsels der Umformgeschwindigkeit festgestellt werden. 4. Diese Unterschiede zwischen der Aluminiumlegierung und dem Einsatzstahl sowie die beim Einsatzstahl beobachteten ver- und entfestigungsdominierten Bereiche legen den Schluss nahe, dass die Werkstoffreaktion ganz maßgeblich durch die dominierenden Entfestigungsverhalten bestimmt wird. Beim Einsatzstahl erfolgt die Entfestigung primär durch dynamische Rekristallisation. Diese Gefügeneubildung bedarf einer Inkubationszeit, welche auch schon den typischen Verlauf einer klassischen Warmfließkurve mit Peak-Strain, Abnahme der Fließspannung und Einpendeln auf einen Steady-State Wert erklärt. Vergleichbare Verläufe lassen sich ebenfalls für Änderungen der Umformgeschwindigkeit feststellen.
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