Ökonomie und Gesellschaft / Jenseits von Staat und Kapital?

Ökonomie und Gesellschaft / Jenseits von Staat und Kapital? von Gijsel,  P de, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes
Inhalt Heinz Holländer: Die Theorie sozialer Wachstumsgrenzen Rudolf Burger: Dialektik und Erosion. Spekulativer Versuch zur Beantwortung der Frage, warum es einen "Wertewandel" gibt Johannes Berger: Wege aus der Stagnation. Eine "dualwirtschaftliche" Skizze Hans-Jürgen Wagener: Allmacht oder Ohnmacht: Die Rolle des Staates im sozialistischen Wirtschaftssystem Jürgen Bärsch, Jürgen Frank: Kollektive Verwaltung der Umwelt versus ökologische Selbstbestimmung Horst Kern, Michael Schumann: Betriebliche Rationalisierung und gesellschaftliche Modernisierung Ulrich Wittmann: Die Alternative der Alternativökonomie Michael Krüger: Lebensfähiger Mikrosozialismus. Über alternative Möglichkeiten des gesellschaftlichen Lebens und Arbeitens anhand des israelischen Kibuz Ernst Fehr: Die selbstverwaltete Unternehmung - eine effiziente Alternative zum Kapitalismus? Editorial Es gibt heute nicht wenige, die in bestehenden kapitalistischen Ökonomien jenseits von Kapital und Staat einen gesellschaftlichen Bereich vermuten, der die Probleme nicht kennt, die der kapitalistische Sektor produziert: Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Entfremdung. Dieser gesellschaftliche Bereich, für den sich so unterschiedliche und nicht deckungsgleiche Begriffe wie Schattenwirtschaft, Alternativökonomie, duale Wirtschaft, Selbstverwaltungswirtschaft eingebürgert haben, ist frei von staatlicher Reglementierung und dominierenden Kapitalinteressen die aus radikaler und konservativer Sicht die zentralen Ursachen der inzwischen schon über zehn Jahre dauernden ökonomischen Krise in der westlichen Welt sind. Diese Ursachen erklären zugleich, warum dieser gesellschaftliche Bereich so an Bedeutung zugenommen hat. Aus konservativer Sicht sind die meisten Märkte aufgrund der staatlichen Reglementierung inzwischen sklerotisch geworden. Der Preismechanismus ist weitgehend außer Kraft gesetzt, so daß die Märkte ihre Allokationsfunktion nicht mehr erfüllen können. Die Ausdehnung einer florierenden Schattenwirtschaft, in der Märkte frei von staatlicher Reglementierung funktionieren, liefert aus dieser Sicht einen Beleg für die Richtigkeit der These, daß Märkte nur dann zu einer optimalen Allokation der Ressourcen führen, wenn sich die Marktkräfte ungehindert entfalten können. Aus radikaler Sicht gibt es für die Existenz und die gewachsene Bedeutung des Sektors jenseits von Kapital und Staat ganz andere Gründe. Die Entwicklung dieses Sektors unterliegt im wesentlichen der Gesetzmäßigkeit, mit der das Kapital sich selber in zeitlichen Abständen die Bedingungen für eine bessere Profitabilität schafft. Der gesellschaftliche Bereich, der jenseits von Kapital und Staat liegt, ist aus dieser Sicht eher als eine Nische zu betrachten, in der die kapitalistische Produktionsweise sich bislang nicht rentierte und in die ein Teil der industriellen Reservearmee sich solange zurückziehen kann, bis das Kommando des Kapitals seine Soldaten wieder in die industriellen Kasernen zurückholt. Die Dialektik der ökonomischen Entwicklung kann allerdings aus radikaler Sicht dem Kapital ein Schnippchen schlagen, wenn sich die in die Alternativökonomie zurückgezogenen Söldner durch ein verändertes Bewußtsein eines Besseren besinnen und sich entschließen, in der Alternativökonomie zu bleiben, weil nicht die Teilnahme an einer fremdbestimmten Produktion ihnen jetzt mehr erstrebenswert erscheint, sondern Selbstbestimmung und Entfaltung einer eigenen Individualität unter kooperativen Produktionsbedingungen. Dem gesellschaftlichen Bereich jenseits von Kapital und Staat werden somit, je nach Standort des Beobachters, ganz unterschiedliche Funktionen zugesprochen. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Sichtweisen ist dabei, daß aus radikaler Sicht mit der Existenz eines gesellschaftlichen Bereichs jenseits von Kapital und Staat die Vorstellung von einem freien, nichtentfremdeten Zusammenleben von Menschen als Individuen verbunden wird, das in der kapitalistischen Ökonomie aus systematischen Gründen nicht möglich ist. Was ist an dieser Vorstellung dran? Ihre Akzeptanz hängt von dem Nachweis ab, daß kapitalistische Ökonomien systematisch Probleme erzeugen, die durch staatliche Beeinflussung des kapitalistischen Sektors nicht mehr gelöst werden können, sondern nur durch die Entwicklung alternativer ökonomischer Produktions- und sozialer Lebensformen, die entweder eine Ergänzung des defizitären kapitalistischen Sektors bilden oder diesen gar ersetzen. Die ökonomische Dauerkrise scheint empirisch den erforderlichen Nachweis zu erbingen. Deutet die Dauer der ökonomischen Krise nicht darauf hin, daß die Wachstumskräfte in kapitalistischen Ökonomien inzwischen erlahmt sind? Daß diese Interpretation strittig ist, zeigt die laufende Debatte über die wahren Krisenursachen. Die Gegenposition wird bekanntlich von der konservativen Seite eingenommen, die die gehemmte Wachstumsdynamik nach wie vor für vorübergehend hält und die lange Dauer der ökonomischen Krise auf die nach wie vor zu starke staatliche Drangsalierung der Märkte oder zu hohe Löhne zurückführt. Deregulierung, Lohnstopp oder gar Lohnsenkung könnten im Prinzip die Wachstumslokomotive wieder in Gang setzen und die Arbeitslosigkeit abbauen. Ein anderer Standpunkt lautet, daß Wachstum im Kapitalismus sicherlich nach wie vor möglich sei, wenngleich es inzwischen mit prohibitiv hohen sozialen Kosten verbunden sei, die durch bestehende natürliche und soziale Grenzen des Wachstums erklärt werden könnten. Die natürlichen Grenzen des Wachstums zeigten sich dabei in der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, während die sozialen Grenzen sich darin manifestierten, daß Wachstum nicht mehr zu einer Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt beitrage, ja sie sogar verringerte. Der zentrale Grund für die Existenz sozialer Wachstumsgrenzen wird darin gesehen, daß Menschen bei zunehmendem materiellen Reichtum nicht mehr weiter nach einer besseren Versorgung mit materiellen Gütern streben, sondern vielmehr zunehmend immaterielle Ziele wie soziale Anerkennung u.a. zu verwirklichen trachten. Die Crux ist nun die, daß der einzelne aufgrund der Funktionsweise kapitalistischer Wirtschaftssysteme glaubt, diese Ziele durch zusätzliche Güterproduktion erreichen zu können, was aber allen Individuen wegen der Knappheit von Statusgütern, die soziale Anerkennung verschaffen sollen, nicht möglich ist. Die Konkurrenz um diese Statusgüter führt zwar zu mehr Wachstum, fördert aber die gesellschaftliche Wohlfahrt nicht. Im Gegenteil, die gesellschaftliche Wohlfahrt wird sogar negativ dadurch beeinflußt, daß das Streben nach Statusgütern zu einer systematischen Unterminierung von sozial orientiertem Verhalten führt. Die Theorie sozialer Wachstumsgrenzen, wie sie von Hirsch und Mishan vertreten wird und die H. Holländer in diesem Band im Rahmen der modernen ökonomischen Theorie weiter ausbaut, enthält eine Vision von der Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftssysteme, nach der das Anwachsen des materiellen Reichtums einhergeht mit einer sozialen Verelendung, die sich in der Aufgabe von sozialorientiertem Verhalten und der Vereinzelung des Menschen zeigt. Der Kulturpessimismus, der in dem Beitrag von H. Holländer anklingt, kommt in dem Beitrag von H. Burger noch stärker zum Ausdruck. Er ist das Resultat einer Analyse, die zeigt, daß die Marxsche Revolutionstheorie nicht haltbar ist. Die Grundlage dieser Theorie bildet das von Hegel in seiner Phänomenologie des Geistes entwickelte Modell des Herr-Knecht-Verhältnisses, das bestimmend sowohl für die Hegelsche Geschichtsphilosophie als auch für die marxistische Revolutionstheorie geworden ist. Burger unternimmt eine Reformulierung des Hegelschen Modells in marxistischen Kategorien und zeigt, daß der Fortschrittsglaube, der hinter der Marxschen Revolutionstheorie steckt, auf einer Fehlinterpretation des Hegelschen Modells beruht. Der Fortschritt, wie er in der Marxschen Theorie durch die Entwicklung der Produktivkräfte zum Ausdruck kommt und der letztlich die Sprengung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse verursacht, führt nicht geradlinig in das kommunistische Reich der Freiheit. Aus einer marxistischen Reformulierung des Hegelschen Herr-Knecht-Verhältnisses kann man nach Burger nur folgern, daß der Fortschritt keine Grenzen kennt. Ganz im Geiste von Adorno kommt Burger zu dem Schluß, daß die Entwicklung des Fortschritts innerhalb des Kapitalismus sich nur in eine Richtung beschreiben läßt. Sie führt zu einer fortschreitenden Erosionskrise, die sich in einer Krise aller traditionellen Werte, angefangen vom bürgerlichen Arbeitsethos bis hin zum sozialistischen Traum von der Revolution zeigt. Die Apokalypse des Kapitalismus, die Burger am Ende seines Aufsatzes beschreibt, läßt keine Hoffnung mehr auf eine Befreiung des entfremdeten Individuums zu, das in einer negativen Dialektik gefangen bleibt. Diesem Kulturpessimismus versucht J. Berger durch seine Skizze einer Dualwirtschaft zu entkommen. Auch er geht wie Holländer davon aus, daß dem Wachstum in kapitalistischen Ökonomien Grenzen gesetzt sind, wobei er vor allem die natürlichen Grenzen des Wachstums sieht. Die sozialen Probleme, die in Zukunft infolge eines geringeren Wirtschaftswachstums entstehen bzw. bestehen bleiben, können eine Lösung nur finden, indem die Entwicklung eines zum kapitalistischen Sektor dualen Bereichs gefördert wird, welcher eine umweltfreundliche Produktionsstruktur aufweist und jedem Individuum eine Existenzmöglichkeit bietet. Die von Berger beschriebenen umweltpolitischen und arbeitspolitischen Maßnahmen laufen auf Neuerungen in drei Richtungen hinaus: Ökologische Gesichtspunkte werden stärker im Wirtschaftsprozeß berücksichtigt; es werden arbeitsmarktunabhängige Existenzformen geschaffen, und es wird für eine größere Vielfalt von Wirtschaftsformen und Lebensweisen gesorgt. Der Beitrag von Berger ist weniger von der Realisierbarkeit der erhobenen Forderungen her zu bewerten als vielmehr von dem Bemühen, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, in das heute eine radikale Reformpolitik gerät, die weder einen Sozialismus in Gestalt des real existierenden Sozialismus anstrebt noch eine Gesellschaftsordnung, die für unverzichtbar gehaltene soziale, technische und kulturelle Errungenschaften preisgibt. Der real existierende Sozialismus gilt heute vielen als nicht gerade attraktive Alternative zum Kapitalismus, obwohl oder vielleicht gerade weil er mit einem Bein zwar schon jenseits vom Kapital, mit dem anderen jedoch noch fest diesseits vom Staat steht. Es ist die Geschichte und Rolle des allmächtigen Staates im real existierenden Sozialismus, der das Fürchten gelehrt hat und die Zweifel begründet, daß bei Existenz eines autoritären Staates jenseits von Kapital die Entwicklung einer freien Gesellschaft von Individuen nicht möglich ist. Allerdings macht H.J. Wagener in seinem Aufsatz über die Rolle des Staates im sozialistischen Wirtschaftssystem darauf aufmerksam, daß die Herrschaft des Staates sich im Laufe der Zeit gewandelt hat und hierfür zwei Gründe besonders zu nennen sind, nämlich erstens die Effizienzmängel des traditionellen Wirtschaftssystems vom sowjetischen Typ mit seiner zentralistischen Planung und zweitens die Entwicklung individueller Bedürfnisse. Beide Faktoren haben im real existierenden Sozialismus dazu geführt, dem Markt als Regelmechanismus mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wie aber sieht das optimale Verhältnis von Markt und Staat aus? Die Beantwortung dieser Frage gehört zu den zentralen und bislang ungelösten Problemen des real existierenden Sozialismus. Die Bestimmung des Verhältnisses von Markt und Staat ist auch für die Entwicklung eines Alternativsektors innerhalb kapitalistischer Ökonomien relevant. Gerade unter Alternativökonomen, die in einem dualen Bereich zum kapitalistischen Sektor eine alternatlvökonomische Produktionsstruktur errichten wollen, ist das Verhältnis zum Staat sehr ambivalent. Die Diskussion um die sogenannte Staatsknete gibt hierfür ein beredtes Beispiel. Diese Diskussion zeigt, daß jede Bestimmung von alternativen Lebens- und Produktionsformen um eine Bestimmung der Staatsfunktionen nicht herumkommt, sobald der duale Bereich nicht nur als eine quantitativ unbedeutende Nische, sondern als ein gesellschaftlich relevantes Subsystem neben der kapitalistischen Ökonomie begriffen wird. Da die ökonomischen Aktivitäten in diesem Alternativsektor auch über Märkte koordiniert werden, muß das Verhältnis von Markt und Staat früher oder später für eine Theorie des Alternativsektors zu einem relevanten Problem werden. Daß das Verhältnis von Staat und Markt in der Diskussion der Alternativökonomie ein bislang vernachlässigtes Thema ist, wird durch den Beitrag von J. Frank und J. Bärsch deutlich, der sich mit der Lösung der Umweltproblematik aus ökonomischer Sicht beschäftigt. Das Problem ist, wie institutionell letztlich gesichert werden kann, daß die Umwelt in einer für die Gesellschaft optimalen Weise behandelt wird. Die Verfasser setzen sich u.a. kritisch mit der Strategie von Ökologen auseinander, jenseits von Kapital und Staat durch das Proklamieren von moralischen Geboten ein verändertes Umweltbewußtsein und eine umweltfreundliche Produktion zu sichern. Sie halten diese Strategie für untauglich und kommen in ihrer Analyse zu dem Ergebnis, daß nur die Einführung eines ökologischen Selbstbestimmungsrechts bei gleichzeitiger Zuerkennung eines Schadenersatzrechtes für den Fall, daß dieses Selbstbestimmungsrecht verletzt wird, zu einem Erfolg im Kampf um eine gesunde Umwelt führen kann. Eine Lösung der Umweltproblematik jenseits vom Staat kann diesen Autoren zufolge nicht stattfinden. Die Arbeit von J. Frank und J. Bärsch macht auf die Schwierigkeit aufmerksam, die Probleme richtig zu identifizieren, für die ein alternativer Sektor jenseits von Kapital und Staat eine adäquate Lösung geben kann. Dieses Problem wird auch durch die Arbeit von H. Kern und M. Schumann sichtbar. Diese Autoren präsentieren die Ergebnisse einer dreijährigen industriesoziologischen Untersuchung über die Veränderung von Quallfikationsprofilen bei Rationalisierungen in der Automobil-, Werkzeugmaschinenbau- und in der chemischen Industrie. Sie kommen zu dem unerwarteten Ergebnis, daß mit den gegenwärtig zu beobachtenden Rationalisierungsprozessen gleichzeitig eine Verschärfung des Bewußtseins für die qualitativen Aspekte menschlicher Arbeitsleistungen einhergeht. In den untersuchten Industriezweigen konnten sie eine Trendwende in der Arbeitsgestaltung beobachten, die durch die Stichworte Aufgabenintegration und Reprofessionalisierung der Produktionsarbeit sowie Aufwertung des Facharbeiterbetriebs charakterisiert werden kann. Mit ihren Untersuchungsergebnissen und den Schlußfolgerungen, die sie aus diesen ziehen, stellen sich die Verfasser in einen deutlichen Gegensatz zu solchen Autoren wie Dahrendorf, die das Ende der Arbeitsgesellschaft in Aussicht gestellt haben. Für sie läuft die Entwicklung zumindest im industriellen Kernbereich dahin, daß die Qualifikationsanforderungen an die menschliche Arbeit in Zukunft zunehmen werden, und sie warnen davor, dem modischen Trend zu folgen, die Fortschrittshoffnungen auf den Bereich jenseits von Arbeit in einem alternativen Sektor zu fixieren. Die Ergebnisse von H. Kern und M. Schumann müssen als eine Warnung davor verstanden werden, die Lösung von gesellschaftlichen Problemen unreflektiert in den Alternativsektor, also jenseits von Kapital und Staat, zu transponieren, wo Arbeit die Qualität erhalten soll, die die kapitalistische Produktionsweise ihr nicht zugesteht, solange nicht nachgewiesen ist, daß die kapitalistische Produktionsweise aus systematischen Gründen zu einer Dequalifizierung der Arbeit führt. Auch eine beobachtbare Zunahme des Alternativsektors jenseits von Kapital und Staat sollte nicht unreflektiert als Indiz dafür angesehen werden, daß im kapitalistischen Sektor bereits die Todesglocken läuten und eine grundlegende Gesellschaftstransformation durch die Ausdehnung des Alternativsektors bevorsteht. Der Beitrag von U. Wittmann macht u.a. deutlich, daß Arbeitslosigkeit im kapitalistischen Sektor eine Ursache für die Entstehung selbstverwalteter Betriebe sein kann, so daß beim Verschwinden der Arbeitslosigkeit auch die Bedeutung des alternativen Sektors wieder abnimmt. Wie können nun konkret Produktionsalternativen jenseits von Kapital und Staat aussehen? Einen konkreten Hinweis gibt M. Krüger mit seinem Beitrag über das Kibbuzsystem. M. Krüger vertritt den Standpunkt, daß ungeachtet der historischen und ideologischen Besonderheiten des Kibbuzsystems dieser Mikrosozialismus auch in anderen kapitalistischen Ländern wie z.B. die BRD realisierbar ist. Abstrahiert man von der Ideologie der Kibbuzbewegung und betrachtet man nur die Organisations- und Produktionsstruktur dieses Systems, dann kommt man nicht umhin festzustellen, daß vergleichbare Experimente auch in der BRD laufen, wenngleich diese Projekte nicht auf eine so lange Geschichte zurückblicken können wie das Kibbuzsystem, welches inzwischen über siebzig Jahre besteht. Gerade diese Stabilität läßt die Frage nach den Bedingungen entstehen, unter denen Mikrosozialismen in einer kapitalistischen Umwelt dauerhaft existieren können. Eine Antwort kann die Kibbuzbewegung denjenigen alternativen Ökonomen mit auf den Weg geben, die dem Effizienzdenken ablehnend gegenüberstehen: Mikrosozialismen haben nur eine Chance, wenn sie sich darauf einlassen, gegen jedwede Konkurrenz bestehen zu wollen. Inwiefern selbstverwaltete Kooperativen wie das Kibbuzsystem oder existierende alternative Betriebe in der BRD langfristig kapitalistischen Unternehmen überlegen sein können, ist eine theoretische Frage, auf die man bislang im Rahmen der Theorie der Selbstverwaltungswirtschaft keine definitive Antwort geben kann. Diesen Schluß zieht E. Fehr am Ende seines Überblicksaufsatzes über die Theorie der Selbstverwaltungswirtschaft (vgl. zu dieser Frage auch den Beitrag von U. Wittmann).
Aktualisiert: 2018-11-08
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Ökonomie und Gesellschaft / Die Neoklassik und ihre Herausforderungen

Ökonomie und Gesellschaft / Die Neoklassik und ihre Herausforderungen von Gijsel,  P de, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wittmann,  Ulrich
Inhalt Franz Haslinger, Johannes Schneider: Die Relevanz der Gleichgewichtstheorie. Gleichgewichtstheorien als Grundlage der ordnungs- und wirtschaftspolitischen Diskussion Peter Kalmbach, Heinz Kurz: Klassik, Neoklassik und Neuklassik Hajo Riese: Geldökonomie, Keynes und die Anderen. Kritik der monetären Grundlagen der Orthodoxie Winfried Vogt: Eine Theorie des kapitalistischen Gleichgewichts Matthes Buhbe/Rolf von Lüde: Grundlagen und Probleme der Angebotspolitik Jürgen Frank: Markt versus Staat. Zur Kritik einer Chicago-Doktrin Ein Jahrbuch für Ökonomie und Gesellschaft!? Diese uns Individuen immer wieder so unerklärliche Gesellschaft! Zwischen Reichtum und Armut, Freiheit und Unterdrückung, Individualität und Entfremdung, Aufstieg und Niedergang, Ordnung und Anarchie - wo stehen, was bewirken, was verhindern wir, und warum, bzw. warum nicht? Welche Theorie erklärt uns, was geschehen ist, vor sich geht und sein kann? Es hat eine politische Ökonomie gegeben, die sich den Versuch zugetraut hat, über das problematische Verhältnis von Individuum und Gesellschaft aufzuklären. War dieser Anspruch unberechtigt, überzogen, vermessen? Es scheint so, wenn man bedenkt, daß die ökonomische Wissenschaft selbst lange schon weitgehend auf ihn verzichtet hat. Auch spricht dafür, daß es eine Reihe von Gesellschaftsphilosophien gibt, welche ohne die Begriffe der politischen Ökonomie ausgekommen sind. Aber haben sie die Gesellschaft in ihrem Verhältnis zum Individuum besser begriffen? Bei allem Respekt vor nicht-ökonomischen philosophischen und sozialwissenschaftlichen Deutungen dieses Verhältnisses wird man doch in keiner von ihnen einen so unmetaphysischen und gründlichen analytischen Ansatz finden wie in der klassischen politischen Ökonomie von Smith bis Marx. Ja, man wird den Eindruck nicht los, daß diese politische Ökonomie wie der Igel vor dem Hasen immer schon da war. In der klassischen politischen Ökonomie leuchtet nämlich schon die Dialektik des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft so auf, daß keiner seiner Aspekte ganz im Dunkeln bleibt. Erstens bricht die Idee voll durch, daß sich individuelle Freiheit und gesellschaftliche Wohlfahrt gegenseitig bedingen und fördern und in Tausch und Markt Raum und Wege schaffen. Zweitens wird aber auch bewußt, daß und warum Tausch und Markt Ungleichheit und Ungleichgewicht, Unterdrückung und Entfremdung hervortreiben. Drittens wird (wenigstens von den bedeutenden Vertretern) weder die erste noch die zweite Sichtweise noch auch der Widerspruch zwischen beiden durch Vorurteile oder voreilige Parteinahme zu begründen oder zu lösen versucht, sondern eine angemessene wissenschaftliche Methode entwickelt, mit der sich die Gesellschaft in ihrer Widersprüchlichkeit entschlüsseln läßt. Die Strenge und Konsistenz ihrer Methoden vor allem hebt die politische Ökonomie von alternativen Gesellschaftsphilosophien ab. Sie erlaubt ihr gewissermaßen einen privilegierten Zugang zu den Grundproblemen von Gesellschaft und Individuum, wie sie sich niederschlagen nicht nur in Wohlstand und Armut, sondern auch in Ordnung und Ungleichgewicht, Freiheit und Unterdrückung, Individualität und Entfremdung. Um so verwunderlicher muß es erscheinen, daß die ökonomische Wissenschaft offensichtlich von sich aus auf dieses methodische Privileg verzichtet hat. Dort, wo sie selbstbewußt ihre Methoden pflegt und entwickelt, hat sie vielfach den Anspruch auf eine Gesellschaftsphilosophie aufgegeben oder einfach vergessen. Wo sie ihn aufrecht erhalten hat, ist sie der Methode untreu, nämlich ideologisch und dogmatisch geworden. So ist die Ökonomie heute als Wissenschaft (!) von der Gesellschaft nahezu verschüttet. Entweder fehlt ihr der Begriff der Gesellschaft, oder sie kann in ihm nicht mehr zusammenhalten, was in der klassischen politischen Ökonomie, wenn auch widersprüchlich, noch vereinigt war. Eine Dialektik, in der Freiheit, Individualität, Wohlstand und Ordnung mit Unterdrückung, Entfremdung, Armut und Anarchie zusammen gedacht werden konnten in einer methodisch fundierten Theorie von Tausch und Markt. Gewiß, auch in der klassischen politischen Ökonomie findet sich nicht mehr als der Ansatz für ein solch umfassendes theoretisches Programm, Aber anstatt ihn weiterzudenken, hat die ökonomische Wissenschaft gewissermaßen die Einheit des klassischen Erbes durch Aufteilung zerstört. Der Zusammenhang von aufklärerischem Optimismus, aufklärender Kritik und klärender Methode ist in seine Elemente zerfallen und hat drei verselbständigte Orthodoxien hinterlassen. Die erste Orthodoxie ist die vorherrschende Schulökonomie, die sich am besten als technokratisch charakterisieren läßt. Sofern sie nicht überhaupt nur Partialanalyse innerhalb der Ökonomie bleibt, versteht sie sich, von Ausnahmen abgesehen, doch als Partialanalyse der Ökonomie in der Gesellschaft. In diesem Rahmen behandelt sie zwar das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, aber streng "ceteris paribus". Die Individuen sind von vornherein fertig da, und was sie außer dem Tauschgleichgewicht zusammen und in ein Verhältnis bringt (oder was sie auseinanderreißt!), mag Angelegenheit der anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen oder Metaphysik sein. Die Frucht ihrer Disziplinierung erntet diese Orthodoxie in der bemerkenswerten Entwicklung ihrer Methoden. Aber ob diese sie je in die Lage versetzen wird, wieder Gesellschaftstheorie zu sein, läßt sie offen. Respektabel bescheidet sie sich selbst, beansprucht erst gar nicht den Blick über den Rand. Die zweite Orthodoxie ist eine ökonomische Apologie der Marktgesellschaft. Hier hat eine konservative Ideologie den klassischen Aspekt des Zusammenhangs von individueller Freiheit, Wohlfahrt und Markt verabsolutiert. In der freien Marktgesellschaft als der besten aller Welten sind Unterdrückung, Entfremdung und Anarchie entweder nur Einbildung, oder Ergebnis von illusionären oder diktatorischen Verletzungen der Gesetze der Freiheit. Eine wissenschaftliche Begründung dieser Ideologie, die den Standards der entwickelten professionellen Methoden gewachsen wäre, wird in der Regel nicht einmal versucht. Die dritte Orthodoxie pflegt eine Kritik der Marktgesellschaft, die mehr oder weniger ausschließlich aus der klassischen Analyse von Unterdrückung, Entfremdung und Anarchie den voreiligen Schluß zieht, daß der Zusammmenhang zwischen individueller Freiheit, gesellschaftlicher Wohlfahrt und Tausch nur einem falschen Bewußtsein entspringen könne. Dies ist die Orthodoxie des linken Dogmatismus. Sie ist dogmatisch, weil sie sich nie die Mühe macht, die Theorie von Tausch und Markt mit den dafür entwickelten Methoden nachzuvollziehen und dann erst zu urteilen. Sie ist es aber insbesondere dann, wenn sie in ihrer Abwehr gegen das aufklärerische Moment in der klassischen politischen Ökonomie die ökonomische Befreiung der Gesellschaft nicht mehr auch als Befreiung des Individuums verstehen will. Ökonomie: Technokratie, Apologie oder Dogmatismus. Die Entwicklung der drei Orthodoxien hat die Widersprüche, die in der klassischen politischen Ökonomie noch das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft kennzeichneten, beseitigt, ohne sie zu lösen. Kann ein Marktsystem (rein oder gemischt) überhaupt Unterdrückung und Entfremdung vermeiden? Welche gesellschaftlichen Institutionen müssen hierfür geschaffen werden? Ist ein solches System überhaupt stabil? Wie sieht das Individuum in einer solchen Gesellschaft aus? Diese Fragen sind auch nach dem Zerfall der klassischen politischen Ökonomie in jeder der drei genannten Orthodoxien virulent geblieben, ohne daß sie von diesen wissenschaftlich befriedigend behandelt werden können. Die Technokratie muß trotz der Entwicklung ihrer Methoden hierbei versagen, weil sie das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft nur noch instrumentell betrachtet. Die Möglichkeit, daß das Individuum eine Fiktion ist, solange die bestehenden gesellschaftlichen Institutionen nicht verändert werden, ist für die Technokratie kein Problem. Die konservativen Apologeten des Kapitalismus entscheiden die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft durch die wissenschaftlich problematische Behauptung, daß Freiheit und Individualität nur unter Aufrechterhaltung und Stärkung kapitalistischer Institutionen möglich sind. Das Problem beider Orthodoxien wird am besten durch das Fazit eines der Autoren dieses Jahrbuchs illustriert: Die Fehler des Neoliberalismus/Neokonservativismus sind nicht: zu viel Liberalismus, sondern zu wenig - zu viel Wohlfahrtsökonomie, sondern zu wenig. Seine Mahnung, daß sich die Kritiker über dieses Fazit nicht allzu schnell freuen sollten, trifft auch den Linksdogmatismus. Dieser verweist zwar mit Recht auf das Problem von Unterdrückung und Entfremdung. Der von ihm geforderte Sprung aus einer in Agonie befindlichen bürgerlichen Gesellschaft in eine neue, in der Freiheit, Gleichheit und Solidarität bestehen soll, findet jedoch ohne das verdinglichte bürgerliche Individuum statt, das es gerade zu befreien gilt. Die Dialektik der Aufklärung, welche die Vorstellung eines freiheitlichen, gleichen und solidarischen Menschen ins Gegenteil verkehrt hat, wird durch den Linksdogmatismus in einer fatalen Weise bestätigt. Aber so verkürzt und irreführend die drei Orthodoxien in ihrer Einseitigkeit sind, so enthalten sie doch auch die positiven Elemente, die eine politische Ökonomie, welche sich als Erbe der klassischen politischen Ökonomie versteht, wieder zusammenzuführen hat. Die entwickelten Methoden der technokratischen Orthodoxie erlauben heute ein wesentlich besseres Verständnis der Funktionsweise von Tausch und Markt als dies noch vor hundert Jahren der Fall war. Auf diese Methoden kann eine politische Ökonomie nicht verzichten. Die konservative Orthodoxie beharrt mit Recht auf der Leistungsfähigkeit eines Marktsystems. Der Linksdogmatismus macht zu Recht darauf aufmerksam, daß ein Marktsystem zu Entfremdung und Unterdrückung führen kann. In der Zusammenführung dieser Einsichten also hat eine politische Ökonomie heute erneut das Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Reflexion zu stellen. Der aufklärerische Impetus, durch den die klassische politische Ökonomie zumindest in ihren Anfängen gekennzeichnet war, kann allerdings heute nur noch überzeugen, wenn der verlorenen Unschuld dieser Aufklärung Rechnung getragen wird. Wie sich in der Geschichte des Liberalismus immer wieder gezeigt hat, kann die Forderung nach Verwirklichung des Individuums durch die Schaffung von mehr Freiheit, Gleichheit und Solidarität stets in einem doppelten Sinne verstanden werden: als Forderung nach der Durchsetzung eines Wirtschaftsliberalismus unter Beibehaltung kapitalistischer Institutionen, andererseits nach der Veränderung dieser Institutionen. Das Individuum ist heute sowohl das ideologische Substrat einer Gesellschaft, in der es in Wirklichkeit im Sinne der Aufklärung gar keinen Platz findet, als auch Fluchtpunkt für eine wissenschaftlich fundierte Kapitalismuskritik, die nachzuweisen sucht, daß kapitalistische Institutionen unvereinbar sind mit Institutionen, die eine Verwirklichung des Individuums auf Dauer garantieren. Eine solche ökonomische Kapitalismuskritik, die sich der Forderung der Aufklärung nach Verwirklichung des Individuums verpflichtet fühlt, ohne dabei die Dialektik der Aufklärung aus dem Auge zu verlieren, ist bislang ein Desiderat. Die Formulierung einer solchen Kritik, die sich der entwickelten Methoden der ökonomischen Wissenschaft bedient, ist als zentrale Aufgabe einer modernen Kritik der politischen Ökonomie zu begreifen, welche die widersprüchliche Einheit der klassischen politischen Ökonomie wieder herzustellen versucht, indem sie das Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft sowie von Ökonomie und Gesellschaft in Marktsystemen zu Ende zu denken versucht und sich dabei als sensibel gegenüber dogmatischen Positionen erweist. Die Ausformulierung einer solchen Kritik verlangt dreierlei. Erstens eine ökonomische Gesellschaftsanalyse, die sich nicht in den Engpässen von Ideologie, Dogmatismus und Technokratie verfängt. Sie erfordert damit zweitens eine gründliche Auseinandersetzung mit diesen Orthodoxien. Ihre dritte Aufgabe liegt in der Diskussion von ökonomischen Utopien der Gesellschaft, in denen Freiheit, Gleichheit und Solidarität der Individuen eine Chance haben. Das Jahrbuch für Ökonomie und Gesellschaft soll dazu beitragen, ein solches Programm voranzubringen. Es bietet Raum für ökonomische Funktionsanalysen der Gesellschaft, für die Kritik technokratischer, apologetischer und dogmatischer Positionen sowie für Überlegungen über gesellschaftfich-ökonomische Bedingungen für individuelle Freiheit und gesellschaftliche Wohlfahrt ohne Unterdrückung und Entfremdung. Obwohl in diesem Programm das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft eine zentrale Rolle spielt, soll darin kein Präjudiz für die Anwendung der neoklassischen Methode liegen, die dieses Verhältnis direkt thematisiert. Im Bewußtsein, daß der unmittelbare Zugriff auf das Individuum vorschnell sein kann, ist das Jahrbuch offen für konkurrierende Theorieansätze, wie einem marxschen, postkeynesianischen oder neoricardianischen. Schließlich charakterisieren diese Theorien das Individuum und die Gesellschaft sehr dezidiert, wenn auch einige Vertreter dieser Positionen um diesen Umstand vergessen haben. Die Diskussion soll zeigen, welche Methode in der Kritik der Orthodoxien, der ökonomischen Analyse der Gesellschaft und in der Diskussion von sozialen Utopien überlegen ist. Der vorliegende erste Band eröffnet gewissermaßen diese Diskussion. Der Titel Die Neoklassik und ihre Herausforderungen ist in beiden Bedeutungen zu verstehen. Erstens ist die Neoklassik eine Herausforderung für jede kritische ökonomische Analyse der Gesellschaft. Zweitens muß sie aber auch als etablierte Orthodoxie von alternativen Ansätzen herausgefordert werden, die sich ebenfalls auf ökonomische Denktraditionen berufen können. Haslinger/Schneider plädieren für die allgemeine Gleichgewichtstheorie, und, wenn man so will, für die neoklassische Methode. Hingegen demonstrieren sie an einer Reihe von Modellen, welche explizit "Marktfehler" - vor allem Unsicherheit - berücksichtigen, daß sich das zentrale Resultat der Neoklassik, nämlich die Hauptsätze der Wohlfahrtsökonomie, als unhaltbar erweist. Kalmbach/Kurz suchen in einer von ihnen so genannten neuklassischen Ökonomie klassische und keynesianische Elemente zu verbinden. Die Bestimmung der absoluten Höhe der Produktion soll anders als in der Neoklassik nicht durch eine vorgegebene Menge von Ressourcen und durch die Handlungen der Individuen bestimmt werden, sondern durch die Vorgabe eines Investitionsvolumens und der Produktionsstruktur. Riese, dessen Theorie einen ähnlichen Ableitungszusammenhang enthält, räumt darüber hinaus radikaler in der Tradition von Keynes der monetären Ökonomie Vorrang und Steuerungsfunktion ein. Er insistiert darauf, daß eine keynesianische (Geld-)Ökonomie eine andere werttheoretische Basis hat als die Gütertauschtheorien klassischer und neoklassischer Provenienz. Im Aufsatz von Vogt wird die neoklassische Methode für eine ökonomische Kapitalismuskritik in Dienst genommen, mit Ergebnissen, die dem neoklassischen Weltbild an sich widersprechen. Diese vier Beiträge, die die grundlegenden Konstrukte ökonomischer Theorie - Klassik, Neoklassik und Keynesianismus - entlang ihres normativen und explikativen Gehalts deuten, werden ergänzt durch zwei Arbeiten, die sich mit (neo-)konservativer Praxis und Theorie auseinandersetzen. Eine von Buhbe/v.Lüde vorgelegte wirtschaftspolitische Analyse US-amerikanischer und bundesrepublikanischer Angebotspolitik versucht, deren theoretische Hintergründe und praktische Folgen zu ermitteln. Die Folgerungen dieser Autoren exemplifizieren die Ergebnisse von Franks Kritik der Chicago-Doktrin (an Hand des Buches von Lepage "Kapitalismus von morgen"): Ein liberales Programm, das das Freiheitspostulat verabsolutiert, wird illiberal und in Folge unsozial. Eine Theorie, die die Norm für Natur ausgibt, begründet damit letztlich, daß es ein Recht auf Umweltverschmutzung gibt ebenso wie ein Recht auf Arbeitslosigkeit. Wem auch gesellschaftliche Zustände Natur sind, feiert die Zuteilung von Rechten darauf als liberalen Sieg. Dennoch, der politische Siegeszug des Neokonservativismus muß nachdenklich stimmen. Er signalisiert die Schwäche einer ökonomischen Theorie, deren Vertreter es offenbar nicht vermochten, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Argumenten zu überzeugen. Die Analysen von Frank und Buhbe/v.Lüde machen erneut deutlich, auf wie schwachen Füßen beispielsweise eine Sozialpolitik (ganz zu schweigen von einer Umweltpolitik) steht, wie wenig sie theoretisch abgesichert ist. Sie fiel mit dem Wahlsieg einer Person.
Aktualisiert: 2018-11-08
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Ökonomie und Gesellschaft / Wohlfahrt und Gerechtigkeit

Ökonomie und Gesellschaft / Wohlfahrt und Gerechtigkeit von Gijsel,  P de, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes
Inhalt Peter de Gijsel: Individuum und Gerechtigkeit in ökonomischen Verteilungstheorien Rudolf Kötter: Distributive Gerechtigkeit und Wohlfahrt. Zum Grundproblem einer utilitaristischen Ethik und Wohlfahrtsökonomie Birger Priddat, Harald Scherf: Ethik bei J. Locke und J.M. Keynes Hans G. Nutzinger: Gerechtigkeit bei Marx und Mill: Schwierigkeit "positiver" und "normativer" Fundierung der Politischen Ökonomie Ekkehart Schlicht: Die emotive und die kognitive Gerechtigkeitsauffassung Ulrich Krause: Recht und Gerechtigkeit Thomas Schmid-Schönbein: Zwecktätigkeit und Verständigung. Über Jürgen Habermans' "Theorie des kommunikativen Handelns" Bernd Keil, Peter Stahlecker: Fortschritte in der personellen Vermögensverteilung? - Über eine Revolution, die nicht stattfand Karl Dietrich: Joan Robinsons Konjunkturtheorie Heinz D. Kurz: Piero Sraffa (5.8.1898-3.9.1983): Ein ökonomischer Klassiker Gerhard Clemenz: Kommentar zu Winfried Vogts "Eine Theorie des kapitalistischen Gleichgewichts" Winfried Vogt: Erwiderung Michael Funke: Anmerkungen zu Peter Kalmbach, Heinz D. Kurz: "Klassik, Neoklassik und Neuklassik" (Jahrbuch 1) Peter Kalmbach, Heinz D. Kurz: Replik: "Sraffa, Geld und die reale Welt" Editorial "Wohlfahrt und Gerechtigkeit"? Mancher mag diese Worte kaum noch hören. Wieviel Übel wurde nicht schon im Namen der Gerechtigkeit zugefügt, wieviel Schädliches im Dienste der Wohlfahrt getan? Was könnte ein Ökonom noch aus einer Beschäftigung mit diesen Konzepten erfahren, das über die bekannten Wohlfahrtssätze der neoklassischen Theorie oder über die Sicht der Marxisten, daß die besitzlosen Arbeiter im Kapitalismus durch die Produktionsmitteleigentümer ausgebeutet werden, hinausginge? Handelt es sich bei den Konzepten 'Wohlfahrt' oder 'Gerechtigkeit' nicht um bloße Leerformeln, die die verschiedensten politischen Gruppierungen nach Gutdünken zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen mit Gehalt füllen und zum Einsatz bringen? Führt nicht ohnehin jeder Versuch, diese Begriffe mit Inhalten zu füllen, zur Erkenntnis, daß sich über sie letztlich nichts Klares, Praktisch-Relevantes und Verwertbares aussagen läßt? Sollen sich doch die in Esoterik und Metaphysik geschulten Philosophen ein weiteres Jahrtausend mit der Lösung dieser Mysterien befassen! Gewiß, man kann nach einem Vorverständnis (oder Vorurteil), wie es in den voranstehenden Fragen zum Ausdruck kommt, zu dem Schluß gelangen, man könne getrost auf jedes weitere Nachdenken über die Konzepte verzichten. Aber bedeutet das denn nicht auch den Verzicht auf jede inhaltlich-argumentative Auseinandersetzung? Heißt das nicht, das Feld jenen zu überlassen, die sich die Ignoranz in diesen Fragen zunutzemachen? Gerade weil so Vieles zu diesem Themenkreis gesagt und geschrieben wurde und auch weiterhin geschrieben wird, gerade weil Handlungen unter Berufung auf Wohlfahrt und Gerechtigkeit gesetzt werden, erscheint es so wichtig, sich mit dieser Problematik intensiv auseinanderzusetzen. Es ist das Ziel des vorliegenden Jahrbuches, Denkanstöße und Anknüpfungspunkte für eine derartige Auseinandersetzung zu liefern. Seit Paretos bahnbrechender Erkenntnis, derzufolge sich das wirtschaftstheoretische Gedankengebäude, ohne jede Voraussetzung über die interpersonelle Vergleichbarkeit von Nutzen, konsistent auf individueller Basis errichten lasse, wurde die Beschäftigung mit Fragen der gesellschaftlichen Wohlfahrt und Gerechtigkeit in den Hintergrund gedrängt. Fortan beherrschte das Konzept der Paretoeffizienz die normativ-theoretische Diskussion. Dabei handelt es sich um ein Konzept, welches auf sehr schwachen normativen Voraussetzungen beruht. Es stellt lediglich auf die effiziente Ressourcenverwendung bei vorgegebener Ausgangsverteilung der Ressourcen ab. Dieses Kriterium hat, trotz vieler Bedenken, vor allem wohl deshalb den Zuspruch weiter Ökonomenkreise gefunden, weil es keinerlei Annahmen über die interpersonelle Vergleichbarkeit von Präferenzen bzw. Nutzen voraussetzt. Natürlich kann aber ein Zustand paretoeffizient und dennoch "perfectly disgusting" sein - wie es Sen einmal formulierte; etwa dann, wenn im Extremfall ein Individuum alle Güter erhielte und alle übrigen leer ausgingen (bzw. nur das zur Existenz notwendigste erhielten). Wohlfahrt im Sinne der Paretoeffizienz sagt somit nichts über die "Gerechtigkeit" von wirtschaftlichen Zuständen aus und überdies läßt sich - so lautet jedenfalls eine verbreitete Auffassung - weiter nichts Fundiertes aussagen. Diese Auffassung hat sich einerseits durch wissenschaftstheoretische und andererseits durch Erkenntnisse im Bereich der ökonomischen Theorie verfestigt. Im Bereich der Wissenschaftstheorie waren es vor allem der Positivismus und - in wesentlich abgeschwächter Form - der kritische Rationalismus, die jeder inhaltlichen Auseinandersetzung über Normen der Gerechtigkeit die Wissenschaftlichkeit absprachen. Diese Überzeugung wird geprägt durch die Auffassung, es bestünde ein kategorialer grundsätzlicher Unterschied zwischen Sachaussagen und normativen Aussagen. Während Sachaussagen stets über die reale Welt, also über in der Wirklichkeit Seiendes informierten, sei das bei normativen Aussagen nicht der Fall. Dem Positivismus galten nur Sachaussagen als sinnvoll: nur deren Wahrheit oder Falschheit schien an der Realität unter Beweis gestellt werden zu können; nur für sie wurde eine Verifikation als möglich angesehen. Jeder Streit um Gerechtigkeit sei dagegen sinnlos, weil es eben keine Verifikation von normativen Aussagen geben kann. Denn aus Seinssätzen (Sachaussagen) können keine Sollenssätze (normative Aussagen) gefolgert werden (wie es fälschlicherweise der "Naturalismus" behauptet) und umgekehrt können Seinssätze niemals Sollenssätze widerlegen. Die Tatsache, daß eine Norm nicht befolgt wird, sagt weder etwas über die inhaltliche Qualität oder "Vernünftigkeit" dieser Norm noch etwas über ihre Geltung. Der kritische Rationalismus stimmt, was die zuletzt genannten Schlußfolgerungen betrifft, im Kern jedenfalls mit dem Positivismus überein. Er verwirft aber die Unterscheidung in sinnvolle und nichtsinnvolle Sätze, weil es kein geeignetes Sinnkriterium gibt und betont die Unmöglichkeit der Verifikation von Sachaussagen. Wissenschaftliche Aussagen sind solche, die zumindest prinzipiell an der Realität scheitern können und somit falsifizierbar sind. Normative Aussagen sind nicht falsifizierbar und stellen daher keine wissenschaftlichen Aussagen dar. Um sich nicht in den Strudel vager philosophischer Spekulationen ziehen zu lassen, haben Ökonomen daher versucht, so weit wie möglich ihre Überlegungen und Analysen von normativen Elementen - die bei den Klassikern noch unentwirrbar mit Sachaussagen vermengt waren - freizuhalten. Allein in der Wohlfahrtstheorie waren noch normative Diskussionen, als solche säuberlich gekennzeichnet, zugelassen. Die verbreitete Auffassung von der Aussichtslosigkeit und Beliebigkeit normativer Diskurse hat aber neben der wissenschaftstheoretischen auch eine inhaltliche Stützung erfahren. Allen Bedenken der Wissenschaftstheoretiker zum Trotz, sah sich auch und gerade die individualistisch konzipierte ökonomische Orthodoxie gezwungen, die Verteilung der Ressourcen, aber auch das Zustandekommen von Institutionen mit Öffentlichem-Gut-Charakter zu erklären. Die soziale Wohlfahrtsfunktion sollte das geeignete Konzept sein, diese Fragen zu lösen. Die sog. Unmöglichkeitstheoreme von Arrow, Sen und anderen (vgl. hierzu den Beitrag von R. Kötter) haben jedoch deutlich gemacht, daß jedenfalls ein ordinalistisch orientierter Individualismus, über die Effizienzaussagen der Wohlfahrtsökonomie hinaus, keine begründeten Aussagen über Wohlfahrt und Gerechtigkeit in Aussicht stellt. Der individualistische Ansatz befindet sich somit in einem schwerwiegenden Dilemma. Denn die Standards für Wohlfahrts- und Gerechtigkeitsurteile sollten "irgendwie" aus individuellen Präferenzen hergeleitet werden können und "nicht von außen" auferlegt sein, sollten aber auch andererseits Beurteilungen ermöglichen, die über jene hinausgehen, welche das Paretokritierium erlaubt. Neben einem "aufgeklärten Pragmatismus", wie er z.B. von Keynes vertreten wurde (vgl. den Beitrag von B. Priddat und H. Scherf), scheinen drei grundsätzliche Auswege aus diesem Dilemma offenzustehen. Erstens kann man auf der Ebene der Metaethik zu Aussagen über die Verwendung einer "Sprache der Moral", insbesondere über die Verwendung des Prädikates "gerecht" gelangen, ohne bereits etwas über die Inhalte solcher normativer Aussagen - die aufgrund der Verwendung des Prädikates als "gerecht" angesehen werden - vorweg sagen zu können. Eine solche Auffassung liegt beispielsweise Habermas' "Theorie des kommunikativen Handelns" (vgl. dazu den Beitrag von Schmid-Schönbein) oder der konstruktivistischen Ethik der Erlanger Schule zugrunde. Sie stellt bestimmte Anforderungen an die Situation des Diskurses (Interesselosigkeit, Offenheit, Herrschaftslosigkeit, etc.); sind sie erfüllt, dann muß jeder Norminhalt, der sich aus dem Diskurs ergibt, als "gerecht" angesehen werden. Natürlich kann man bezweifeln, ob realiter die Anforderungen an die Gesprächssituation tatsächlich jemals gegeben sind. In der Geschichte der politischen und ökonomischen Philosophie findet sich eine Denktradition, welche den Begriff der Gerechtigkeit ebenfalls nur aus der Erfüllung formaler Voraussetzungen gewinnt, ohne ihn inhaltlich aufzufüllen. Sie verlangt nur die Durchsetzung und Einhaltung privater Eigentumsrechte. Eine Geschichte, die im Rahmen und unter Respektierung dieser Eigentumsrechte abläuft, gilt ihr als gerecht. ja, nicht nur das - es ist außerdem die Geschichte der ständigen Steigerung der Wohlfahrt! Wohlfahrt und Gerechtigkeit werden gemeinsam maximiert. Es handelt sich gleichsam um die moderne Version des alten philosophischen Grundsatzes "ens et bonum conventur". Als Begründer dieser Tradition darf Locke gelten (vgl. dazu den Beitrag von B. Priddat und H. Scherf). Moderne Versionen finden sich vor allem bei Hayek (vgl. dazu den Beitrag von E. Schlicht) und bei Nozick (der im Beitrag von P. de Gijsel skizziert wird). Auch ihnen erscheint jede inhaltliche Festlegung von Gerechtigkeitsnormen unmöglich. Sichert aber eine Rechtsordnung jedem einzelnen ein Maximum an (formeller) Handlungsfreiheit und (formeller) Chancengleichheit zu, kann man also die "Spielregeln" eines Gesellschaftssystems als fair und gerecht empfinden, dann müssen es auch die Ergebnisse sein, die sich aus freiwilligen Handlungen (insbesondere via Verträgen) der Individuen innerhalb dieses institutionellen Rahmens einstellen. In einem fairen Roulettespiel wäre z.B. der sich nach einer Folge von hundert Spielen ergebende Zustand (ausgehend von einer fairen Anfangsverteilung!?) selbst dann gerecht, wenn einer alles gewonnen und alle anderen Spieler alles verloren hätten. Sind der Anfangszustand, die Spielregeln und das Verfahren gerecht, dann muß es auch das jeweilige Spielergebnis sein, wenn sich die Spieler auf das Spiel freiwillig eingelassen haben. Gegen die "prozedurale Gerechtigkeitsauffassung" lassen sich allerdings ebenfalls zum Teil sehr berechtigte Einwände geltend machen. Zum einen setzt die Prozedur eine gerechte Ausgangsverteilung voraus und andererseits müssen die Institutionen ebenfalls als fair empfunden werden. Verleiht ein während des "Spieles" erworbenes Vermögen die Macht, Einfluß auf die folgenden Spielergebnisse zu gewinnen (sei es auf die Regeln selbst, sei es auf andere Weise), dann wird man das Ergebnis selbst kaum noch als "gerecht" bezeichnen können. Außerdem hinkt der Vergleich mit einem Spiel, wie etwa dem Roulettespiel. Während bei diesem die Möglichkeiten zu spielen oder nicht zu spielen zur freien Wahl stehen, wird man in eine bestehende Gesellschaft geboren; man kann sich ihren Normen und Regeln wenn überhaupt, dann nur sehr bedingt entziehen. Die leidige Verteilungsfrage bzw. die Frage nach den Spielregeln stellt sich also nicht nur zu Beginn der "Geschichte", sondern für jede Generation erneut. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wird in dem Beitrag von E. Schlicht über eine kognitive Gerechtigkeitsauffassung zur Diskussion gestellt. Nach dieser Auffassung erfolgt die Bildung und Befolgung von gerechten Regeln im Gegensatz zum Sozialdarwinismus von Hayek, aber auch zum Utilitarismus (vgl. unten), nach Gestaltgesetzen und gemäß den Prinzipien kognitiver Dissonanz. Zweitens tauscht man die ordinalistische Position gegen eine kardinalistische Position ein und behauptet überdies die Möglichkeit von interpersonellen Nutzenvergleichen. Das bedeutet, daß man, wenn auch vielleicht mit Modifikationen, wieder einen utilitaristischen Standpunkt bezieht, also sich etwa erneut auf J.St. Mill bezieht (vgl. dazu die Beiträge von R. Kötter und H. Nutzinger) oder sogar auf A. Smith (dessen Utilitarismus eines "sympathisierenden" Beobachters bei E. Schlicht dargestellt wird). Eine moderne Version dieses Standpunktes verdanken wir vor allem Harsanyi, der sich in seiner Neuformulierung der Neumann-Morgenstern-Axiomatik bedient, um die kardinalistische Auffassung zu begründen. Auch die Theorie der Gerechtigkeit von Rawls (die bei P. de Gijsel referiert wird) gehört trotz seiner Kritik um Utilitarismus dieser Denkrichtung an; denn auch sie ist wenigstens partiell auf Kardinalität und Vergleichbarkeit der Nutzen angewiesen. Einer Reihe von Ökonomen wird die Problematik der Kardinalität mit Hilfe der Theorie von Neumann und Morgenstern nicht unüberwindlich vorkommen. Wesentlich bedenklicher mag da die Annahme eines interpersonellen Nutzenvergleichs erscheinen, und ob die in der Literatur vorliegenden Begründungen ausreichen, ist sehr fraglich. Man findet im wesentlichen nur Hinweise auf die tägliche Lebenspraxis. In der praktischen Politikgestaltung führe man derartige Nutzenvergleiche ebenso durch wie bei der Auswahl eines Geschenks. Dabei wird übersehen, daß in beiden Fällen vielleicht paternalistische Motive dominieren. Wesentlich schwerer wiegt freilich der Einwand, daß interpersonelle Nutzenvergleiche letztlich die Preisgabe der individualistischen Position implizieren, weil nämlich die Bewertungen der Alternativen nicht mehr allein aus den Präferenzen des einzelnen erfolgen. Ja, es bleibt zu vermuten, daß der Nutzenvergleich mangels Einigung auf der Strecke bleibt, wenn nicht alle individuellen Interessen ohnedies parallel verlaufen. (Eine solche Parallelität oder Harmonie der Interessen ergibt sich deshalb als notwendige Voraussetzung für einen "haltbaren" Utilitarismus in den Beiträgen von U. Krause und Th. Schmid-Schönbein). Könnte sich in diesem Sinne der Neo-Utilitarismus vielleicht ebenso wie Rawls' Position nur als Scheinlösung des zugrundeliegenden Dilemmas erweisen? Drittens bleibt die Preisgabe der Position des methodologischen Individualismus. Man könnte sich nämlich auf den Standpunkt stellen, daß Gerechtigkeitsnormen überindividuell sind und daher keiner Bestätigung durch die Präferenzen bedürfen. Ein Blick auf die Stellung der persönlichen Grundrechte, der Mehrheitsrechte und des Minderheitenschutzes in den modernen Verfassungen scheint diese Einsicht zu bekräftigen. Zwar könnte man versuchen, letztere individualistisch über die Unkenntnis des eigenen Schicksals im Zustand der Verfassungserstellung (Naturzustand) zu begründen. Damit trifft man jedoch genau genommen die Aussage über parallel laufende Interessen der Individuen. Obgleich man davon wohl nicht ausgehen darf, wird man sich nicht der Einsicht entziehen können, daß es Herrschaftsbeschränkungen für jede noch so qualifizierte Mehrheit in jeder Gesellschaftsordnung geben muß, die das Prädikat "gerecht" verdient. Die Frage ist, wo diese Grenzen im einzelnen liegen. Fällt darunter die Ressourcenverteilung generell, oder nur teilweise, z.B. bei nicht reproduzierbaren Ressourcen? Muß der Minderheitenschutz bereits eingeräumt werden, wenn Mehrheitsentscheidungen existenzbedrohende oder gar nur vermeintlich existenzbedrohende Situationen herbeiführen? Fragen über Fragen! Bei aller Sympathie, welche man der einen oder anderen Lösung aufgrund persönlicher Präferenzen entgegenbringen mag, darf doch nicht die grundsätzliche Problematik dieser Position übersehen werden. Woher bezieht eine überindividuelle "Lösung des Dilemmas" ihre Legitimität? Das Studium der Geschichte zeigt, daß mit überindividuellen Begründungen von Wohlfahrt und Gerechtigkeit, etwa religiösen Einsichten, natürlichen sozialen Ordnungen, oder gar mit den besseren Einsichten einer "Avantgarde", alle möglichen Unrechtszustände gerechtfertigt wurden. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bis heute hat also keiner der drei Auswege zu einer wirklich überzeugenden Lösung führen können. Dies mag eine Position bestärken, nach der alle Lösungsversuche letztlich nur idealistische Luftballons sind, die sich um so weiter von der Erde entfernen, je elaborierter sie sind. Irdische "Gerechtigkeit" sei jeweils nur Spiegelbild von Machtstrukturen und herrschenden Interessen. Mit einer solchen Auffassung nähert man sich (natürlich) der Position von Marx. Daß auch diese nicht ohne ihre Schwierigkeiten ist, zeigen die Beiträge von H. Nutzinger und P. de Gijsel. Im vorliegenden Jahrbuch wird versucht, diese unterschiedlichen Positionen auf dem Hintergrund ihrer dogmengeschichtlichen Repräsentanten und/oder ihrer formalen und inhaltlichen Struktur zu präsentieren und ihre Stärken und Schwächen zu diskutieren. Wir hoffen, daß damit die alte Diskussion um das Verhältnis von Wohlfahrt und Gerechtigkeit neue Impulse erhält. Dies erscheint um so notwendiger, als in unserer Gesellschaft nach wie vor Zweifel an (ökonomischer) Gerechtigkeit erlaubt, ja geboten ist. Keil und Stahlecker zeigen in ihrem Beitrag auf, daß z.B. die Entwicklung der Vermögensverteilung in der Bundesrepublik noch kaum zu einer politischen Euphorie Anlaß gibt, die mit der Wohlfahrt der Bürger auch schon Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklicht sieht. Mit den Beiträgen von H. Kurz und K. Dietrich über Sraffa und J. Robinson würdigt das Jahrbuch zwei große kritische Ökonomen, die im vergangenen Jahr gestorben sind, und von denen man lernen kann, wie man gegen den Strom schwimmen und sich dabei über Wasser halten kann.
Aktualisiert: 2018-11-08
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