Kann man sein Innerstes hundertprozentig einem anderen mitteilen? Dies ist eine Frage, die Kim Yeon-su beschäftigt und die auch die Erzählungen dieses Bandes wie ein roter Faden durchzieht.
In den neun Geschichten des vorliegenden Bandes spazieren wir mit Kim Yeon-su durch das alltägliche Leben mit seinen Ängsten und Leiden angesichts von Tod und Verlust, begleiten Menschen in Extremsituationen, die in all ihrem Schmerz oder vielleicht gerade deswegen einen positiven Effekt gegenseitigen Verständnisses und Trostes erfahren. In einem Interview aus dem Jahr 2009 meinte Kim Yeon-su:
Ich sehe, wie mir nahestehende Menschen leiden, und angesichts dieser Erfahrung erscheint mir das Leben irrational, und eine innere Leere überwältigt mich. Es kommt mir vor, als sei lesen und schreiben sinnlos. […] Dennoch scheinen mir genau diese sinnlosen Handlungen selbst das Leben zu sein. Begebenheiten, die in Erinnerung bleiben, Liebe zu erfahren, sein Letztes für etwas zu geben – das ist der Sinn, weiterzuleben.
Kim Yeon-su (geb. 1970) studierte an der Sungkyunkwan-Universität in Seoul Anglistik und debütierte 1993 mit dem Roman Larvatus prodeo (Ich trete maskiert auf). Es folgten weitere Erzählungen und Romane, u.a. Nationalstraße Nr. 7 (1997), Good bye, Yi Sang (2001), Ich bin ein Phantomschriftsteller (2005), Die Nacht singt (2008) und Freundin vom Ende der Welt (2009). Für viele seiner literarischen Werke wurde der Autor bereits mit Preisen geehrt. Für die Erzählung Fünf Freuden derer, die spazieren gehen erhielt er 2009 den Yi-Sang-Literaturpreis. Die neun Erzählungen dieses Bandes – nach Ich bin ein Phantomschriftsteller (2005/2015) und Der Wundergeiger auf der Palliativstation (2013/2019) das dritte Buch von Kim Yeon-su, das in deutscher Übersetzung beim Ostasien Verlag erschien – entstanden zwischen 2005 und 2009.
Heike Lee (geb. 1962) studierte von 1980 bis 1985 an der Humboldt-Universität zu Berlin Koreanistik, wo sie 1991 promovierte. Nach Tätigkeiten als Dolmetscherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin siedelte sie 1995 in die Republik Korea über, wo sie bis zum Jahr 2003 als Lektorin für deutsche Sprache in Kwangju tätig war. Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland lebt sie in Hamburg und widmet sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit der Übersetzung literarischer Texte aus dem Koreanischen.
Aktualisiert: 2021-01-28
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In seinem Nachwort zu diesem Erzählband schreibt Kim Yeonsu:
„Ich glaube, Erzählungen zu schreiben, ist so etwas wie die Lichter von Yazd – als fahre man auf einer dunklen Straße gemächlich dem hellen Horizont entgegen. Während ich an den Erzählungen dieses Bandes schrieb, dachte ich, meine Geschichten müssten auf jeden Fall schön sein. Wie grausam diese Welt tatsächlich auch sein mochte, wie grässlich unser Leben auch sein mochte, das alles war für mich nicht wichtig. Selbst wenn hier unser Ende sein sollte, sage ich für die Zeit vom Sommer 2008 bis Frühling 2013, als ich diese Erzählungen schrieb: It’s OK. Baby, please don’t cry. Denn sollte es in den Erzählungen des vorliegenden Bandes eine Wahrheit geben, dann, glaube ich, war es so etwas wie der an jenem Abend den gesamten Horizont erfüllende Glanz, von dem wir alle – erschöpft von der Reise wie wir waren – ohne jeden Zweifel überzeugt waren, es seien die Lichter von Yazd. Wichtig war die Zeit, während der wir gemeinsam das Glitzern am fernen Horizont betrachtend gemächlich dahinfuhren. Das waren die Lichter von Yazd, oder selbst wenn sie es nicht waren.“
Kim Yeonsu (geb. 1970) studierte an der Sung-kyunkwan-Universität in Seoul Anglistik und debütierte 1993 mit dem Roman Larvatus prodeo (Ich trete maskiert auf). Es folgten weitere Erzählungen und Romane, u.a. Nationalstraße Nr. 7 (1997), Good bye, Yi Sang (2001), Ich bin ein Phantomschriftsteller (2005), Die Nacht singt (2008) und Freundin am Ende der Welt (2009). Für viele seiner literarischen Werke wurde der Autor bereits mit Preisen geehrt. Für die Erzählung „Fünf Freuden derer, die spazieren gehen“ erhielt er 2009 den Yi-Sang-Literaturpreis. Die elf Erzählungen dieses Bandes entstanden zwischen 2008 und 2013, und das Buch schaffte es im Jahr seines Erscheinens in Korea auf Platz 10 der Bestsellerliste.
Heike Lee (geb. 1962) studierte von 1980 bis 1985 an der Humboldt-Universität zu Berlin Koreanistik, wo sie 1991 promovierte. Nach Tätigkeiten als Dolmetscherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin siedelte sie 1995 in die Republik Korea über, wo sie bis zum Jahr 2003 als Lektorin für deutsche Sprache in Gwangju tätig war. Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland widmet sie sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit der Übersetzung literarischer Texte aus dem Koreanischen.
Aktualisiert: 2020-03-12
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„Was ist dieses Ich? Diese Frage bedrängt mich immer. Sie ist auch der Grund, weshalb ich so viele Bücher las, und alle diese Bücher sind in den Erzählungen des vorliegenden Bandes verborgen. Ich begriff, dies alles war vergebliche Mühe, egal, welches Buch ich auch las, es brachte wenig Licht ins Dunkel. Alles, was ich erkannte, war: Auf dieser Welt leben zahllose Menschen, die noch mehr lügen als ich.“, schreibt Kim Yeon-su im Nachwort zu diesem Band. Dessen Erzählungen führen uns in die USA, nach England, China und Korea, wo der Leser Bekanntschaft mit historischen und fiktiven Persönlichkeiten der letzten drei Jahrhunderte macht: Die schöne Kurtisane Chunhyang wartet sehnsüchtig, wenn auch nicht ganz frei von Wutausbrüchen und Zweifeln, auf ihren adligen Geliebten. Sie, die wohl bekannteste Gestalt der vormodernen koreanischen Literatur, lebte der Legende nach im 17. Jahrhundert. Gut zweihundert Jahre später begibt sich ein fiktiver amerikanischer Detektiv aus Boston auf den Weg ins ferne Korea, um für seinen Klienten die ins Eremitenreich entflohene Verlobte aufzufinden und zurückzuholen, und während seiner abenteuerlichen Reise lernt der arrogante Verfechter nordamerikanischen Modernisierungswahns eine fremde Kultur kennen und schätzen. Schauplätze und Zeiten mögen variieren, eine Fragestellung jedoch zieht sich wie eine alles verbindende Idee durch die neun Erzählungen und begründet deren thematischen Konnex: Was ist Geschichte? Was dokumentieren Historiker und warum? Wie ist Historiografie möglich, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, die zahllosen kleinen Zufälligkeiten unseres Alltagslebens in einen kausalen Zusammenhang zu bringen?
Um die kleinen Erzählungen geht es in Kim Yeon-sus Werk, um diese winzigen Ausschnitte aus der schier unendlichen Menge von Begebenheiten, die Geschichte letztlich ausmachen. Historie als Versuch, vergangene Wirklichkeit wahrheitsgemäß zu rekonstruieren, stellt für ihn ein aussichtsloses Unterfangen dar, nicht viel mehr als ein Spiel mit Erinnerungen, Worten und Texten. Aber eben darin erweist er sich als ausgesprochen talentiert.
Für sein literarisches Werk wurde Kim Yeon-su bereits mit vielen Preisen geehrt. Geboren 1970 in Kimch’ôn, einer Kleinstadt in der Provinz Nord-Kyôngsang, studierte er an der Sungkyunkwan-Universität in Seoul Anglistik und debütierte 1993 mit dem Roman Ich trete maskiert auf. Es folgten weitere Erzählungen und zahlreiche Romane, u.a. Nationalstraße Nr.7 (1997) Good bye, Yi Sang (2001), Die Nacht singt (2008) und Wenn die Welle etwas mit dem Meer zu tun hat (2012). Der vorliegende Erzählband entstand 2005 und wurde im selben Jahr mit dem Daesan-Literaturpreis ausgezeichnet.
Aktualisiert: 2020-03-12
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