Die Beiträge dieser Veröffentlichung basieren weitestgehend auf den Ergebnissen des von tjm-consulting mobilitätsmanagement veranstalteten Fachforums Elektromobilität im ländlichen Raum.
Carsten Hansen vom Deutschen Städte- und Gemeindebund in Berlin hält in seinem Beitrag: Welche Rolle kann zukünftig die Elektromobilität in Klein- und Mittelstädten übernehmen? bei der Betrachtung der Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten von Elektromobilität eine differenzierte Betrachtung der Verkehrsräume, in denen die Elektromobilität gestärkt werden soll, für erforderlich. Daher ist es zu begrüßen, wenn nicht lediglich eine grobe Differenzierung nach „Stadt“ und „Land“ vorgenommen wird, sondern wenn differenziertere Ansätze einer Betrachtung zugrunde gelegt werden. Nur auf diese Weise können die spezifischen Hemmnisse bzw. Treiber für Elektromobilität in den verschiedenen Verkehrsräumen erkannt werden. Hansen kommt zu dem Schluss, dass Kommunen durch eigene Entscheidung die Elektromobilität fördern können. Sie tun dies sowohl in der Ausprägung des öffentlichen Verkehrs, als auch in der Ausprägung des Zweiradverkehrs und sie haben die Möglichkeit, dies auch mit Blick auf die Elektrokraftfahrzeuge zu tun. Die Förderung von Elektromobilität muss für die Gesamtheit der örtlichen Gemeinschaft Vorteile bieten. Es besteht keine Veranlassung, öffentliche Haushaltsmittel der Kommunen einzusetzen, um politische oder wirtschaftliche Zielsetzungen Dritter umzusetzen. Auch wenn die Kommunen eigene Interessen (z. B. im Bereich des Klimaschutzes, des Schutzes von Anwohnern oder um die Attraktivität der Stadt oder Gemeinde zu heben) verfolgen, müssen die Grenzen der finanziellen und politischen Belastbarkeit der Kommunen beachtet werden.
Moritz Kirchesch von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Bonn widmet sich dem Thema: Welche Zukunft hat die Elektromobilität im ländlichen Raum vor dem Hintergrund der Daseinsvorsorge? und konstatiert, dass sich in vielen ländlichen Räumen die Konsequenzen des demografischen Wandels in ihrer ganzen Härte zeigen. Versorgungslücken treten hier besonders zutage: Ladengeschäfte schließen, Kindergärten oder Schulen werden zusammengelegt und das öffentliche Nahverkehrsangebot wird ausgedünnt. Zahlreiche nationale und internationale Projekte zeigen, dass es auch in ländlichen Räumen möglich ist, elektrisch mobil zu sein. Die Nutzung von Elektromobilität muss jedoch dazu beitragen, die Kosten für die Erbringung der Aufgaben der Daseinsvorsorge langfristig signifikant zu senken. Das kann z. B. bedeuten, dass durch den Einsatz von Elektrofahrzeugen ohne Kostensteigerung ein besseres Mobilitätsangebot zur Verfügung gestellt werden kann, oder aber das bestehende und als ausreichend empfundene Angebote im Betrieb günstiger werden und die öffentliche Hand Gelder einspart, die sie an anderer Stelle zur Sicherung der Aufgaben der Daseinsvorsorge nutzen kann. Kirchesch kommt zu dem Schluss, dass die Sicherung der Mobilität im Sinne der Daseinsvorsorge und die Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen einen breit angelegten integrierten Ansatz erfordern. Hier sind sämtliche Verkehrsträger, aber z. B. auch andere technische Lösungen, mit einzubeziehen. Elektromobilität kann dabei auch ein Baustein sein ist aber nicht „die“ alleinige Lösung im Sinne der Daseinsvorsorge.
Christian Schlosser von Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in Berlin stellt in seinem Beitrag: Potenziale zur Finanzierung der Elektromobilität im ländlichem Raum fest, dass mit Blick auf die siedlungspolitischen Dimensionen der Verbreitung neuer Fahrzeugtechnologien und dem Aufbau der zugehörigen Infrastrukturen insbesondere die Frage bedeutend ist, ob sich das System Elektromobilität in der ersten Phase eher im städtischen Kontext, in suburbanen Gemeinden oder in ländlichen Räumen zur Geltung kommen kann. Die gegenwärtige Entwicklung der Elektromobilität zeigt darüber hinaus, dass die Bandbreite der möglichen Geschäftsmodelle und Anwendungsprofile bei Weitem noch nicht ausdefiniert ist. Dies gilt sowohl für Anwendungen im städtischen als auch im ländlichen Raum. Die Technik- und Systementwicklung in anderen Wirtschaftsbereichen deutet darauf hin, dass durch den Markteintritt neuer Anbieter, technische Innovationen und Skaleneffekte neuartige Anwendungsmöglichkeiten und Chancen entstehen werden, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar sind.
Der selbständige Stadtplaner Otto Kurz aus München kommt in seinem Beitrag Elektromobilität im Ländlichen Raum aus der Sicht eines Stadtplaners zu dem Ergebnis, dass bei der Betrachtung einschlägiger Fachberichte, Diskussionen und Mediendarstellungen bezüglich des ländlichen Raums und der für diese Gebiete spezifischen Rahmenbedingungen bezüglich Lebensqualität, Wohnumfeld und Arbeitsangeboten, man durchaus den Eindruck erhält, dass Mobilität eines der wichtigsten Zukunftsthemen für den ländlichen Raum sei. Eine nicht wegzudiskutierende Realität im ländlichen Raum ist: Die nicht motorisierte Bevölkerung ist in der Mobilität eingeschränkt. Die meisten Versuche, daran etwas zu ändern sind gescheitert oder zumindest im Sande verlaufen. Gemäß Kurz scheint die Elektromobilität für den ländlichen Raum eine echte Chance zu sein, eingefahrene Verhaltensmuster schrittweise abzulegen und in neues Mobilitätsverständnis einzutreten. Dies kann aber nur gelingen wenn neue Konzepte mit einer hohen Vernetzung in alle Bereiche der Mobilität angegangen werden, wobei dann die Zukunft der Elektromobilität tatsächlich auch im ländlichen Raum liegen könnte.
Simon Schilling, Jurij Peters und Dr. Dieter Varelmann von der smartlab Innovationsgesellschaft mbH in Aachen gehen in ihrem Beitrag Elektromobilität im ländlichen Raum – Potenziale, Bedingungen und Ansatzpunkte für attraktive Mobilitätslösungen davon aus, dass nicht nur in der Stadt, sondern auch im ländlichen Raum die Elektromobilität zunehmend an Bedeutung gewinnt. Gerade in ländlichen Gemeinden gibt es erhebliche Potenziale für umwelt- und klimafreundliche Mobilitätsformen. Elektromobilität stellt eine sinnvolle Alternative zum konventionellen Pkw auch im ländlichen Raum dar. Eine intelligente Integration von Elektrofahrzeugen in den Alltag der Bürger erweist sich hierbei als sehr sinnvoll und die Anwendungsfelder dafür sind vielfältig. Außerdem ist davon auszugehen, dass für die Umsetzung von Elektromobilitätslösungen der Aufbau einer (halb-)öffentlichen Ladeinfrastruktur von großer Bedeutung ist. Insbesondere bieten sich Sharing-Konzepte als ländliche ÖPNV-Ergänzung und im Kontext von Tourismusangeboten sehr gut an, um die Elektromobilität ganz unverbindlich und flexibel erfahrbar zu machen. Somit wird nicht nur der Einstieg in die neue Mobilitätsform erleichtert, sondern außerdem eine ganzheitlich nachhaltige Lebensweise gefördert.
Mathias Kassel von der Stadtverwaltung Offenburg stellt in seinem Beitrag Multimodale Verkehrsentwicklung unter Einbeziehung der Elektromobilität die seit vielen Jahren von der Stadt Offenburg, dem Oberzentrum im ländlichen Verdichtungsraum der Ortenau in Baden, praktizierte nachhaltige und integrierte Verkehrsplanung vor. Die Fortschreibung des Verkehrlichen Leitbildes und die Maßnahmenprogramme der letzten Jahre führten 2012 sogar zu einem Anerkennungspreis im Rahmen der Auslobung des Deutschen Verkehrsplanungspreises 2012. Die Stadt Offenburg schrieb das Verkehrliche Leitbild für den Binnenverkehr 2009 unter Berücksichtigung des CO2-Ausstoßes fort. Es formuliert eine langfristige Zielvorgabe für 2025 im Hinblick auf die Verkehrsmittelwahl dahin, den Verkehrsmittelanteil des Umweltverbundes zu erhöhen und den Anteil bei der Nutzung des Kraftfahrzeugs zu senken. Dabei soll sich zusätzlich der Besetzungsgrad der Kraftfahrzeuge durch die Bildung von Fahrgemeinschaften deutlich erhöhen, die Anzahl der Kfz-Fahrten verringern und sich somit zusätzlich der CO2- Ausstoß reduzieren. Das Verkehrliche Leitbild als Grundlage und die daraus resultierenden Umsetzungskonzepte, wie für die Elektromobilität und die Mobilitätsstationen, sowie die noch folgenden Konzepte werden den Stadtraum erlebbarer machen, die Stadtqualität erhöhen, die Nahmobilität verbessern sowie einen umwelt- und klimafreundlicheren und stadtverträglicheren Verkehr ermöglichen.
Dr. Marc Türnau und Prof. Dr. Johannes Klühspies von der Technischen Hochschule Deggendorf präsentieren das Projekt Elektromobilität, ländlicher Raum und Regionalentwicklung – Ansätze des Projekts E-WALD E-WALD steht für die intelligente Verknüpfung moderner Technik mit disziplinübergreifend betriebener wissenschaftlicher Forschung zu Mobilitätskonzepten und Mobilitätsmanagement. Die so erarbeiteten Lösungen und Produkte sollen einen Beitrag zur Entwicklung einer ansonsten strukturschwachen Region leisten. Von den zahlreichen Effekten und Synergien sollen sowohl die BürgerInnen vor Ort als auch die dort ansässigen Betriebe profitieren. In einem breit angelegten, interdisziplinären Projekt hat sich die Technische Hochschule Deggendorf das Ziel gesetzt, die Machbarkeit von Elektromobilität in einer aus verschiedenen Gründen dafür schwierigen Region durch Vernetzung und Steuerung mit derzeit verfügbarer Basistechnologie zu untersuchen. Die beteiligten Landkreise und Kommunen und deren BürgerInnen profitieren von der durch das Projekt realisierten Image-Aufwertung ihrer Heimat. Dies kommt natürlich auch dem für die Region wichtigen Tourismus zugute. Der multimodale Ansatz von E-WALD kann darüber hinaus der Deutschen Bahn und zahlreichen Regionalbahnen neue Möglichkeiten in den Bereichen Marketing und Vertrieb eröffnen, indem die An- und Abreise von TouristInnen und Geschäfts- reisenden stärker auf die Bahn verlagert wird, und zwar ohne nennenswerte Einbußen bei der individuellen Mobilität vor Ort durch die gemeinsame Gestaltung kombinierter Angebote in den Schnittbereichen zwischen Elektroauto, ÖPFV und ÖPNV.
Markus Lange-Stuntebeck von den Stadtwerken Osnabrück berichtet über das Projekt Strategisches Mobilitätskonzept des Forschungsprojekts econnect Germany für Osnabrück – unter besonderer Berücksichtigung der Elektromobilität – Das vorgestellte Projekt wurde im Rahmen des Förderprojekts econnect Germany des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) erstellt. Das Teilnetzwerk (HUB) Osnabrück1, bestehend aus den Stadtwerken Osnabrück, der RWTH Aachen und der Hacon Ingenieurgesellschaft mbH, hat sich hierbei die Aufgabe gestellt, Maßnahmen zu entwickeln um Klimaschutzziele der Stadt Osnabrück zu erreichen, Mobilitätstrends zu unterstützen und die Position der Stadtwerke in der Stadt auszubauen. Zur Erreichung der Klimaschutzziele der Stadt Osnabrück ist die Elektrifizierung des Nahverkehrs ein wichtiger Baustein. Konkret bedeutet dies die Integration von 10 Elektroautos in die Flotte des CarSharing-Anbieters StadtTeilAuto und der Aufbau zugehöriger Stellplätze. Darüber hinaus ist die Beschaffung und der Einsatz eines weiteren Elektrobusses im Linienverkehr in Osnabrück umzusetzen. Schließlich ist eine Smartphone App mit entsprechenden Schnittstellen zu entwickeln, die die Planung und Buchung von Reiseketten bündelt. Diese Maßnahmen gilt es im Laufe des Projekts „econnect Germany“ detailliert zu evaluieren und nach Projektabschluss qualifiziert aufzuarbeiten. Abschließend ist festzuhalten, dass der Wandel der Mobilität großen Einfluss auf die Mobilitätslandschaft sowohl in Osnabrück und als auch in Deutschland haben wird. Die Aufgaben der Mobilitätsbranche sind dabei von langfristiger Natur und benötigen einen langen Atem. Hierfür sollen die beschriebenen Maßnahmen die ersten Schritte auf dem Weg in die Zukunft der Mobilität sein.
Dr. Marc Türnau von der Technischen Hochschule Deggendorf widmet sich im letzten Buchbeitrag dem Thema Subjektiver Nutzen beim Gebrauch von Elektrofahrzeugen im ländlichen Raum Ergebnisse einer explorativen Nutzerbefragung. Betrachtet man die Ergebnisse im Überblick, so ist zunächst einmal zu konstatieren, dass Unterschiede zwischen den Nutzergruppen (privat, gewerblich, behördlich) wenn überhaupt nur marginal in Erscheinung treten. Die Ergebnisse der Studie lenken den Blick auch auf eine Reihe offener Fragen, die mit weiterer theoretischer und empirischer Arbeit zu klären sind. Dies betrifft auf der Makroebene etwa die Benennung institutioneller Mechanismen, die die Einführung von Elektromobilität fördern oder behindern. Dabei ist jedoch darauf zu achten, metaphorisch gesprochen den Wald wegen der vielen Bäume nicht aus dem Blick zu verlieren − Mobilität wird als konzeptioneller Begriff nicht nur in der wissenschaftlichen Debatte mitunter inflationär verwendet und in einer Weise ontologisiert, die selbst wiederum das Ergebnis einer umfassenden Sozialisation der beteiligten Wissenschaftler in einem durch den MIV geprägten gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld ist. Im Ergebnis stünde so (physische) Mobilität als Selbstzweck einer ernsthaften wissenschaftlichen Debatte im Weg. Auf der Mikroebene bleibt eine Reihe offener Fragen zu klären, die etwa die Vermittlung der (institutionell geprägten) gesellschaftlichen Makroebene und der individuellen Mikroebene betreffen. Hierzu zählen auch generell Fragen zum Umgang mit (neuer) Technologie, zur Mobilisierung von Wissensbeständen oder zum Aufbau neuen Fakten- und vor allem Prozesswissens beim Technikgebrauch.