Autor: Schwester Ingrid Mohr

Ich habe die Exerzitien des hl. Ignatius oft gemacht. Zweimal auch in ihrer vollständigen Form: über vier Wochen hinweg. Das betrachte ich als eine der größten Gnaden, die Gott mir geschenkt hat. Die Exerzitien waren das Instrument, dessen sich Jesus Christus bedient hat, um mich auf lebendige Weise erkennen zu lassen, dass Er es ist, der mich ruft und in seiner Nähe haben möchte; dass nicht ich es bin, der Ihn erwählt hat, sondern umgekehrt: dass Er es ist, der mich erwählt hat, um mich teilhaben zu lassen an seinem Kreuz und an seiner Verherrlichung. Durch die Exerzitien habe ich auch das Geheimnis der Sünde etwas besser begreifen können: ich konnte das Drama des entscheidenden Kampfes zwischen Licht und Finsternissen erahnen, durch das die Geschichte der Menschheit und meine eigene verläuft; den Kampf, in dem mir der Herr den Sieg verleiht, indem Er mich Tag für Tag aus meinem Elend errettet, um mir einen Platz in der streitenden Kirche zu geben, die angeführt wird vom Banner seiner ewigen Liebe mitten in der Unbeständigkeit der menschlichen Leidenschaften, die vergiftet sind vom Feind Gottes und des Menschen. Ich habe dermaßen viel empfangen durch die Exerzitien, dass ich mich nicht der beglückenden Verpflichtung entziehen konnte, andere an dem durch sie möglichen geistlichen Gewinn teilhaben zu lassen. Seit 20 Jahren habe ich – neben anderen akademischen oder pastoralen Aufgaben – Zeiten freigehalten, um ein- oder zweimal jährlich anderen Menschen Exerzitien zu geben. Ich beneide diejenigen, die sich intensiver diesem Dienst widmen. Ich habe immer wieder feststellen können, dass gut gemachte Exerzitien den Kern des Lebens treffen und ihn auf Christus und seine Kirche hin orientieren. Das war der Fall bei Menschen jeden Standes und Alters: bei engagierten Laien, Mitgliedern von Säkularinstituten, Ordensfrauen, Seminaristen und Priestern. Nun gut, während der Exerzitien, die ich begleite, bringe ich seit geraumer Zeit Texte von Bruder Rafael ein, um mit seinem Zeugnis bestimmte Meditationen oder Etappen im geistlichen ignatianischen Prozess anschaulich zu machen. Das Ergebnis ist immer überwältigend. Viele Exerzitanten fühlen sich von der Erfahrung Rafaels stark beeindruckt; sie hilft ihnen, ihren eigenen Weg zur Heiligkeit mit größerer Entschlossenheit zu gehen. So kam es, dass sich jedes Jahr die Ränder meines Exemplars des Exerzitienbuches immer mehr anfüllten mit Nummern, die auf Stellen in den vollständigen Schriften von Bruder Rafael hinweisen. Und eines guten Tages kam mir der Gedanke, dass es sogar sinnvoll sein könnte, ein Buch zusammenzustellen, wie das, welches der Leser nun in Händen hält: Geistliche Übungen mit Bruder Rafael. Es handelt sich um ein Buch, das Texte des jungen Mönchs des 20. Jahrhunderts enthält. Sie zeigen auf lebendige Weise, wie die radikale Erfahrung des hl. Ignatius – uns nahe in Zeit und Ausdrucksweise – gemacht wird von jemandem, der fast unser Zeitgenosse ist. Aber diese Erfahrung enthält dieselben grundlegenden Eigenschaften, die das Charakteristische eines Mystikers Jesu Christi ausmachen. Der Augenblick, in dem der Plan in die Tat umgesetzt werden sollte, kam mit der Bekanntgabe der Heiligsprechung Rafaels für den 11. Oktober 2009. Jetzt oder nie, sagte ich mir. Ich bin mir bewusst, dass das Werk sehr verbessert werden könnte. Mit Sicherheit fehlen Texte, und einige, die ich anführe, könnten durch angemessenere für die verschiedenen Etappen der Exerzitien ersetzt werden. Aber das Bessere ist nicht der Feind des Guten. Und gut erschien mir, mich selbst zu verpflichten, jetzt das Projekt, mit dem ich seit geraumer Zeit geliebäugelt hatte, zu verwirklichen. Das Buch kann einigen dazu dienen, Rafael aufgrund seiner Heiligsprechung überhaupt erst kennenzulernen. Anderen wird es helfen, Exerzitien zu geben oder selbst zu machen. Und allen wird es mit Sicherheit die geistliche Verwandtschaft aufzeigen zwischen jenem großen Mystiker des spanischen Goldenen Jahrhunderts und Patron der Exerzitien, dem Heiligen von Loyola, und dem neuen, jungen spanischen Heiligen, der fast unser Zeitgenosse ist, dem hl. Rafael Arnáiz Barón, der den mystischen und missionarischen Geist unserer besten katholischen Tradition in den Adern hat, der von so wesentlicher Bedeutung für unsere Tage ist. Aufrichtigen Dank denen, die so freundlich waren und das Manuskript gelesen haben und mir Hinweise gaben: Schwester María Asunción Fernández Sáez sowie die Mönche von San Isidro de Dueñas, Alberico Feliz Carbajal und Antonio María Martín Fernández-Gallardo. Gott möge es ihnen lohnen. http://www.heiliger-rafael.de/