Dieser Roman hat mich bisher am längsten verfolgt und an keinem anderen Buch habe ich länger gearbeitet, als an „Der Falke im Sturm“Der Kern der Handlung war eine Kurzgeschichte, die ich nach unserem ersten Urlaub auf Kuba verfasste, und in der ich von einem jungen Radfahrers erzählte, der das Vertrauen in die Werte der Revolution verliert, weil alles um ihn herum zerbricht, auseinander fällt, wertlos erscheint, und der sich schließlich von systemtreuen Sportler zum Jinetero entwickelt. Vom Radfahrer zum Schwanzreiter, sozusagen. Obwohl ich mit der Kurzgeschichte zufrieden war, hatte ich eine Ahnung, dass da eine wesentlich interessantere und größere Geschichte dahinter stecken könnte. Mir wurde klar, dass ich nur eine Szene erzählt hatte, aber nie und nimmer die ganze Geschichte. Der Schritt von der Kurzgeschichte zum Kurzroman erfolgte über die Einführung eines Widerparts zum Radfahrer. Seine in der Kurzgeschichte angedeutete Systemtreue war mir zu plakativ, eine Möglichkeit, diesen Eindruck aufzuweichen war, Franco als Faulenzer darzustellen, der sich vermittels vorgeschobener Trainings vor allen sozialen Gemeinschaftsleistungen drückt und aus reiner Not, und um weiter sein anspruchsloses Leben leben zu können, die Patenschaft für einen russischen Jungen übernimmt, der in der Tarara-Resistenz im Osten Havannas in Betreuung steht. Seine Eltern gehörten einst zu den Aufräumgruppen, die kurz nach dem Unfall von Tschernobyl dort nur wenig geschützt Aufräumarbeiten durchführten, und denen man für ihren Dienst an der Gemeinschaft Steuerfreiheit und Grundstücke versprach.Die Beziehung zwischen Franco, dem Radfahrer und Dimitrij Vengarov (Ja, dieser Dimitrij ist das realistische Echo des Dimnitrij Vengarov aus meinem Roman „Die Legende des heiligen Dimitrij“) bot jede Menge Möglichkeiten, diverse Spannungsfelder aufzubauen, allein schon, weil die beiden gleichaltrigen, jungen Männer serh unterschiedlich veranlagt sind: Dimitrij, der so gerne einfach nur wie jeder andere Mensch aussehen würde, aber durch die radioaktive Strahlung, der seine Eltern ausgesetzt waren, schwer gezeichnet ist, der hochintelligent, belesen und verbittert in der Isolation der Tarara-Resistenz dahin lebt, und auf der anderen Seite Franco Garcia Lopez, der die Freiheit, schön, beweglich, mobil zu sein, nicht im geringsten zu schätzen weiß. Dass daraus trotzdem eine zaghafte und auf gegenseitige Attraktion aufbauende Freundschaft wird, ist zwar schön und gut, gab von der Erzähldichte auch einen Kurzroman her, aber es war auch wieder nur ein Detail, der Bestandteil einer noch größeren Geschichte, in der diese Freundschaft eingebettet ist.In dieser Version hatte ich auch schon Francos Bruder Alejo eingebaut, der als Stricher aus Leidenschaft vor allem in Varadero und Havanna auf Touristenjagd geht und einen Großteil des gemeinsamen Haushalts beisteuert. Ja, die Brüder leben zusammen im Haus ihrer Eltern, die Mutter ist tot, der Vater irgendwo im Südosten und die Großmutter im Haus nebenan ein Pflegefall. Und irgendwann, Mitte 2011, als ich gerade das Manuskript in die Lade der Verzweiflung gelegt hatte, weil ich nicht mehr weiter wusste, und in einem Rutsch den gerade veröffentlichten Roman „Im Palast des schönsten Schmetterlings“ geschrieben hatte, kam mir eine Idee. Diese Idee hatte ich Leonardo Padura zu verdanken, der mit seiner Figur des Kriminalpolizisten Mario Conde, der in Havanna ermittelt, eine Tür aufstieß, durch die ich bequem in eine viel größere Erzählwelt spazieren konnte. Mein Polizist ist seit einer Schussverletzung gehbehindert und schiebt Innendiesnt, als er von seinem Vorgesetzten dazu gedrängt wird, in einem hässlichen Mordfall in Varadero verdeckt zu ermitteln. Ein Mordfall, der politisch und menschlich besonders hässlich sei, eine junge Kubanerin war gefoltert und ermordet und vor einem großen Hotel ins Meer geworfen worden - Fahr hin und schau dir das mal an.Gabriel Ramirez tarnt sich als Jefe des lokalen Komitees zum Schutz der Revolution in Cidra, wo er auf Franco trifft, der ihn verblüffend an eine Gestalt erinnert, von der er seit dem Tod seiner Frau immer wieder träumt: Ein junger Mann, der sich an einem Lagerfeuer auf einer Waldrichtung mit glühender Asche einreibt, vor Schmerz und Ekstase schreit, sich in einen Falken verwandelt und in den sturmgrünen Himmel steigt. Mit dieser zusätzlichen Geschichte baute sich langsam eine „erzählerische“ Dichte auf, die für mich mehr als einen Roman her gab und aus meiner bescheidenen Sicht schon scharf am Epos schrammt.Gabriel Ramirez Ermittlungen befördern einige unbequeme Wahrheiten zu Tage: Ein ehemals hochrangiger Beamter der Enteignungskommission hat als neuer Polizeichef von Matanzas ein Grauensregime aufgezogen, das er nutzt, um seine sexualsadistischen Gelüste an jungen Frauen und Männern auszuleben, wobei die Pervertierung des kommunistischen Gedankens Kubas ein für ihn erfreulicher Nebeneffekt ist. Als Franco in die Hände der Polizisten fällt und gefoltert und gezwungen wird, sich zu prostituieren, zeichnet sich immer deutlicher ab, dass der Mord an der jungen Frau, Gabriel Ramirez verdeckte Ermittlungen, Francos Folterungen und Francos Freundschaft mit dem schwerkranken Dimitrij Vengarov Teil einer umfassenden Verschwörung auf Kuba sind, die in einem politischen Umsturz enden soll.Ist das ein schwuler Roman? Ich weiß nicht; waren meine letzten Romane schwule Romane? Ja, ich hab noch immer den Fokus, sehe die Geschichte, die ich erzähle, aus der schwulen Perspektive. Es gibt Sex, ja, es gibt gegenseitige Attraktion, Schwärmerei und diesmal sogar so etwas wie tuntigen Humor, den ich mit der Buffo-Rolle namens Joaquin (genannt Jaja) einpflege, und es gibt sogar eine recht deftige Sexszene, in der es kunterbunt drunter und drüber geht. Aber der Kern der Geschichte ist wohl doch das Gefühl der Fassungslosigkeit, der Hilflosigkeit, mit der ich versuche, deutlich zu machen, wie ein recht durchschnittlicher Typ von verschwörerischen Kräften aus seinem belanglosen Leben gerissen und zur Ikone einer neuen Revolution hochstilisiert wird.