Ich war in Berlin

Ich war in Berlin von Beermann,  Erika, Schaiber-Sokolski,  Michail, Scholz,  Bernd E.
1927 zieht der Vater des damals vierjährigen Michail Schaiber als Angestellter der sowjetischen Handelsvertretung von Moskau nach Berlin, wo die Familie bis Ende 1933 lebt. Der Junge wächst zweisprachig in der deutschen Hauptstadt heran und erlebt die politischen Veränderungen im Land aus der doppelten Perspektive des Einheimischen und des Ausländers. Hier entdeckt er seine Leidenschaft für das Schachspiel und den Fußball; hier macht er dank seiner eigenen Beziehungen zu den »Kindern der Hinterhöfe« und dem gesellschaftlichen Umfeld seines Vaters Bekanntschaft mit Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft, politischer und menschlicher Gesinnung und Zukunft; hier hat er Schlüssel­erlebnisse, die ihn sein Leben lang darüber nachdenken lassen, auf wie dünnem Eis sich Humanität und geistige Prinzipien in der heutigen Welt bewegen. Sechzig Jahre später erinnert sich Michail Schaiber an diese Zeit: Seine Kindheit in Berlin.
Aktualisiert: 2020-08-15
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Das Höckerpferd

Das Höckerpferd von Jerschow,  Pjotr, Schaiber-Sokolski,  Michail
In Russland erzählt man sich, wie in aller Welt, seit vielen Jahrhunderten Märchen. Manche von ihnen haben überall im Lande Verbreitung gefunden, andere sind weniger populär geworden. Doch keines von ihnen hat eine solche Volkstümlichkeit erlangt, wie ein Märchen, das erst gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts entstanden ist: das ›Höckerpferd‹, ein Versmärchen des Dich­­ters Pjotr Jerschow (1815-1869). Jerschow war gerade sechzehn Jahre alt, als er in die russische Hauptstadt Petersburg kam, um an der Universität zu studieren. Hier machte er bald die Bekanntschaft mehrerer bedeutender Literaten, darunter auch die des größten und berühmtesten russischen Dichters, Alexander Pusch­­kin, der um diese Zeit selbst schöne und lustige Versmärchen zu schreiben begann, die in Russland bis auf den heutigen Tag jedes Kind kennt. Als aber Jerschow in wenigen Wochen sein ›Höckerpferd‹ niederschrieb, war allen klar, dass er sogar Puschkin übertroffen hatte. Doch blieb das ›Höckerpferd‹ sein einziges so geglücktes Werk. Er schrieb später, als er sein Studium absolviert hatte und als Schulrektor nach der sibirischen Stadt Tobolsk versetzt wurde, noch viele Verse, doch blieb ihnen der Erfolg versagt. Das ›Höckerpferd‹ dagegen hat nicht nur die mehr als 150 Jahre überlebt – es wird fast jedes Jahr von den verschiedensten Verlagen aufs neue herausgegeben und ist dann in wenigen Tagen vergriffen; eine Oper und ein Ballett, die den beliebten Titel tragen, stehen ständig auf dem Spielplan vieler Musiktheater, darunter eines der größten in der Welt – des Moskauer Bolschoi, und die be­rühm­testen russischen Schauspieler rezitieren das Märchen immer wieder im Rundfunk. Diese Beliebtheit erklärt sich wohl vor allem daraus, dass die Hauptfigur des Märchens ›Iwán der Tropf oder der Dummkopf‹, der gar nicht so einfältig oder dumm, sondern ganz hübsch klug und ziemlich schlau ist, einen echten russischen Volkscharakter darstellt. Natürlich einen ironisch gesehenen Volkscharakter, doch tut ja ein Schuß Selbstironie dem menschlichen Herzen und dem menschlichen Geist stets wohl. Hinzu kommt, dass der eigentliche Gegenspieler Iwáns, der Zar, nun ein wirklicher Blödling ist, und das wird von den Russen gleichsam als Racheakt gegen die despotischen Herrscher empfunden, die zu Jerschows Zeiten und oft auch später, bis in neueste Zeit hinein, das Land nicht so sehr lenkten als vielmehr unterdrückten. Bei alldem ist aber das ›Höckerpferd‹ ein lustiges, interessantes und geistreiches Märchen, das Kinder wie Erwachsene gern aus reinem Vergnügen lesen. Dabei sollte der deutsche Leser beachten, dass der Name unseres Helden, Iwán, im Russischen auf der zweiten Silbe betont wird …
Aktualisiert: 2020-08-15
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Ars erotica in Stalinabad

Ars erotica in Stalinabad von Schaiber-Sokolski,  Michail, Scholz,  Bernd E.
Bei Durchsicht der nach dem 2. Weltkrieg über Moskau nach Stalinabad verbrachten Herzoglichen Bibliothek von Meiningen entdeckt der Autor gemeinsam mit der Bibliothekarin ein Erotikon des 18. Jahrhunderts. — Stalinabad? Mit dieser für deutsche Ohren dissonant wie durch falsche Lautassoziation wohlklingenden Wortbildung aus »Stalin« und »abad« (eigtl. Persisch für »bewohnt, kultiviert«) wurde das altehrwürdige Siedlungszentrum der Tadschiken, die Hauptstadt der Sowjetrepublik Tadschikistan »Duschanbe«, am 16. Oktober 1929 per Dekret in »Stalinabad« umbenannt. Acht Jahre nach dem Tode ihres ›Namenspatrons‹, Iosif Wissarionowitsch Stalin (1953), erhält sie wieder ihren alten Namen »Duschanbe« zurück. — In einem »Dossier« der Moskauer »Obschtschaja gaseta« [Allgemeine Zeitung] von 2003 heißt es weiterführend: »Bis 1920 gehörte das Territorium des heutigen Tadschikistan zum Emirat Buchara, einem Teil des zaristischen Russland. 1924 entstand es als autonomes Gebiet im Bereich des benachbarten Usbekistan. Erst 1929 erhielten die Tadschiken zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen staatlichen Status und wurden zu Bürgern einer souveränen Republik innerhalb der UdSSR. Etwa eine Million Usbeken befanden sich auf tadschikischem Territorium und fast zwei Millionen Tadschiken in Usbekistan. Samarkand, Buchara und Ferghana, einst nicht nur kulturelle Zentren der turk­sprachigen Usbeken, sondern auch der persischsprachigen Tadschiken, verblieben auf dem Territorium von Usbekistan. Das nördliche Chodschent, in sowjetischer Zeit Leninabad, hauptsächlich von Usbeken bewohnt, bestand lange Zeit nach 1937, als die erste tadschikische Regierung erschossen wurde, hauptsächlich aus den Süd-Kulobzen und stellte die führende Elite Tadschi­kistans. Anfang der 1980er Jahre verschärfte sich der Kampf um die Regierungsgewalt und die Chodschenzen mussten die Vertreter aus Kulob und dem Pamir an der Regierung beteiligen. Mit Beginn der 1990er Jahre kam es zwischen den prokommunistischen Regierungsparteien und der anwachsenden Opposition zum Zerwürfnis. Die demokratische Opposition wuchs schnell zu einer islamischen Bewegung heran. Es entstand die islamische Partei ›Wiedergeburt‹. Als im Sommer 1992 die Opposition den Präsidenten Rahmon Nabijew verjagte, zog die vom Zerfall bedrohte Nomenklatura die Kulobzen auf ihre Seite, indem sie sie bewaffnete und ihr Regierungsposten versprach. Das war der Anfang des Bürgerkriegs in Tadschikistan. Im Herbst1992 wählte die Session des Obersten Sowjets Emomali Rahmonow zum Oberhaupt Tadschikistans, den Direktor einer Sowchose aus dem Kulobsker Bezirk.« [E. Rahmonow ist dann ab 1994 Staatspräsident Tadschikistans bis heute (31.12.2014). Die deutsche Schreibung der Namen erfolgt nach der in der deutschen Wikipedia üblichen Weise, die allerdings dort nicht sehr konsequent gehandhabt wird.] — Herzogliche Bibliothek von Meiningen? Auf der Webseite ihres heutigen Nachfolgers, der »Stadt- und Kreisbibliothek Anna Seghers«, erfahren wir heute (31.12.2014), dass der Bestand der »wissenschaftlichen Abteilung« 1945 unter die »Enteignungsklausel« fiel und im Februar 1946 in die Sowjetunion abtransportiert wurde. »Seitdem gilt er als verschollen.« — Hier darf man durchaus begründet anderer Meinung sein. Denn dass der Bestand nur für den als »verschollen« gelten konnte, der ihm zugegangene Informationen über den Verbleib nicht zur Kenntnis nahm, weil er es nicht wollte oder nicht durfte, erhellen vor allem zwei Zitate aus diesem Buch, die ich hier anführe, weil man sie leicht überlesen kann: »Einige Bücher, die das Judentum betrafen oder einzelne Juden, brachte ich in den siebziger Jahren nach Dresden zu meinem Freund Helmut Eschwege*), dem großen Historiker des deutschen Judentums, und er setzte übrigens die Verwaltung der Stadt Meiningen über den Fundort der berühmten Sammlung in Kenntnis, ohne dass jedoch, soweit mir bekannt ist, von dort irgendeine Reaktion erfolgt wäre.« Beim Verfassen seiner über tausendseitigen Lebenserinnerungen »Getreues Gedächtnis« in Moskau Anfang der 1990er Jahre taucht auch die Meininger Bibliothek in Stalinabad im Gedächtnis von Michail Schaiber wieder auf. Sicher nicht ohne Grund, denn in dieser Zeit erlebte die ehemalige Sowjetrepublik Tadschikistan einen Bürgerkrieg von »ungeheuerlichem Ausmaß«, ein russisches Trauma, das bis heute nachwirkt – in westlichen Publikationen so gut wie unbeachtet. Umso erstaunlicher mutet daher die vom Autor beschriebene eigene Reaktion und die seiner Freunde nach der gewaltsame Exilierung an: »Nach ihrer Übersiedlung nach Moskau erklärten sie alle (...) Duschanbe sei Vergangenheit, sie wollten nicht mehr daran denken, und es lohne sich auch nicht, es sei eine ein für alle Mal verschwundene Vision, und Russen müssten in Russland leben. Eine so völlige Unterdrückung natürlicher Nostalgie lässt sich, so scheint mir, nur auf eine Weise erklären: mit dem verborgenen, unbewussten, intuitiven Gefühl, an einem gigantischen, universal-historischen Prozess teilzuhaben, einem Gefühl, das nicht nur tröstete und mit dem Schicksal versöhnte, sondern in gewissem Sinne auch die Seele erhob, die eigenen Lebensveränderungen mit den unumstößlichen, unerforschlichen Gesetzen der Welt motivierte, und auch einfach schmeichelte …« Wenig schmeichelhaft ist dann für Deutschland, das 1989/90 auch am »universal-historischen« Prozess» teilgenommen hatte – und das mit glücklichem Ausgang –, die Reaktion auf seinen Leserbrief an die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, in dem er im September 1994 auf die Meininger Bücher in Duschanbe hinweist. Es gab keine, und es gibt keine – bis heute. Auch die später durchaus erfolgreichen Restitutionsbemühungen nach dem Krieg von der SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) beschlagnahmter Kunst durch Regina von Habsburg (Regina Prinzessin von Sachsen-Meiningen, 1925-2010) berühren die Meininger Bestände in Duschanbe nicht. Führt zu ihnen jetzt vielleicht das ›Meininger Erotikon‹? Das reich illustrierte Werk der Aufklärung wird 1949 in Stalinabad für den neugierigen und sprachkundigen 26 Jahre alten Leser, Michail Schaiber, zur Quelle vielfältiger praktischer Anwendungen ... War es vielleicht das be­kannte Buch des Marquis d’Argens »Thérèse philosophe. Eine erotische Beichte« (1748), des Kammerherrn Friedrichs II. – auch ›der Große‹ genannt, oder gar John Clelands »Fanny Hill. Memoirs of a Woman of Pleasure« (London 1749), die ihm zu dieser höchst unsowjetischen ›éducation sentimentale‹ verhalfen? Wir wissen es nicht, denn die Herzogliche Bibliothek ist bis heute bis auf einige wenige Exemplare nie wieder aufgetaucht. Und auch die von Gabriela von Habsburg 2013 in der Zeitschrift »Cicero« (18. Oktober) gelegte Spur sollte bisher nicht weiterführen. Doch neben zahlreichen Amouren ›fugitives‹ findet sich die ergreifende und unerfüllt-unerfüllbare spi­ri­tuelle Liebesgeschichte des heranreifenden russisch-jüdischen Gelehrten zu einer sich aus den Fesseln muslimischer Traditionen befreienden ›orientali­schen‹ Dozentin der Anglistik. In den Suchmaschinen des Internets finden sich ihre Aktivitäten als Frauenrechtlerin in Duschanbe (seit 1989) und als Sprachwissenschaftlerin unter der englischen Schreibung ihres Namens – Malokhat Badriddinovna Shakhobova, aber auch unter der kyrillischen Schreibweise. Sie starb am 30. September 2003 in Duschanbe. In einem bisher unveröffentlichten privaten Nachruf heißt es: »Beginning in 1954, when she startetd to build up the chair of English language of sciences of Tajikistan, she has sacrified her life and all her energy to teaching English as a foreign language in Tajikistan. Until the very end of her professional life in March 2003, she was busy writing textbooks, dictionaries and other teaching and learning materials for all levels of students, including one loveley children’s book. Developing the ESU [The European Students’ Union] in Tajikistan and spreading English language throughout her country was the explicit aim of her life. She will be remembered as a prominent person not because of her position but because of her energy and brightness and her honest und straight forward personality.« Heute ist man weniger versucht, von einem »universal-hi­storischen Prozess« zu sprechen, als von einer universal-historischen Utopie, die immer noch auf ihre Erfüllung wartet und daher hier von Erika Beermann aus Michail Schaiber-Sokolskis unveröffentlichten russischen Erinnerungen »Getreues Gedächtnis« fili­g­ran übersetzt wurde. POSTSCRIPTUM Was nicht in diesem Buch steht, aber dennoch gerade für Deutsche nützlich zu wissen ist. Tadschikistan ist das Land, das durch seine Uranproduktion in und um Tschkalowsk nach 1945 eng mit Wismut in der sowjetisch-besetzten Zone verknüpft war. Der in jeder Hinsicht mit allergrößtem Aufwand betriebene Uran-Abbau an beiden Orten und ihren angrenzenden Regionen führte Anfang der 1949er Jahre zur ersten sowjetischen Atombombe. Während Wismut mit einem Einsatz von mehr als 6 Milliarden DM heute weitgehend als ›rekultiviert‹ gilt, wozu es einen vorbildlichen Artikel in der deutschen Wikipedia gibt, lässt sich dies von den Abbaustätten in Tadschikistan, die nach einem Artikel in der »Izvestija« vom 14.04. 2009 mit chinesischer Hilfe auf geheimnisvoll-dunkle Weise sogar wieder in Betrieb genommen werden sollten, wahrlich nicht behaupten. Nicht nur, dass hier immer noch die alte so­wjetische Geheimniskrämerei überwiegt – jetzt ta­­dschi­kisch gewandet, die ökologischen Folgen sind mittlerweile derart evident, dass es auch den Nachbarstaaten angst und bange wird. 53 plus 12 Millionen Tonnen unversorgt-strahlende »Uranabfälle«, mit einer von der Tadschikischen Akademie der Wissenschaften festgestellten Radioaktivität an den beiden wichtigsten Abgängelagern von 240-285 Terra-Bq, hat die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) der Vereinten Nationen ›besichtigt‹. — Überdies hat das einst größte Aluminiumwerk der UdSSR – heute TALCO AG – in Tursunsoda (engl. Tursunzoda; russ. Tursunzade) ebenfalls seine unver­meid­lichen Spuren hinterlassen. Die russische Wiki- pedia konstatiert dort als einzig Berichtenswertes ein von den USA unterhaltenes Ausbildungszentrum für die tadschikische Armee. — Parallel zu dieser tadschikischen Umweltkatastro-phe – wie an vielen anderen Orten der UdSSR (Tschel­jabinsk-40) ­– vollzog sich hier mit dem Ende derselben nach 1991 ein unkontrollierter Zusam­menbruch der Industrie und eine ebenso un­­­kont­rol- ­lierte Vertreibung des russischsprachigen Bevöl­kerungsanteils (einst ca. 440.000, heute ca. 40.000). Manche russischen Internetseiten bezeichnen dieses bis heute nachwir­kende Trauma der zwangsweisen Exilierung im eigenen Land als »Genozid«. Das missglückte Experiment eines ›Zusammenwachsens der Völker der So­­­wjet­union‹ zu einer ›Vielfalt in der Einheit‹ mündete in radikale Re-Islamisierung, Re-Russifizierung und Re-Nationalisierung der jeweiligen Völker. Dabei mag es als eine besondere Ironie der Geschichte gelten, dass man heute – Ende 2014 – von ca. 1 Million ta­dschikischen »Wander- und Gastarbei­tern« in der Russischen Föderation spricht. —
Aktualisiert: 2020-08-15
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Russlands europäische Sehnsucht II

Russlands europäische Sehnsucht II von Schaiber-Sokolski,  Michail, Scholz,  Bernd E.
Achtundzwanzig einstündige Radioessays versammelt dieser Band. Von der frühesten Zeit Russlands bis 2001 erstreckt sich ihr zeitlicher Rahmen. Überlegungen zur Geschichte Russlands, zu seiner Literatur, seiner Philosophie. Entstanden sind sie in Moskau und Marburg. In Moskau vor allem in der »Staatlichen Bibliothek für Ausländische Literatur« und der »Staatlichen Russischen Bibliothek« (vormals Lenin-Bibliothek). In Marburg an den Instituten für Slawistik und Osteuropäische Geschichte, die 2004/05 vom Land Hessen geschlossen wurden. Ihr Verfasser, ein 1923 in Moskau geborener, »universalistischer« russischer Jude, schrieb sie in deutscher Sprache, die er genauso wie seine Muttersprache Russisch fließend beherrschte. In der Sowjetunion sicherte ihm dies seine Existenz wie seine Unabhängigkeit – der »freie« Übersetzer aus dem Russischen ins Deutsche war ein gesuchter Mitarbeiter der Verlage. Dabei gelang gleichsam nebenher auch Erstaunliches: Lyrikübersetzungen russischer Dichtung ab Alexander Puschkin, von deren Qualität sich die Hörer des SWR II (Abteilung Literatur, Gerhard Adler) in 16 »Lyrischen Profilen« (halbstündigen Sendungen) in den 1990-er Jahren überzeugen konnten. Sie erschienen 2003 in Marburg in Buchform als »Russlands Europäische Sehnsucht I« – gewissermaßen als Ehrengabe zum 80. Geburtstag. Die jetzige Herausgabe der »Stundenessays« erschließt endlich auch diesen Teil seines geistigen Erbes in Form eines »Kompendiums«, dessen gesamtes Spektrum in der Schrift »Die tausendjährige Spaltung. Russland. Geschichte, Geist, Gefahren. 15 streitbare Essays« (Marburg 1997) bibliographisch dokumentiert ist, hier vor allem die Schriften im »Samisdat«, aus dem »Darknet« der Sowjetunion. Und wer wollte heute, Anfang Februar 2019, die Aktualität seiner Fragestellung von 1984 – »Der Geist angesichts der Weltkatastrophe» (russisch) – leugnen, wo es doch 1974/1975 bei ihm noch optimistisch gelautet hatte – »Der Geist als Erbe und Mission«? Wie sich 1997 bei der Herausgabe der »Tausendjährigen Spaltung« in erschreckender Weise herausstellen sollte, hatte man in Deutschland nicht gerade auf einen überlebenden jüdischen Zeugen aus der einstigen Sowjetunion gewartet, der überdies noch die mehr als wohlbegründete Meinung vertrat, der mit den KSZE-Verhandlungen 1973, 1974 und 1975 eingeleitete Prozess der Auflösung der West-Ost-Spaltung sei kein Sieg der Politökonomie des Westens gewesen, sondern von der ›Intelligenzija‹ der Völker des Warschauer Paktes unter allergrößten, zumeist auch persönlichen Opfern errungen worden. Hiervon zeugt insbesonders die Geschichte der Moskauer Helsinki-Gruppe, gegen deren Mitglieder der sowjetische Geheimdienst bis zum Beginn der Ära Michail Gorbatschows zusammengerechnet an die 60 Jahre Lagerhaft und 40 Jahre Verbannung erwirkte, ganz zu schweigen von Einweisung in psychiatrische Anstalten, Entzug der Staatsbürgerschaft (Expatriierung) und Berufsverbot. Im Nachwort wird daher auch darauf eingegangen, wie sich das Leichentuch eines immer virulent vorhandenen, klandestinen Antisemitismus deutscher postnationalsozialistischer Osteuropaforscher über Autor und Verlag herabsenken sollte. Und nicht nur dieser. Unvoreingenomme Leser und Hörer gab es auch. Für sie haben wir uns der Mühe unterzogen, das auf den Hörer zugeschnittene Wort, das auch komplizierte soziale, politische oder philosophische Sachverhalte verständlich werden lässt, neu durchzusehen, d.h. rund 750 Namen vor allem anhand der heutigen höchstaktuellen und höchstinformativen russischen Suchmaschine Yandex.ru einzeln zu prüfen und zu indizieren. In vieler Hinsicht sind diese in Deutschland weitgehend unbekannten Namen auch ein Zeugnis des geistigen Potentials Russlands. Im Nachhinein lesen sie sich wie das »Who’s who of Perestroika«, das ich 1990 in Marburg verlegt habe (russisch). Dennoch war äußerste Zurückhaltung geboten bei der Hinzufügung aktualisierter biographischer oder anderer Informationen. Es hätte das Ziel dieser Essays, gedankliche Anregung zu sein, unzulässig verfälscht. Oder wie es Marion Gräfin Dönhoff einmal ausgedrückt hat: Der Gedanke sollte über der Fußnote stehen. Alle Zusätze gehen daher auf das Konto des Herausgebers. Die Aktualität dieser Radioessays findet sich in der Brechung genuin russischer Welt- und Geschichtserfahrung im geistigen Spektrum eines russischen Europäers. Damit betreten wir aber auch bereits den stellvertretenden Kampfplatz aktueller gesellschaftlicher Konfrontationen in Russland, der in der für einen heutigen Deutschen weitabgelegenen Diskussion des »Sinn«-Verlaufs der gesamten Geschichte Russlands liegt.
Aktualisiert: 2020-08-13
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