Kindestötungen und -aussetzungen sind traurige Wahrheit in unserer Gesellschaft. Häufig wird darüber Unverständnis ausgedrückt: Was bewegt die Mütter zu einer solchen Tat? Welche Umstände gehen einer solchen Handlung voraus? Dieses Unvermögen die Beweggründe der Mütter zu verstehen, führt zu weiterer Beschäftigung mit dieser tragischen Thematik.
Das Delikt der Kindestötung und -aussetzung ist vergleichsweise selten. Jedes Jahr werden über 700.000 Kinder geboren, aber „nur“ 20-40 von ihnen werden getötet oder ausgesetzt. Trotzdem sehen sich in ganz Deutschland Personen herausgefordert, diesen Kindern einen besseren Start in das Leben bzw. ein Leben überhaupt zu ermöglichen. Dabei bieten sie den Müttern an, deren Kinder, ohne Offenlegung der Personaldaten, in Obhut zu nehmen. Der Inobhutnahme des Kindes kann eine ärztlich betreute, anonyme Geburt vorausgehen oder das Kind wird heimlich entbunden und dann in eine Babyklappe gelegt oder persönlich übergeben. In Deutschland gibt es mittlerweile ungefähr 80 Babyklappen bzw. Möglichkeiten zur persönlichen Übergabe eines Neugeborenen und eine unbekannte aber große Anzahl von Kliniken, die anonyme Geburt anbieten.
Es stellt sich die Frage, ob die Angebote zur anonymen Kindesabgabe ihr Ziel erreichen. Verhindern solche Angebote, dass Mütter ihr Neugeborenes töten oder aussetzen? Oder anders betrachtet: Hätten die Mütter, die die anonymen Angebote in Anspruch genommen haben, ihr Neugeborenes andernfalls ausgesetzt oder getötet?
Antworten können auf unterschiedliche Weise gesucht werden. Zum einen kann eine quantitative Untersuchung durchgeführt werden, zum anderen eine qualitative. Eine quantitative Studie untersucht, ob entsprechend der immer flächendeckender eingerichteten anonymen Angebote ein Rückgang von Tötungen und Aussetzungen von Neugeborenen zu verzeichnen ist. Dazu werden die aktuellen jährlichen Fälle von Kindestötungen und -aussetzungen mit früheren Statistiken aus Zeiten ohne anonyme Angebote verglichen. Hierzu gibt es bisher drei Studien, von Bott und Swientek (terre des hommes 2005), von SterniPark e.V. (2004) und von Babyklappe Hüllhorst (2005b), die sich in ihren Ergebnissen erheblich voneinander unterscheiden. Da Bott und Swientek ausgesprochene Gegner anonymer Kindesabgabe sind und SterniPark e.V. und Babyklappe Hüllhorst selbst diese Möglichkeiten anbieten, ist es schwierig zu entscheiden, welche Ergebnisse die tatsächliche Situation zutreffender abbilden. Darüber hinaus muss die Häufigkeit der Nutzung der anonymen Angebote ermittelt werden. Dies gibt Auskunft darüber, in welchem Maße die Möglichkeiten anonymer Kindesabgabe genutzt werden und ob sie überhaupt ausreichend zugänglich sind.
Ergänzend sollte auch die Häufigkeit regulärer Adoptionen in die Betrachtung einbezogen werden. Wird festgestellt, dass in dem Umfang, in dem anonyme Angebote vermehrt genutzt, reguläre Adoptionen seltener werden, kann davon ausgegangen werden, dass anonyme Abgabe eher als Alternative zur regulären Adoption und nicht zur Aussetzung oder Tötung des Kindes betrachtet wird.
Im Gegensatz zur quantitativen untersucht die qualitative Studie soziographische Daten sowie die psychische Verfassung und das soziale Umfeld der betroffenen Mütter. Dazu müsste eine Befragung der Mütter selbst bzw. der mit ihnen in Kontakt kommenden Personen stattfinden. Im Bereich der Kindestötung liegen qualitative Studien vor. Das Themengebiet der Kindesaussetzung hingegen ist kaum erforscht. Und auch über Mütter, die ihr Neugeborenes in den vergangenen sechs Jahren anonym abgegeben haben, ist wenig bekannt. Die Informationen beruhen eher auf allgemeinen Äußerungen und Vermutungen von Anbietern anonymer Angebote und deren Kritikern, als auf systematischen empirischen Untersuchungen. Alle betroffenen Mütter sind sehr schwer auffindbar, denn sie machen nur einen geringen Anteil der Bevölkerung aus und wollen unerkannt bleiben. Im besonderen Maße trifft dies auf die anonym abgebenden Mütter zu. Die abgebenden Mütter im Adoptionsverfahren, die gegebenenfalls zum Vergleich herangezogen werden müssten, sind besser untersucht.
Es ist zweckmäßig einer qualitativen eine quantitative Untersuchung voranzustellen. Wenn die Anzahl der Mütter bekannt ist, die ihr Neugeborenes töten, aussetzen, anonym abgeben oder regulär zur Adoption geben, wird es einfacher, eine qualitative Studie zu konzipieren und durchzuführen. Von Vorteil wäre es, beide Teile in einer Arbeit zu verbinden. Da eine qualitative Analyse die Möglichkeiten einer Diplomarbeit jedoch übersteigt, werden hier ausschließlich quantitative Aspekte untersucht.
Die Erhebung und Auswertung beschränkt sich auf den Zeitraum, für den gesamtdeutsche Daten, einschließlich die der neuen Bundesländer, zur Verfügung stehen. Zahlen anderer Staaten, wie zum Beispiel zur anonymen Geburt in Frankreich, werden nicht zum Vergleich herangezogen, weil sie auf einer anderen Rechts- und Gesellschaftsgeschichte basieren und nicht ohne Einschränkungen übertragbar sind.
Nach einer Einführung in die Begrifflichkeiten Kindestötung und Kindesaussetzung, werden im Kapitel 2 beide Delikte auf ihr Vorkommen in Deutschland innerhalb der vergangenen Jahre hin untersucht. Es wird davon ausgegangen, dass anonyme Angebote ihr primäres Ziel dann erreichen, wenn Kindestötungen und -aussetzungen abnehmen.
Anschließend wird in Kapitel 3 die Anzahl der Kindesabgaben seit Existenz anonymer Angebote dargestellt. Sie wurden mittels eines selbst entwickelten Fragebogens erfasst, der an Anbieter von Babyklappen und persönlicher Übergabe gesandt wurde. Sollten Kindestötungen und -aussetzungen zurückgehen, müsste dies in dem Maße geschehen, wie die Nutzung der anonymen Angebote zunimmt.
In Kapitel 4 werden die Adoptionszahlen untersucht. Nehmen sie zu, wird angenommen, dass Neugeborene vor einer Tötung bewahrt wurden.
Abschließend werden in Kapitel 5 die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel zusammengefasst und miteinander verknüpft sowie ein Ausblick auf weitere wichtige Fragen zum Themenbereich anonymer Angebote gegeben.
Aktualisiert: 2018-09-16
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