Ein ‚Mörike-Buch’ besonderer Art
Als Kind schon entzückten Eduard Mörike die Windharfenklänge im Ludwigsburger Schlossgarten, zwei Jahrzehnte später hat er sie zu einem magischen Schlüssel- und Leitmotiv im Künstlerroman „Maler Nolten“ erkoren; mit 32 schreibt Mörike das Meistergedicht "An eine Äolsharfe", und ein ‚großer Harfenton’ wird ihm an seinem 70. Geburtstag bedeuten, dass es sein letzter sei.
In einem Dutzend Werk- und Briefstellen bildet das berückende Klingen des windgespielten Instrumentes eine empfindsam-symbolische Begleitmusik zu Eduard Mörikes Leben; und genau sieben Komponisten haben die anspruchsvolle Huldigung "An eine Äolsharfe" später in Musik ‚übersetzt’, unter ihnen Johannes Brahms, Hugo Wolf, Hans Werner Henze.
So nimmt es nicht wunder, wenn Mörike den literarischen Schwerpunkt einer neuen Studie gibt, deren Haupttitel jenem (mit Hermann Kurz zu sprechen) ‚poetischen Triumph’ entliehen ist:
‚Einer luftgebornen Muse
geheimnisvolles Saitenspiel’.
Zum Sinn-Bild der Äolsharfe
in Texten und Tönen
Der Germanistik-Professor Klaus Jeziorkowski hat Windisch-Laubes Auslegung bescheinigt, dass sie "die Deutungsgeschichte jenes Gedichts zu einem nicht mehr für möglich gehaltenen Höhepunkt" führe, indem der Autor "auf musikwissenschaftlicher Folie die metrischen und rhythmischen Raffinements dieses Textes abhorcht wie kein zweiter vor ihm und in aller erfolgreichen Detailliebe auf das Fortleben der antiken Versstrukturen und Metrumseinheiten sich so kenntnisreich einlässt, dass dieses scheinbar bisher so gut bekannte Gedicht vollkommen neu zu leben und zu tönen beginnt", womit "sich noch ganz neue Deutungszugänge und hochdifferenzierte Aufschlüsse ergeben, die dieses Gedicht als wahrlich unerschöpfbar erscheinen lassen."
Die Äolsharfe:
ein sagenumwobenes, von selbst ertönendes Instrument, das nur vom Wind scheinbar absichtslos zum Klingen gebracht wird. Seine merkwürdigen Melodien und regellosen Klänge verzaubern die Menschen von je – glaubten sie doch in alter Zeit, geheimnisvolle Stimmen aus dem Jenseits oder die Musik der Sphären zu hören.
Das Schaffen großer Dichter und Musiker ist mit Äolsharfen verglichen worden: Claude Debussy, Franz Liszt oder Hector Berlioz, Johann Wolfgang von Goethe, Hugo von Hofmannsthal oder Franz Schreker. Sie und viele andere haben der Äolsharfe einige ihrer wichtigsten und schönsten Werke gewidmet. Das wohl bedeutendste Gedicht stammt von Eduard Mörike und hat der vorliegenden Studie mit zweien seiner Verse den Namen gegeben: ‚Einer luftgebornen Muse geheimnisvolles Saitenspiel.’
Die ebenso kenntnis- wie umfangreiche Studie von Walter Windisch-Laube geht den Spuren der Äolsharfe in Literatur und Musik der letzten zweieinhalb Jahrhunderte nach. Dabei fördert der Spürsinn des Autors auch Unbekanntes und zu Unrecht Vergessenes ans Tageslicht. Rund 1000 Fundstellen werden dokumentiert und kommentiert; 17 übergreifende Kapitel widmen sich der eingehenden Analyse maßgeblicher Werke und bieten eine Fülle gänzlich neuer Deutungen. Friedrich Schiller, Franz Schubert, Hector Berlioz, Frédéric Chopin und Ludwig van Beethoven, Eduard Mörike, Johannes Brahms, Max Reger, Franz Schreker, Thomas Mann, Henry Cowell und Jan Garbarek, aber auch Salonmusik und Jugendstil, Neoklassizismus, Zahlen- und Ton-artensymbolik, Frauenemanzipation und Romantik stehen im Mittelpunkt der Werkinterpretationen.
Der interdisziplinäre Ansatz dieser Studie verbindet musik- und literaturwissenschaftliche Methodik mit Ausblicken in die Kunstgeschichte. So entsteht ein spannend zu lesendes Panorama, das den eminenten geistesgeschichtlichen Rang der Windharfe als Symbol und Topos erstmals umfassend und tiefschürfend darstellt. Ein Standardwerk!
Aktualisiert: 2021-01-09
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In diesem Band werden die Referate der Tagung über Musikwissenschaft1 im Nationalsozialismus
und in faschistischen Regimen — veranstaltet vom Musikwissenschaftlichen
Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Verbindung mit
der Gesellschaft für Musikforschung und der Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz,
abgehalten im März 2000 auf Schloss Engers — sowohl dem Fach als auch der
öffentlichen Diskussion vorgelegt. Eine neue, differenzierte Aufarbeitung der Verstrickungen
von Musikforschung und totalitären Regimen im Europa des letzten
Jahrhunderts war überfällig — das zeigte die Resonanz, die die Tagung in den
Medien fand (dem sonstigen Schattendasein unseres Faches in der öffentlichen Wahrnehmung
zum Trotz), ebenso wie die ähnlich gelagerten Bemühungen anderer
historischer Wissenschaften um eine Rückschau auf ihre jeweilige Fachgeschichte.
Dass es der Musikwissenschaft erspart blieb, einmal mehr mit den Worten Anselm
Gerhards zur ‚verspäteten Disziplin‘ zu werden, was die Auseinandersetzung mit der
eigenen Vergangenheit betrifft, das verdankt sie nicht zuletzt Pamela M. Potter und
Willem de Vries, deren Publikationen vor wenigen Jahren den Stein abermals ins
Rollen brachten. Seither informierten einzelne Beiträge in Sammelbänden (herausgehoben
sei Musikwissenschaft — eine verspätete Disziplin? Die akademische Musikforschung
zwischen Fortschrittsglauben und Modernitätsverweigerung, hrsg. von
Anselm Gerhard, Stuttgart und Weimar: Metzler 2000) und in einschlägigen Periodika
über jenen meist unerfreulichen Bestandteil der Fachgeschichte. Parallel setzte
sich in der Geschichtswissenschaft die Diskussion mit konstanter Intensität fort, zeitweilig
bei gleichbleibendem sachlichem Niveau maßgeblich ins Internet bzw. in die
Mailingliste H-SOZ-U-KULT verlagert.
Mit diesem Band leistet die Gesellschaft für Musikforschung nun, erstmals in
einer Aufsatzsammlung auf das Thema spezialisiert, einen weiteren Beitrag zu jener
Diskussion.
Aktualisiert: 2021-01-09
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