Schwanzbeißen ist ein weitreichendes Problem in der modernen Schweinehaltung. In vorangegangenen Studien wurden bereits viele endogene und externe Faktoren identifiziert, die das Schwanzbeißverhalten beeinflussen können. Das Ziel dieser Dissertation war es, das Saugverhalten von Ferkeln hinsichtlich ableitbarer Charaktermerkmale der Tiere zu analysieren und den Einfluss dieser Merkmale als endogene Faktoren auf das manipulative Aufzuchtverhalten mit dem Schwerpunkt Schwanzbeißen zu untersuchen. Zudem wurde als externer Faktor die Präsentation von Videos als visuelle Umweltanreicherung für die Schweine analysiert.
Die Dissertation umfasst drei Experimente, die in den Jahren 2017 und 2018 durchgeführt wurden. Die erste Studie (Kapitel zwei) hatte das Ziel, das Saugverhalten der Ferkel zu analysieren, ihre Dominanz anhand ihres individuellen Verhaltens zu berechnen und Korrelationen mit anderen Merkmalen einschließlich des Allgemeinzustandes und möglicher Schwanzläsionen der Ferkel zu identifizieren. Das Experiment war in zwei Durchgänge unterteilt. In den ersten vier Lebenswochen waren 158 weibliche und männliche Saugferkel wurfweise mit einer Sau in konventionellen Abferkelbuchten aufgestallt (sechs Würfe mit 79 Ferkeln je Durchgang). Die Ferkel waren nicht kupiert, männliche Tiere wurden kastriert. Das Geburts- und Absetzgewicht wurde tierindividuell erfasst. Zusätzlich wurden der Allgemeinzustand und die Schwanzläsionen jedes Ferkels während der Saugperiode zweimal bonitiert. Das Verhalten der Ferkel wurde während des gesamten Experiments kontinuierlich per Video aufgezeichnet. Zur Bewertung des individuellen Säugeverhaltens der Ferkel wurden an 15 Beobachtungstagen innerhalb der gesamten Saugperiode je zwei aufeinanderfolgende Säugeakte ausgewählt (insgesamt 30 Säugeakte). Basierend auf der tierindividuellen Verhaltensanalyse wurden der Social Tension Index (STI) und der Dominanzindex (DI) für jedes Schwein einzeln berechnet, um dominante und submissive Charaktereigenschaften der Ferkel zu identifizieren. Die Effekte von Durchgang, Sau und Geschlecht auf die erhobenen Parameter wurden durch eine Varianzanalyse getestet. Mögliche Zusammenhänge zwischen den Merkmalen Geburts- und Absetzgewicht, Häufigkeit der beobachteten Verhaltensweisen, DI, STI und bevorzugtes Gesäugedrittel wurden mithilfe von Spearman-Rangkorrelationen berechnet. Zwischen den Durchgängen gab es einen unterschiedlich hohen Anteil von Ferkeln mit Körper- und Schwanzläsionen. Dieser Anteil korrelierte jedoch nicht mit anderen Merkmalen. Da die Häufigkeit agonistischer Saugverhaltensweisen nach dem achten Lebenstag abnahm, ist anzunehmen, dass zu diesem Zeitpunkt die Zitzenordnung festgelegt war. Hohe Standardabweichungen weisen hierbei auf eine hohe Individualität zwischen den Würfen hin. Zitzenkämpfe ohne sichtbare Bisse wurden in einem relativ konstanten Anteil über alle Beobachtungstage hinweg beobachtet, während intensivere Zitzenkämpfe mit sichtbaren Bissen unregelmäßiger und insgesamt seltener auftraten. Die positiven Korrelationen zwischen den Häufigkeiten von initiierenden und empfangenden, erfolgreichen und nicht erfolgreichen Verhaltensweisen deuten darauf hin, dass es sich bei den Zitzenkämpfen nicht um einzelne Aktionen, sondern um längere Kämpfe handelte. DI und STI waren signifikant negativ korreliert (rs = -0,509, p<0,001), was darauf hinweist, dass häufiger verdrängte Ferkel eher eine neue Auseinandersetzung initiierten als siegreiche Ferkel. Zudem bestand eine moderat positive Korrelation zwischen dem DI und dem Absetzgewicht der Ferkel. Es blieb unklar, ob größere Ferkel aufgrund ihrer körperlichen Überlegenheit erfolgreicher in den Zitzenkämpfen waren oder ob dominante Ferkel aufgrund ihres Charakters mehr Zugang zum Gesäuge hatten, somit mehr Milch erhielten und schwerer wurden. Insgesamt konnten den Ferkeln anhand ihres Säugeverhaltens verschiedene Charaktermerkmale zugeteilt werden.
In der zweiten Studie (Kapitel drei) wurde das Manipulationsverhalten von Absetzferkeln analysiert, wobei der Schwerpunkt auf den Tätern und Opfern von Schwanzbeißen lag. Außerdem wurde der Zusammenhang zwischen dem Schwanzbeißverhalten und dem endogenen Faktor der zuvor bestimmten dominanten und submissiven Charaktermerkmale der Ferkel (Kapitel zwei) untersucht. Die Ferkel wurden im Alter von vier Wochen abgesetzt und je Durchgang in sechs konventionelle Aufzuchtbuchten mit neun bis zehn Ferkeln pro Bucht eingestallt (59 Absetzer pro Durchgang; insgesamt 118 Tiere). Über die gesamte Aufzuchtperiode von sechs Wochen wurden wöchentlich das Körpergewicht, der Allgemeinzustand und die Schwanzläsionen tierindividuell bestimmt. Das Verhalten der Ferkel wurde über die gesamte Versuchsdauer hinweg kontinuierlich auf Video aufgezeichnet. Aus diesen Aufnahmen wurden je Woche zwei Beobachtungstage ausgewählt (12 Tage insgesamt). Anhand dieser Videoaufnahmen wurden die Verhaltensweisen Täter und Opfer von Schwanzbeißen, Täter und Opfer von Ohrbeißen, Bauchmassage, Seil-, Pellet- und Jutesackmanipulation analysiert. Eine Varianzanalyse wurde durchgeführt, um mögliche Effekte von Durchgang, Sau, Geschlecht und Aufzuchtbucht auf die ausgewerteten Parameter zu bestimmen. Das Gewicht beim Absetzen und am Ende der Aufzuchtperiode, die Häufigkeit der manipulativen Verhaltensweisen während der Aufzucht und DI und STI basierend auf dem Saugverhalten wurden mithilfe von Spearman-Rangkorrelationen auf mögliche Zusammenhänge analysiert. Zusätzlich wurde eine Hauptkomponenten- und Clusteranalyse durchgeführt, um Gruppen von Ferkeln zu identifizieren, die ein ähnliches Saug- und Aufzuchtverhalten zeigten. Verletzungen an den Ohren und Flanken traten hauptsächlich in den ersten und letzten zwei Wochen der Aufzucht auf und wurden wahrscheinlich durch Rangkämpfe verursacht. Ohrbeißen und Bauchmassage wurden hingegen während der gesamten Aufzuchtperiode in unterschiedlichen Frequenzen beobachtet. Das Schwanzbeißverhalten (durchschnittlich 0,27 ± 0,48 Bisse pro Schwein, Stunde und Tag) nahm in der Mitte und am Ende der Aufzucht zu, wobei Schweine sowohl als Täter als auch als Opfer von Schwanzbeißen beobachtet wurden. Schweine hatten umso häufiger Schwanzverletzungen je mehr Schwanzbisse sie von Buchtengenossen erhielten. Die Schwanzverletzungen traten jedoch mit einer Verzögerung von mehr als einer Woche nach einem Anstieg der beobachteten Bisse auf, was die Bedeutung von Verhaltensanalysen unterstreicht. Es wurde beobachtet, dass Schweine, die während des Saugens hauptsächlich submissives Verhalten zeigten und daher einen negativen DI hatten, während der Aufzucht höhere Frequenzen des Schwanzbeißens zeigten (rs= -0,256, p<0,01). Zudem waren die Frequenz des gezeigten Schwanzbeißens und das Absetzgewicht moderat negativ korreliert (rs= -0.199, p<0.05). Möglicherweise kompensieren diese Ferkel ihre Unterwürfigkeit, indem sie versuchen mithilfe von Schwanzbeißen andere Schweine von eingeschränkt verfügbaren Ressourcen zu verdrängen. Es wurde keine Korrelation zwischen Schwanzbeißen und anderen manipulativen Aufzuchtverhaltensweisen gefunden. Da mithilfe der Hauptkomponenten- und der Clusteranalyse kein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Säugeverhalten und der späteren Rolle beim Schwanzbeißen festgestellt werden konnte und die Tiere zwischen der Rolle des Täters und Opfers von Schwanzbeißen wechselten, scheint die Veranlagung für Schwanzbeißen kein stabiles Charaktermerkmal zu sein.
Die dritte Studie wurde durchgeführt, um die Verwendung von Videos als visuelle Umweltanreicherung für Schweine zusätzlich zu üblichen Beschäftigungsmaterialien als externen Einflussfaktor für Schwanzbeißen zu untersuchen (Kapitel vier). 36 kastrierte männliche Absetzferkel wurden in drei Versuchsställe (12 Schweine pro Stall) eingestallt, die mittels einer Trennwand in jeweils zwei gleich große und symmetrisch ausgestattete Bereiche unterteilt waren. Die Ferkel konnten über einen Durchgang frei zwischen beiden Bereichen wechseln. Auf einer Seite der Trennwand wurde ein Bildschirm installiert. Das Verhalten der Ferkel wurde während des gesamten Experiments kontinuierlich auf Video aufgezeichnet. In den ersten zwei Wochen des Experiments (Phase eins) wurden vier verschiedene Videos („Wildschwein“, „Natur“, „Fluss“ und „Kunst“) ohne Ton für je eine Stunde pro Tag in zufälliger Reihenfolge innerhalb eines festen Zeitplans präsentiert (10:00, 13:00, 16:00 und 19:00 Uhr). Während der ersten Phase zeigte jedes Schwein durchschnittlich etwa eine Minute pro Tag das Verhalten „Video schauen“. Meistens ging dieses Verhalten mit Bildschirmkontakt einher (87,42% im Durchschnitt). Die Häufigkeit und Dauer des Verhaltens „Video schauen“ waren stark korreliert (rs= 0,961, p<0,001) und unterschieden sich signifikant zwischen den Ställen (p<0,001). Beim Vergleich der Ergebnisse der einzelnen Videos wurde die höchste Dauer des Verhaltens „Video schauen“ für das „Wildschwein“-Video gemessen (durchschnittlich 25,77 ± 30,58 Sekunden pro Schwein und Tag). Dieses Video unterschied sich aufgrund seiner häufig wechselnden Kamerawinkel und Szenen sowie der gezeigten (wilden) Artgenossen von den anderen Videos. In Phase zwei wurde unter dem Bildschirm eine Edelstahlschalteinheit mit vier Tasten installiert. Jede Taste war ständig mit einem der vier Videos verknüpft, die den Ferkeln bereits in Phase eins des Experiments (Kapitel vier) präsentiert worden waren. Die Schweine hatten somit die Möglichkeit, per Tastendruck das Abspielen eines Videos auszulösen und frei zwischen den Videos zu wechseln. Es gab keinen Unterschied in der Häufigkeit des Verhaltens „Taste drücken“ zwischen den vier Videos oder Tastenbelegungen. Außerdem schauten die Ferkel im Anschluss an den Tastendruck nur selten zum Bildschirm (3,56% im Durchschnitt). Da die Verhaltensweisen der beiden Phasen nicht korrelierten, scheinen die Tiere nicht bewusst eine bestimmte Taste gedrückt zu haben, um das verknüpfte Video abzuspielen und dadurch ihre Präferenz für ein bestimmtes Video zu zeigen. Insgesamt wurde die Präsentation der Videos von den Schweinen als Umweltanreicherung angenommen.
Die Prävention und Früherkennung von Schwanzbeißen bei Schweinen wird durch das plötzliche und nahezu unvorhersehbare Auftreten dieser Verhaltensstörung sowie den Wechsel der Tiere zwischen Täter- und Opferrolle erschwert. Die vorliegende Dissertation bietet neue Einblicke in mögliche Faktoren, die das Schwanzbeißen beeinflussen, und zeigt einen innovativen Weg zur Umweltanreicherung in der Schweinehaltung. In folgenden Studien sollten weitere Eigenschaften von Saugferkeln hinsichtlich ihres Einflusses auf abnorme Aufzuchtverhaltensweisen untersucht werden.
Aktualisiert: 2021-12-22
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