Ökonomie und Gesellschaft / Die ökonomische Wissenschaft und ihr Betrieb

Ökonomie und Gesellschaft / Die ökonomische Wissenschaft und ihr Betrieb von Gerlach,  Knut, Gijsel,  Peter de, Glombowski,  Jörg, Haslinger,  Franz, Kalmbach,  Peter, Nutzinger,  Hans G, Riese,  Hajo, Rothschild,  Kurt W, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wagener,  Hans-Jürgen, Weise,  Peter, Wittmann,  Ulrich
Inhalt Wolfgang Buchholz: Die Mathematisierung der Ökonomie - die Fragwürdigkeit einer Debatte Winfried Vogt: Über die Rationalität der ökonomischen Theorie Franz Haslinger: Wirtschaftswissenschaften zwischen Rhetorik und Falsifikationismus: Ein Fallbeispiel Jack Birner: Testing Economic Theories Empirically: The Contribution of Econometrics Jörg Breitung, Franz Haslinger und Maik Heinemann: Ist die empirische Makroökonomik eine wissenschaftliche Ilusion? Joachim Möller: Kommentar zu Breitung/Haslinger/Heinemann: Ist die empirische Makroökonomik eine wissenschaftliche Illusion? Piet K. Keizer: Union Economics, A Methodological Critique Hans Werner Holub: Einige kritische Überlegungen zum zeitgenössischen Wissenschaftsbetrieb Knut Gerlach: Anreizstruktur und Forschungsaktivitäten in wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichen Gabriele Köhler: Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftswissenschaftler in der Entwicklungspolitik Editorial Mit dem zehnten Band begeht das Jahrbuch "Ökonomie und Gesellschaft" ein kleines Jubiläum. Grund genug, diesen Band der Reflektion über das, "was Ökonomen tun, wenn sie Wissenschaft treiben", zu widmen. Schon mit dieser harmlosen Formulierung ergeben sich Schwierigkeiten. Was heißt es "Wissenschaft treiben"? Welches sind die Besonderheiten, die "Wissenschaft" und "Nichtwissenschaft" voneinander unterscheiden? Ein Blick in die philosophisch-wissenschaftstheoretische Literatur macht deutlich, daß es keine klaren und universell anwendbaren Abgrenzungskriterien gibt. Längst hat man erkannt, daß diese Doktrinen des Empirismus oder des kritischen Rationalismus etc. praktisch nicht befolgt werden und erhebliche logische Mängel aufweisen. Zwar berufen sich Ökonomen noch häufig auf den kritischen Rationalismus, in ihrem praktischen Tun befolgen sie jedoch diese methodologischen Regeln nicht oder bestenfalls nur sehr bedingt. In diesem Sinne wird denn auch die übertriebene "Mathematisierung in der ökonomischen Theorie" kritisiert. Die Kritiker - und es sind keineswegs nur solche, deren Mathematikkenntnisse gering sind - weisen nachdrücklich darauf hin, daß die Strenge des mathematischen Arguments lediglich den Anschein von Wissenschaftlichkeit vermittle. Worauf es in den Wissenschaften ankomme, sei das Aufstellen gehaltvoller Hypothesen und deren kritische Prüfung. Tatsächlich jedoch würden mathematische Modelle ohne Realitätsbezug und empirischen Gehalt entwickelt. Die meisten Ökonomen diskutierten Wirkungszusammenhänge in irrealen und künstlichen Welten. Folglich seien weite Bereiche der ökonomischen Theorie nutzlos und unwissenschaftlich, weil sie unser Wissen über die Realität nicht vermehrten. Mit der Fragwürdigkeit dieser Kritik an der Mathematisierung der Okonomie setzt sich Buchholz auseinander. Zu den Grundvoraussetzungen der herrschenden ökonomischen Methode gehören die "Situationslogik" und der Individualismus. Nach der Situationslogik sind die typischen Handlungen von (rationalen) Individuen durch die Handlungsumstände (Nebenbedingungen) und die Abwägung der Vor- und Nachteile der Konsequenzen bestimmt: Das Individuum wählt die voraussichtlich beste Entscheidung. Der Individualismus fordert, grob gesagt, daß gesamtgesellschaftliche Phänomene aus individuellem Rationalverhalten erklärt werden müssen. Situationslogik und Individualismus als methodologische Postulate sind umstritten. Unter anderem, weil das Rationalitätspostulat der Situationslogik nicht falsifizierbar ist und praktisch jedes Verhalten erklärbar wird, sofern die "richtigen" Variablen in die Nutzenfunktion aufgenommen werden. Der vielzitierte Imperialismus der ökonomischen Theorie" ist die Folge und so werden Familiengründung, Kinderzeugung, die Entscheidung zum Singledasein, Mafiamitgliedschaft und -nichtmitgliedschaft, rationales Suchtverhalten etc. situationslogisch bzw. "ökonomisch" erklärt. Gegen diesen Ansatz wird vorgebracht, daß gerade Interaktionen von Individuen - deren Ergebnisse Institutionen, soziale Zustände, Normen etc. seien - durch die ökonomische Theorie höchst unzureichend modellmäßig erfaßt würden. Vogt geht in seinem Beitrag auf diese Kritik ein und unterstreicht, trotz einiger Zweifel, die grundsätzliche Nützlichkeit dieser Methoden. Allerdings erweist sich der Begriff "Rationalverhalten" lediglich für Entscheidungen unter Sicherheit als unproblematisch. In zahlreichen Experimenten wurde gezeigt, daß die Erwartungsnutzentheorie, das Standardkriterium für Rationalverhalten bei Risiko, tatsächlich systematisch verletzt wird. Anhand dieses Fallbeispieles untersucht Haslinger, ob in dieser Situation überwiegend "sachlich-inhaltliche" Argumente oder eher "rhetorische Überzeugungsarbeit" die Diskussion bestimmen. Während im Bereich der Entscheidungstheorie kontrollierte Experimente möglich sind, erweisen sich im Bereich der Makroökonomik "crucial tests" als schwierig, wenn nicht sogar prinzipiell undurchführbar. Birner untersucht in seinem Beitrag, inwieweit ökonometrische Tests in den Debatten zwischen Hayek und Keynes von Bedeutung waren. Die Rolle der Ökonometrie im allgemeinen, und die Nützlichkeit von hochtechnischen, "sophistizierten" Verfahren im besonderen, werden in letzter Zeit heftig debattiert. Diese Debatten haben zu einer regelrechten Schulenbilung in der Ökonometrie geführt. Der Artikel von Breitung, Haslinger und Heinemann gibt einen Überblick über das Spannungsverhältnis zwischen Kritischem Rationalismus und ökonometrischer Methodik, über die wichtigsten Ansätze und eine Einschätzung ihrer Reichweite. Wenn es aber zweifelhaft ist, ob Tests überhaupt eine Entscheidung zwischen konkurrierenden makroökonomischen Theorien herbeiführen können, dann fragt sich, welche Möglichkeiten sonst noch existieren, um die "bessere" Theorie identifizieren zu können. Am Bespiel der Gewerkschaftstheorien argumentiert Keizer, daß der ökonomische Ansatz zu eng ist. Wie in vielen anderen Bereichen gibt es auch zur Wirkung von Gewerkschaften "nichtökonomische" theoretische und empirische Analysen, wie z.B. in der Soziologie, der Sozialpsychologie etc. Die Ökonomen müssen nach Keizer den Diskurs mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen suchen, um die Qualität ihrer Theorien verbessern und zwischen konkurrierenden Ansätzen erfolgreich diskriminieren zu können. Während die bislang vorgestellten Artikel eher methodologischer Natur sind, sind die folgenden drei Beiträge mehr der Wissenschaftssoziologie zuzurechnen. Holubs Beitrag liefert dazu den Brückenschlag. Anhand einer Analyse von Veröffentlichungen und Zitationen von Beiträgen zur Wachstumstheorie weist er nach, daß die überwiegende Zahl der Artikel lediglich Karrierezwecken nützt. Mathematisierung und Enge der Fragestellung erscheinen in einem System hohen Publikationsdrucks funktional bei der Verfolgung dieser Zwecke. Während Holub vor einer direkten Übernahme des amerikanischen Wissenschaftssystems ohne jede Modifikation warnt, fragt Gerlach, ob nicht angesichts der Tatsache, daß viele Wirtschaftswissenschaftler aufgrund fehlender pekuniärer Anreize in der universitären Grundlagenforschung sich von dieser abwenden und sich statt dessen in z.T. unwissenschaftlichen, gutdotierten, außeruniversitären Aktivitäten engagieren, verstärkte finanzielle Anreize nach amerikanischem Muster diesem Trend entgegenwirken könnten. Last but not least setzt sich Gabriele Köhler in ihrem Schlußbeitrag mit dem Wechselspiel zwischen der Rolle der Wirtschaftswissenschaftler, den Moden in den Wirtschaftswissenschaften und der entwicklungspolitischen Beratung auseinander. Sie weist nach, daß neue theoretische Erkenntnisse für entwickelte Staaten nur zu oft ungefiltert und unkritisch auf Entwicklungsländer übertragen werden.
Aktualisiert: 2018-11-08
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Ökonomie und Gesellschaft / Adam Smith über Ökonomie und Gesellschaft

Ökonomie und Gesellschaft / Adam Smith über Ökonomie und Gesellschaft von Gerlach,  Knut, Gijsel,  Peter de, Glombowski,  Jörg, Haslinger,  Franz, Kalmbach,  Peter, Nutzinger,  Hans G, Riese,  Hajo, Rothschild,  Kurt W, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wagener,  Hans-Jürgen, Weise,  Peter, Wittmann,  Ulrich
Inhalt Krishna Bharadwaj: Adam Smith's Contribution to Political Economy Ulrich Krause: Eigennutz und ethische Gefühle oder Wie wird man ein guter Egoist? Paul A. Heise: Stoicism in Adam Smith's Model of Human Behavior Hans G. Nutzinger: Das System der natürlichen Freiheit bei Adam Smith und seine ethischen Grundlagen Heinz D. Kurz: Adam Smith über Krieg und Frieden Peter Kalmbach: Unzeitgemäße Betrachtungen: Adam Smith und die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit Albert Jeck: Über Mensch und Natur sowie einige Bewegungsgesetze des Kapital(ismu)s Michael A. Landesmann: A. Smith's stages theory of economic development and the problem of the relative productiveness of different economic sectors Otto Roloff: Über Natur und Ursachen öffentlicher Finanzwirtschaften im Wealth of Nations Christof Rühl: Geldkreislauf, Einkommenskreislauf und effektive Nachfrage: Die Rolle des Geldes im "Wohlstand der Nationen" Editorial "Auf dem großen Schachbrett der menschlichen Gesellschaft besitzt jede Figur ihr eigenes Bewegungsgesetz, welches sich grundlegend von demjenigen unterscheiden kann, das ihr der Gesetzgeber aufzwingen will. Wenn die beiden Gesetze zusammenfallen und in die gleiche Richtung wirken, verläuft das Spiel der menschlichen Gesellschaft leicht und harmonisch und ist aller Wahrscheinlichkeit nach glücklich und erfolgreich. Wirken sie einander entgegen oder sind unterschiedlich, so verläuft das Spiel schlecht und die Gesellschaft befindet sich allzeit in einem Zustand größter Unordnung." Der vorliegende Band ist im wesentlichen einer Auseinandersetzung mit dieser Aussage des schottischen Moralphilosophen und politischen Ökonomen Adam Smith gewidmet, dessen Todestag sich am 17. Juli 1990 zum 200. Male jährte. Es geht um das "Bewegungsgesetz" des Individuums, dessen Einbindung in und Konditionierung durch überindividuelle Zusammenhänge und die Rolle des Staates - um das Spannungsfeld von individueller Freiheit und sozialer Ordnung. Es geht um den Prozeß menschlicher Zivilisation, um das Entstehen und Vergehen gesellschaftlicher Institutionen. Smiths Beitrag zur Beantwortung dieser Grundfragen der Sozialwissenschaft wird im folgenden am Beispiel einiger der großen Themen seines Werkes einzuschätzen versucht. Krishna Bharadwaj (Jawaharlal Nehru Universität Delhi) erörtert das Smithsche System der politischen Ökonomie, dessen sozialphilosophische Perspektive sowie seine um das Konzept des gesellschaftlichen Überschußprodukts kreisende Erklärung der Verteilung des nationalen Reichtums. Sie befaßt sich anschließend mit der Kritik und Weiterentwicklung des Smithschen Ansatzes durch Ricardo und Marx und wendet sich gegen den Vereinnahmungsversuch seiner Lehre durch die neoklassische Theorie von Angebot und Nachfrage. Ulrich Krause (Universität Bremen) diskutiert das Verhältnis von Eigeninteresse und ethischen Gefühlen. Ersteres, so seine Grundannahme, sei zusammengesetzt aus verschiedenen, zum Teil widersprüchlichen Motiven. Um alle weiteren, nicht bereits von diesem Begriff erfaßten Motive und darüber dessen Verhältnis zu den ethischen Gefühlen zu bestimmen, sei die Zerlegung des Begriffs sowie seine anschließende Rekonstitution erforderlich. Paul A. Heise (Lebanon Valley College, Annville, USA) unternimmt den Versuch, Smiths Verhältnis zur Stoa zu bestimmen. Er greift dabei auf Smiths Schriften zur Physik, Metaphysik, Logik, Ethik und Ökonomik zurück, in denen allen der Einfluß der stoischen Philosophie nachweisbar sei. Hans Nutzinger (Gesamthochschule Kassel) erörtert die ethischen Grundlagen der Smithschen ökonomischen Analyse und gelangt zu einer Neueinschätzung des berühmten "Adam Smith-Problems". Er untersucht darüber hinaus die Frage, ob bei Smith Elemente einer "materialen" Gerechtigkeitskonzeption anzutreffen sind, die über eine bloße "Tauschgerechtigkeit" hinausweisen. Heinz D. Kurz (Universität Graz) befaßt sich mit Smiths Ausführungen zu Krieg und Frieden, einem zentralen Thema seiner Studien und Spekulationen zum Prozeß menschlicher Zivilisation. Die Arbeitsteilung, für Smith einerseits der Schlüssel zu Reichtum, national wie international, ist für ihn andererseits die Ursache besorgniserregender individueller und gesellschaftlicher Deformationen. Smith beklagt insbesondere den mit der Verbreitung des "Geschäftssinns" einhergehenden Verlust an "Militärgeist". Dieser Verlust schwäche die Wehrhaftigkeit der entwickelten Gesellschaften und stelle den Fortgang des Zivilisationsprozesses in Frage. Gefragt sei die "Klugheit des Staates", dem einzigen potentiellen Retter in letzter Not. Die folgenden drei Arbeiten widmen sich in der Hauptsache dem zweiten Buch des WN, in dem Smith seine Theorie der Kapitalakkumulation und ökonomischen Dynamik entwickelt. Das Buch als ganzes, aber vor allem einige Teile darin sind besonders häufig auf Un- und Mißverständnis gestoßen. Peter Kalmbach (Universität Bremen) untersucht Smiths Unterscheidung zwischen "produktiver" und "unproduktiver Arbeit" und setzt sich kritisch mit den dagegen vorgebrachten Einwänden eines Marx und anderer Autoren auseinander. Er argumentiert, daß der Verzicht auf eine Unterscheidung dieser Art in der heutigen konventionellen Ökonomik nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß Smith damit - in welch vorläufiger und zeitbedingter Art auch immer - einen bedeutenden Aspekt der Realität einzufangen vermochte. Die nächsten beiden Arbeiten befassen sich vor allem mit den überwiegend auf Kritik und Ablehnung gestoßenen, weil einander scheinbar widersprechenden beiden Rangordnungen, in die Smith die verschiedenen Sektoren einer Ökonomie glaubte bringen zu können: zum einen gemäß deren jeweiliger Zugänglichkeit für die weitere (intrasektorale) Teilung der Arbeit und den damit einhergehenden Produktivitätssteigerungen, zum anderen gemäß des jeweiligen Beschäftigungseffektes der Anlage eines Kapitals gegebener Größe. Albert Jeck (Universität Kiel) rekonstruiert minutiös Smiths Kapitalbegriff sowie die produktionstheoretischen Grundlagen von dessen Vorstellungen einer optimalen Allokation von Kapital und produktiver Arbeit im nationalen Rahmen. Er zeigt, welche Schlüsselstellung in diesem Zusammenhang den Smithschen Vorstellungen hinsichtlich der unterschiedlich großen sektoralen Rohstoffanteile am jeweiligen Gesamtkapital zukommt. Michael A. Landesmann (Universität Cambridge, UK) befaßt sich mit Smiths Stadientheorie der Entwicklung der "kommerziellen Gesellschaft". Er interessiert sich insbesondere für die Smithschen Empfehlungen, wie sich über die Zeit die sektoralen Investitionsprioritäten ändern sollen, damit es zu einem optimalen Entwicklungspfad kommt. Jeder der drei Autoren gelangt zum Ergebnis, daß Smiths Analyse, berücksichtigt man die speziellen Annahmen, auf denen sie beruht, weit weniger inkonsistent sei, als zahlreiche seiner Kritiker behaupteten. Der Beitrag Otto Roloffs (Gesamthochschule Wuppertal) beschäftigt sich mit dem fünften Buch des WN, welches Smiths finanzwissenschaftliche Vorstellungen enthält, und konfrontiert diese mit dem neoklassischen Ansatz. Er stellt heraus, daß Smith zufolge im Privatsektor entstehende Verteilungs- und Eigentumskonflikte die Ursache staatlichen Handelns seien und staatliche Herrschaft die Vorbedingung der Sozialverträglichkeit privater Produktions- und Konsumtionstätigkeit. Christof Rühl (Universität Stuttgart-Hohenheim) diskutiert abschließend Smiths Beitrag zur Geldtheorie und korrigiert das verbreitete Urteil, Smith habe diesbezüglich nichts Nennenswertes beizusteuern gehabt. Erörtert werden insbesondere Smith und die Quantitätstheorie des Geldes sowie seine Auffassung zur Frage der Neutralität des Geldes.
Aktualisiert: 2018-11-08
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Ökonomie und Gesellschaft / Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit

Ökonomie und Gesellschaft / Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit von Gerlach,  Knut, Gijsel,  Peter de, Glombowski,  Jörg, Haslinger,  Franz, Kalmbach,  Peter, Nutzinger,  Hans G, Riese,  Hajo, Rothschild,  Kurt W, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wagener,  Hans-Jürgen, Weise,  Peter, Wittmann,  Ulrich
Inhalt Wolfgang Brandes, Peter Weise: Unternehmung und Arbeitsbeziehungen Gerd-Michael Hellstern: Umstrukturierung der Arbeitsbeziehungen durch neue Managementkonzepte Werner Sesselmeier: Mikroökonomische Theorien der Arbeitslosigkeit Thomas Eger, Hans G. Nutzinger: Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch. Institutionelle Arbeitsmarktvarianten und Arbeitslosigkeit Knut Gerlach, Uwe Jirjahn: Langfristige Beschäftigung, personalpolitische Konzepte und Beschäftigungsentwicklung Joachim Wagner: Strukturelle Komponenten der Arbeitslosigkeit Lutz Bellmann: Personenspezifische Arbeitslosigkeit Ulrich Walwei, Gerd Zika: Soziale Sicherung und Beschäftigungsprobleme Eberhard Dorndorf: Beschäftigungseffekte des Arbeitsrechts und ihre juristische Rechtfertigung Bernhard Michael Gilroy: Beschäftigungswirkungen multinationaler Unternehmungen Editorial An und für sich dürfte es keine Arbeitslosigkeit geben; denn es gibt noch eine große Anzahl von Tätigkeiten, die sinnvoll durchgeführt werden könnten. Ja, in einer Welt voll Knappheit, d.h. in einer Welt, in der es grundsätzlich zu wenige Güter im Verhältnis zu den menschlichen Bedürfnissen gibt, ist das Bestehen von Arbeitslosigkeit immer ein Anzeichen dafür, daß die Organisation der Wirtschaftstätigkeiten nicht funktioniert, Warum arbeitet ein Arbeitsloser nicht, wenn es doch genügend zu tun gibt? Und warum stellt ein Unternehmer keine zusätzlichen Arbeitskräfte ein? In den Zeiten des Faustkells gab es keine Arbeitslosigkeit - oder zumindest ist dies sehr schwer vorstellbar. Denn das Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung war an die Arbeitsleistung eines jeden Mitglieds eines Jäger- und Sammlerstamms gekoppelt. Hatte man Jagd- oder Sammlerglück, brauchte man weniger zu arbeiten; hatte man dieses Glück nicht, so mußte man verstärkte Anstrengungen unternehmen, um das Überleben sicherzustellen. Jeder einzelne, der arbeiten konnte, mußte auch mitarbeiten; denn seine Arbeitsleistung trug direkt zum Lebensunterhalt des Stammes bei. Diese direkte Beziehung veränderte sich im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung: Es entstand eine verstärkte Arbeitsteilung und Spezialisierung. Die Menschen wurden über immer größere Räume regional, international und global wirtschaftlich voneinander abhängig, indem sie nicht mehr alle für ihren Lebensunterhalt notwendigen Tätigkeiten selbst unternahmen, sondern Tätigkeiten für andere durchführten und im Austausch dafür Güter für ihren eigenen Lebensunterhalt erhielten. Und diese Tätigkeiten wurden immer spezialisierter; gleichzeitig hing die Durchführung solcher spezialisierter Tätigkeiten immer mehr davon ab, ob auch die entsprechenden Werkzeuge und Maschinen zur Verfügung standen. Aus einer Form des Wirtschaftens, in der jeder vergleichsweise unspezifizierte und ganzheitliche Tätigkeiten durchführte, entwickelte sich eine Form des Wirtschaftens, in der jeder spezialisierte und zerlegte Tätigkeiten in Abhängigkeit von allen anderen Wirtschaftenden zu erfüllen hatte. Daraus ergab sich ein sehr wichtiges Moment. Ob jemand arbeiten kann, hängt nun davon ab, ob er einen Arbeitsplatz bekommt, d.h. einen Platz, an dem er mit Hilfe bestimmter technischer Hilfsmittel vergleichsweise genau spezifizierte Tätigkeiten durchführen muß. Die Bereitstellung eines derartigen Arbeitsplatzes hängt aber nur sehr indirekt von den Entscheidungen des Arbeitsuchenden ab. Andere bestimmen nach gewissen Kriterien darüber, ob sie einen Arbeitsplatz anbieten oder nicht. Diese anderen sind die Arbeitsnachfrager, Arbeitsplatzanbieter oder Unternehmungen, alles Begriffe, die synonym verwendet werden. Aber warum stellen die Unternehmungen nicht genügend Arbeitsplätze bereit? Die allgemeinste, theoretisch zutreffende, zugleich aber ungemein abstrakte Erklärung für Arbeitslosigkeit lautet: Die Kosten der Einstellung sind zu hoch. Kosten sind dabei nicht lediglich zu interpretieren als die absolute Lohnhöhe, sondern (aus Unternehmersicht) zu messen an den Absatzerwartungen (wird mein Absatz bzw. der zusätzliche Erlös höher sein als die zusätzlichen Lohnkosten?); den Anlagealternativen (ist es gewinnbringender, im Ausland, in Wertpapieren etc. das Geld anzulegen?); den Beschäftigungsalternativen (ist es günstiger, Sonderschichten, Überstunden etc. zu fahren, können Lieferfristen verlängert werden?); den Rationalisierungsmöglichkeiten (soll ich statt zusätzlicher Arbeitskräfte besser arbeitssparende Maschinen einsetzen?); allgemein den Gewinnerwartungen (kann ich aus zusätzlicher Beschäftigung von Arbeitskräften höhere Gewinne erwarten als ohne?). Daraus folgt: Der Umfang der Beschäftigung hängt in erster Linie von den Motiven und Verhaltensweisen der Nachfrageseite auf dem Arbeitsmarkt, den Unternehmungen, ab. Arbeitslosigkeit ergibt sich folglich aus einer positiven Divergenz zwischen Arbeitsplatznachfrage und Arbeitsplatzangebot und nur indirekt aus einer positiven Divergenz zwischen der Nachfrage nach Arbeitsdiensten und dem Angebot von Arbeitsdiensten. Eine derartige Divergenz zwischen Arbeitsplatznachfrage und Arbeitsplatzangebot dürfte es auf einem perfekt funktionierenden Arbeitsmarkt aber nicht geben. Nur wenn der Lohn zu hoch ist, übersteigt das Arbeitsangebot die Arbeitsnachfrage. Eine Lohnsenkung müßte zur Vollbeschäftigung führen. Doch funktioniert der Arbeitsmarkt zumindest insofern nicht perfekt, als es zu keiner Markträumung kommt. Warum paßt sich der Lohn denn nicht instantan an ein Arbeitsmarktungleichgewicht an und verhindert somit die Divergenz zwischen Arbeitsplatznachfrage und Arbeitsplatzangebot? Hierauf gibt es mehrere Anworten. Die theoretisch unaufwendigste ist die Behauptung, daß die Gewerkschaften als Arbeitsangebotsmonopolist auf einem ansonsten perfekt funktionierenden Arbeitsmarkt einen zu hohen Lohn fordern; dieser Mindestlohn bewirkt dann die (Mindestlohn-) Arbeitslosigkeit. Eine zweite Antwort läuft darauf hinaus zu zeigen, daß saisonale, friktionelle, strukturelle und konjunkturelle Variationen des Wirtschaftsablaufs derart große Auswirkungen hinsichtlich der qualitativen, quantitativen, räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit von Arbeitskräften haben, daß der Lohn diese nicht hinreichend kompensieren kann. Folglich entstehen saisonale, friktionelle, strukturelle und konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Eine dritte Antwort beruht auf dem Gedanken, daß der Lohn nicht nur eine Markträumungsfunktion, sondern auch noch andere Funktionen, wie die der Distribution, Motivation oder der Information, zu erfüllen hat. Da aber zur Erreichung von zwei oder drei Zielen auch zwei oder drei Instrumente vorhanden sein müssen, kann ein einzelner Preis nicht gleichzeitig zwei oder drei Funktionen erfüllen. Der Lohn erfüllt dann lediglich einen Kompromiß aus mehreren Funktionen, mithin die Markträumungsfunktion unvollständig - (Effizienzlohn-)Arbeitslosigkeit entsteht. Eine vierte Antwort bezweifelt, daß der Arbeitsmarkt überhaupt ein Markt wie jeder andere ist. Vielmehr ist ein Teil des Arbeitsmarktes in die Unternehmungen integriert. Statt eines Arbeitsmarktes sorgt ein hierarchisches Befehls- und Normensystem für eine Koordination von Arbeitsbeziehungen, so daß der Lohn Distributions-, Informations- und Motivationsfunktionen zu erfüllen hat und die Markträumungsfunktion nicht mehr erfüllen kann - organisationsbedingte Arbeitslosigkeit entsteht. Die Folgerung, die aus allen diesen Antworten zu ziehen ist, besagt, daß der Arbeitsmarkt ein besonderer Markt ist, daß Arbeit ein besonderes Gut ist und daß der Lohn ein besonderer Preis ist. Demnach ist es naheliegend, diese Besonderheiten mit der Unternehmensorganisation und dem Unternehmungsverhalten in Beziehung zu setzen, um zeigen zu können, wie Arbeitslosigkeit entsteht. Damit gerät die Frage in den Vordergrund, was eine Unternehmung ist, wie sie sich organisiert und wie sie agiert und reagiert. Bedeutsam dabei ist, daß die Unternehmung sich über fixe Lohnstrukturen, sowohl horizontal für verschiedene Arbeitstätigkeiten als auch vertikal für verschiedene Positionen auf den jeweiligen Aufstiegsleitern, als Organisationsform in einer komplexen Umwelt stabilisiert und nur über bestimmte Zutrittsstellen mit dem externen Arbeitsmarkt verbunden ist. Das hat zwei Konsequenzen: Die Verteilung der verschiedenen Arbeitskräfte auf die Arbeitsplätze geschieht nicht allein durch Märkte, sondern vor allem durch nicht-marktliche Organisationsverfahren. Der Lohn hat nicht nur die Funktion, Märkte zu räumen, sondern er erfüllt auch Distributions-, Motivations- und Informationsfunktionen. Betrachten wir die beiden Konsequenzen etwas näher. Da nicht die Dienstleistung eines Arbeiters als Gut marktmäßig gehandelt wird, sondern der Arbeiter seine Leistung in einer hierarchischen Organisationsform abgibt, reflektiert der Lohn nicht nur die reine Dienstleistung, sondern ein Mixtum aus Dienstleistung, seelischer Stabilität, Leistungsorientiertheit, Lernbereitschaft u.a.m., das für die Unternehmung durch Leistungsanreize und Kontrolle in optimaler Weise sicherzustellen versucht wird. Nicht Lohnveränderungen regeln die Verteilung der Arbeitskräfte auf die Arbeitsplätze, sondern hierarchisch veranlaßte Zuweisungen gemäß bestimmten Regelungen und Standards bei relativ fixer Lohnstruktur. Nur eine relativ fixe Lohnstruktur kann Funktionen wie Motivation zu höherer Leistung, Minimierung von unternehmungsinternen Konflikten bei der relativen Bewertung der einzelnen Arbeitsplätze untereinander nach Arbeitsbelastung, Qualifikation usw. und Information hinsichtlich Kosten und Erträgen sowohl für Arbeitsnachfrager als auch Arbeitsanbleter erfüllen. Damit sind sowohl der Lohn als auch die gesamte Lohnstruktur nicht mehr so flexibel, jeweils kurz- und mittelfristig bestehende Arbeitsmarktungleichgewichte zu beseitigen. Saisonale, strukturelle und globale Unterbeschäftigung können durch Lohnveränderungen allein nicht vermieden werden. Allgemein erfüllt eine Unternehmung drei Funktionen: Güter für Konsumenten oder andere Unternehmungen zu produzieren; Arbeitsplätze bereitzustellen; Anlagemöglichkeiten für Geldkapital zu bieten. In unserem Wirtschaftssystem wird von den drei Unternehmungsfunktionen die letztere betont, die beiden anderen Funktionen sind mehr oder weniger Mittel zu diesem Zweck. Dies bedeutet, daß die Bereitstellung von Arbeitsplätzen in unserem Wirtschaftssystem vor allem davon abhängt, wie hoch die Gewinnerwartung einer Kapitalanlage in Arbeitsplätzen relativ zu anderen Kapitalanlagemöglichkeiten ist. Ist diese Gewinnerwartung niedrig, so werden potentielle Investoren ihr Kapital horten, es in Anleihen anlegen, ins Ausland transferieren oder teilweise konsumieren, ist diese Gewinnerwartung hoch, so werden die Alternativanlagen unattraktiv, und die Investition in Arbeitsplätze wird bevorzugt. Arbeitsnachfrage und die Bereitstellung von Arbeitsplätzen richten sich also nicht danach, ob Arbeit insgesamt oder bestimmte Arbeitsarten nach irgendwelchen Kriterien als nützlich oder notwendig erachtet werden, sondern danach, ob man mit den Arbeitsprodukten einen hinreichenden Gewinn erzielen kann; die Arbeitsnachfrage ist mithin eine aus der Güternachfrage abgeleitete Nachfrage. In einer Unternehmung findet eine (mehr oder weniger starke) hierarchische Kontrolle des Arbeitsprozesses statt, da zwischen Arbeit und Arbeitskraft, d.h. zwischen der Arbeitstätigkeit und der Arbeitskraft als Person, zu unterscheiden ist; die Möglichkeit der hierarchischen Kontrolle innerhalb der Unternehmung basiert auf dem Tatbestand, daß dem einzelnen Arbeiter (oft sehr hohe) Kosten entstehen, wenn er sich der Kontrolle entziehen, d.h. die Unternehmung verlassen, will. Umgekehrt entstehen auch dem Arbeitsnachfrager Kosten, die bei bestimmten Fachkräften auch sehr hoch sein können, wenn der Arbeiter die Unternehmung verläßt. Und diese relativen Kosten des Verlassens einer Unternehmung sind nun bei verschiedenen Personengruppen (Facharbeiter, Ungelernte usw.) höchst unterschiedlich und erklären zum großen Teil, warum bestimmte Personengruppen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als andere. Damit ist klar, daß die Existenz einer hierarchischen Unternehmungsorganisation auf der Tatsache aufbaut, daß für den einzelnen Arbeiter Kosten entstehen, wenn er den Anordnungen der Vorgesetzten nicht nachkommt. Eine derartige Organisation ist demnach erst dann in einer komplexen Umwelt, d.h. bei einer ungewissen Entwicklung auf den Güter-, Rohstoff- und Arbeitsmärkten sowie im Bereich der Produktionstechnologie, lebensfähig, wenn für die Unternehmensleitung relativ sicher ist, daß die Beschäftigung nicht bei jeder kleineren Umorganisation sofort auf null sinkt. Akzeptiert man diese Überlegung, dann sind zwei Fragen zu beantworten: Wie gelingt es der Unternehmung, ihre interne Struktur zu stabilisieren? Wie gelingt es der Unternehmung, sich an veränderte Umweltbedingungen (Konjunktureinbruch, technische Fortentwicklungen usw.) anzupassen? Um beide Ziele erreichen zu können, folgt, daß Arbeitsteilung und Arbeitszerlegung zu einem großen Teil innerhalb von Unternehmungen hierarchisch organisiert und einer marktlichen Koordination entzogen werden; die Unternehmung stabilisiert sich in einer marktwirtschaftlichen Umwelt, die durch Unsicherheit und mangelnde Information gekennzeichnet ist, indem sie sich Markteinflüssen teilweise entzieht. Die Unternehmung ist also aus der Sicht des Unternehmers ein Mittel, Kosten der Kontrolle und Information in einer unsicheren Welt zu verringern. Nun üben Veränderungen in dieser marktwirtschaftlichen Umwelt natürlich einen großen Einfluß auf das Verhalten einer Unternehmung aus, die Unternehmung muß auf Lohn- und Preisveränderungen, veränderte Absatzmöglichkeiten, neue technologische Entwicklungen u.a.m. reagieren. Die Analyse dieses Verhaltens ist ein weites Feld. Für unser Thema wichtig ist eine Verhaltensweise der Unternehmung: Die Unternehmung paßt sich an veränderte Umweltsituationen durch Variierung der Anzahl der Beschäftigten an, d.h. die Unternehmung entläßt Arbeiter oder stellt neue Arbeiter ein (darüber hinaus kann die Unternehmung Rationalisierung betreiben, die Produktqualität verändern, die Arbeitszeit variieren etc.). Damit haben wir einen wesentlichen Gesichtspunkt herausgearbeitet: Die Unternehmung muß bei Einstellungen und Entlassungen beachten, daß sie zum einen eine bestimmte Beschäftigungsstruktur (Aufstiegsleitern, Über- und Unter-Ordnung, Sicherheit langfristiger Arbeitsplätze usw.) bewahrt und zum anderen eine gewisse Flexibilität bezüglich des Beschäftigungsumfangs sicherstellt. Da letztlich nicht Dienstleistungen am Arbeitsmarkt gehandelt werden, sondern Rechte, über Arbeitskraft zu verfügen, disponiert der Beschäftigte in jedem Moment über seine Arbeitskraft selbst. Durch Einarbeitung, Anordnungen und Kontrolle der Beschäftigten durch die Vorgesetzten muß daher innerhalb einer Unternehmung erst sichergestellt werden, daß bestimmte Leistungen in bestimmtem Maße von den Arbeitern erbracht werden. Das hat zur Folge, daß das Kriterium der Arbeitsnachfrage nicht ausschließlich die mitgebrachte oder im Betrieb erworbene Qualifikation des Bewerbers ist, d.h. der Nachweis bestimmter Fähigkeiten, sondern daß vielmehr auch weitere Kriterien eine große Rolle spielen: Belastbarkeit, Arbeitswilligkeit, Gehorsam, Pünktlichkeit, seelische Stabilität, Leistungsorientiertheit u.a.m. Eine von der Unternehmung gewünschte Verknüpfung dieser Kriterien wird mit der Lohnforderung des Bewerbers verglichen, um Auskunft darüber zu erhalten, ob eine Einstellung für die Unternehmung lohnend ist. Diese ist dann lohnend, wenn der erwartete Ertrag aus der Nutzung der Arbeitskraft die Kosten der Beschäftigung übersteigt. Nun hängt der erwartete Ertrag aus der Nutzung der Arbeitskraft für die Unternehmung u.a. von den Absatzerwartungen, der Preisentwicklung für ihre Produkte, allgemeinen Erwartungen bezüglich der strukturellen und konjunkturellen Entwicklung der Volkswirtschaft und dem voraussichtlichen technischen Fortschritt sowie der Arbeitsproduktivität ab. Auf der anderen Seite werden die Kosten der Beschäftigung bestimmt vom Lohn und von den Lohnnebenkosten (insbesondere Sozialversicherungsbeiträge) sowie den Kosten, die dadurch entstehen, die gewünschten Arbeitskräfte überhaupt zu finden, sie für ihre vorgesehenen Tätigkeiten einzuarbeiten und die geforderte Leistung durch Kontroll- und Anreizsysteme (beispielsweise Aufstiegsmöglichkeiten, betriebliche Sozialleistungen) zu gewinnen. Durch diese Argumentation wird deutlich, inwiefern Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit miteinander zusammenhängen. Die Autoren dieses Bandes zeigen in ihren Beiträgen, wie diese Zusammenhänge theoretisch und empirisch fundiert begründet werden können. In der Beitrag von Brandes und Weise über "Unternehmung und Arbeitsbeziehungen" wird gezeigt, welche Beziehungen zwischen Unternehmungsorganisation und Arbeitsnachfrage bestehen. Die Art und Weise der Koordination von Arbeitsbeziehungen innerhalb einer Unternehmung liefert eine Erklärungsursache für das Entstehen von Arbeitslosigkeit. Die "Umstrukturierung der Arbeitsbeziehungen durch neue Managementkonzepte" behandelt Hellstern in seinem Aufsatz. Gerade diese neuen Organisationsverfahren haben einen erheblichen Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen und mithin auch auf das Entstehen von Arbeitslosigkeit. In dem Beitrag "Mikroökonomische Theorien der Arbeitslosigkeit" gibt Sesselmeier einen Überblick über effizienzlohntheoretische, transaktionskostentheoretische und segmentationstheoretische Ansätze zur Erklärung von Arbeitslosigkeit. Anschließend vergleichen Eger und Nutzinger in ihrem Aufsatz "Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch. Institutionelle Arbeitsmarktvarianten und Arbeitslosigkeit" das amerikanische und das deutsche Modell der Unternehmens- und Arbeitsmarktorganisation und kommen zu dem Schluß, daß das deutsche Modell vor allem auf dem Widerspruchsmechanismus, das amerikanische vor allem auf dem Abwanderungsmechanismus beruht. Nach diesen vier Aufsätzen ist die institutionen-theoretische Basis für die Analyse spezifischer Arbeitsmarkt- und Arbeitslosigkeitsprobleme gelegt. Auf dieser Basis argumentieren Gerlach und Jirjahn in ihrem Aufsatz mit dem Titel "Längerfristige Beschäftigung, personalpolitische Konzepte und Beschäftigungsentwicklung" und zeigen theoretisch und empirisch, welcher Zusammenhang zwischen innerbetrieblichen Strukturen und Prozessen und der Beschäftigungsdynamik besteht. Die strukturellen Komponenten der Arbeitslosigkeit diskutiert Wagner in seinem gleichnamigen Beitrag und begründet, inwiefern selbst ein flexibler Lohn in einer dynamischen Entwicklung keinen Marktausgleich herbeiführen kann. In seinem Aufsatz "Personenspezifische Arbeitslosigkeit" erörtert Bellmann verschiedene Ursachen der strukturalisierten Arbeitslosigkeit und geht insbesondere auf den Zusammenhang von Dauer der Arbeitslosigkeit und Höhe der Arbeitslosen- und Sozialhilfe ein. Allgemein theoretisch und mit Hilfe von Simulationsrechnungen erörtern Walwei und Zika in ihrem Beitrag "Soziale Sicherung und Beschäftigungsprobleme" die vielfältigen Interdependenzen zwischen dem System der sozialen Sicherung und der Arbeitslosigkeit und zeigen insbesondere, welche Beschäftigungswirkungen bei einer Senkung der Lohnnebenkosten zu erwarten sind. Aus juristischer Sicht stellt Dorndorf in seinem Beitrag über "Beschäftigungseffekte des Arbeitsrechts und ihre juristische Rechtfertigung" die Auswirkungen des Kündigungsschutzrechts auf die Beschäftigung dar. Schließlich zeigt Gilroj in seinem Aufsatz mit dem Titel "Beschäftigungswirkungen multinationaler Unternehmungen", daß die oftmals den öffentlichen Diskurs bestimmenden Lob- oder Schimpfreden auf multinationale Unternehmungen zumindest im Hinblick auf ihre Beschäftigungswirkungen zu oberflächlich sind und einer genauen Analyse nicht standhalten. Eine Folgerung aus diesem Band lautet, daß die Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit dem folgenden Bewertungskriterium genügen müssen: In welchem Ausmaß werden aus der Sicht der Investoren durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen die Kapitalanlagemöglichkeiten in Arbeitsplätze relativ zu alternativen Anlagen attraktiver? Die traditionellen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beeinflussen die Gewinnerwartungen der Unternehmer und Investoren aber nur auf indirektem Weg. So senkt eine Lohnsenkung zwar die Kosten der Beschäftigung, senkt aber gleichzeitig auch die Güternachfrage mit der Folge, daß die Gewinnerwartungen unter Umständen nicht besser werden. Ausbildungsverbesserungen, Qualifikationsveränderungen der Arbeitskräfte durch Umschulen oder Lohnkostenzuschüsse regen von der Kostenseite her eine höhere Beschäftigung an; doch kommt dies nicht zum Tragen, wenn nicht gleichzeitig die Absatz- und Gewinnerwartungen der Unternehmer besser werden - und das muß bei diesen Maßnahmen nicht unbedingt der Fall sein. Eine Kürzung der Arbeitszeit als arbeitsmarktpolitische Maßnahme erhöht zwar den Bedarf an Arbeitskräften, verteuert aber gleichzeitig deren Einstellung; diese Maßnahme verteilt teilweise die Arbeitslosigkeit auf eine größere Anzahl von Arbeitskräften und wird die Gewinnerwartungen tendenziell senken. Auch eine Senkung der Arbeitslosenunterstützung sowie ein Abbau der Gastarbeiterbeschäftigung berühren nicht direkt die Absatz- und Gewinnerwartungen der Unternehmer - ganz abgesehen davon, was man ansonsten von diesen Maßnahmen hält. Eine allgemeine Nachfragestimulierung hingegen kann die Absatz- und Gewinnerwartungen positiv beeinflussen, sofern erwartet wird, daß die Erhöhung der Nachfrage von Dauer ist: Der Preis für diese Politik ist allerdings unter Umständen in Form einer höheren Inflation und Staatsverschuldung zu zahlen. Tritt der Staat als Ersatzbeschäftiger auf, so entzieht er die Arbeitsnachfrage dem Gewinnkalkül (Verteidigung, soziale Dienste usw.), das Problem hierbei ist, daß diese Nachfrage dauerhaft finanziert werden muß. Wir erkennen, daß alle diese Maßnahmen nur dann wirken, wenn sie die Gewinn- und Absatzerwartungen der Unternehmer positiv beeinflussen und mithin eine Kapitalanlage in Arbeitsplätzen attraktiv machen oder indem sie die Bereitstellung von Arbeitsplätzen vom Gewinnkalkül unabhängig machen. Die Gewinn- und Absatzerwartungen der Unternehmer und Investoren werden aber aufgrund von langfristigen Überlegungen bestimmt, die sich nur teilweise auf solche Elemente beziehen, die von der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik als Maßnahmen genutzt werden können. Die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik kuriert mehr an Symptomen, als daß sie die erwartungsrelevanten Größen direkt beeinflussen kann. Darüber hinaus besteht eine fundamentale Asymmetrie: Positive Gewinn- und Absatzerwartungen kann man relativ leicht negativ beeinflussen; negative Gewinn- und Absatzerwartungen hingegen kann man nur schwer positiv beeinflussen. Daraus resultiert das Dilemma der Arbeitslosigkeitsbekämpfung: Sie muß negative Gewinn- und Absatzerwartungen der Unternehmer und Investoren mit Maßnahmen positiv zu beeinflussen versuchen, die nur teilweise erwartungsrelevante Größen betreffen. Dies ist kein Offenbarungseid; dies ist aber der Hinweis auf die prinzipielle Schwierigkeit einer Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in einem Wirtschaftssystem, das die Bereitstellung von Arbeitsplätzen davon abhängig macht, ob man mit diesen Arbeitsplätzen einen hinreichenden Gewinn erzielen kann oder nicht, für das also die Unternehmungsfunktion der Bereitstellung von Arbeitsplätzen zu angemessenen Arbeitsbedingungen letztlich als Mittel zur Gewinnerzielung dient. Da also die Löhne immer weniger die Koordinationsfunktion erfüllen und statt dessen Informations, Anreiz- und Einkommensaufgaben lösen, die Arbeitsmärkte teilweise in ihrer Funktion durch hierarchische Kontrollverfahren ersetzt sind, viele Arbeitsplätze zutrittsbeschränkt sind, d.h. die Arbeitsplatzbesetzungsverfahren werden seitens der Unternehmer und unternehmensintemen Arbeiterschaft sozusagen privatisiert und damit dem anonymen, öffentlichen Markt entzogen werden, verbleiben als effiziente wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor allem solche, die eine Entkoppelung der Allokations- und der Distributionsfunktion des Lohnes bewirken. Doch eine abgewogene Diskussion derartiger Maßnahmen füllt einen weiteren Band. ("Die Erforschung der Wahrheit ist doch ein endloses Geschäft", wie Laurence Sterne im Tristam Shandy schreibt.) Zeigen wir daher zunächst, wie Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit zusammenhängen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind eine notwendige Voraussetzung für eine adäquate Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Aktualisiert: 2021-10-22
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Ökonomie und Gesellschaft / Alles käuflich

Ökonomie und Gesellschaft / Alles käuflich von de Gijsel,  Peter, Gerlach,  Knut, Glombowski,  Jörg, Haslinger,  Franz, Kalmbach,  Peter, Nutzinger,  Hans G, Riese,  Hajo, Rothschild,  Kurt W, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wagener,  Hans-Jürgen, Weise,  Peter, Wittmann,  Ulrich
Das Jahrbuch 18 Ökonomie und Gesellschaft: "Alles käuflich" beschäftigt sich mit der zunehmenden Vermarktlichung aller Lebensbereiche. Gesellschaftliche, politische, religiöse, familiäre, kulturelle, soziale, ethische und andere Bereiche werden zunehmend unter dem ökonomischen Aspekt analysiert und mit Hilfe des Preis- und Marktmechanismus organisiert. Dies wirft viele normative und theoretisch-analytische Fragen auf. Inwieweit kann die Wissenschaft vermarktlicht werden? Welcher nicht-marktliche Rest verbleibt in der Familie? Wie verändert sich die subjektive Wahrnehmung, wenn alles vermarktlicht wird? Inwieweit überleben Moral und Pflichtgefühl in einer Marktwelt? Gelingt eine Erhöhung der Arbeitsmotivation nur durch Leistungsentlohnung? Welche Bedeutung hat die Schattenwirtschaft? Warum werden Bestechung und Korruption nicht legalisiert? Gibt es überhaupt Grenzen der Vermarktlichung? Gibt es Gegenentwicklungen?
Aktualisiert: 2021-10-21
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Ökonomie und Gesellschaft / Komplexität und Lernen

Ökonomie und Gesellschaft / Komplexität und Lernen von Gerlach,  Knut, Gijsel,  Peter de, Glombowski,  Jörg, Haslinger,  Franz, Kalmbach,  Peter, Nutzinger,  Hans G, Riese,  Hajo, Rothschild,  Kurt W, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wagener,  Hans-Jürgen, Weise,  Peter, Wittmann,  Ulrich
Die Annahme der rationalen Wahl in den Wirtschaftswissenschaften war noch nie eine gute Wahl. In der Realität wird sie ununterbrochen widerlegt. Aber in Ermangelung von etwas Besserem ist sie beibehalten worden und hat sogar in die Soziologie Eingang gefunden. In dem vorliegenden Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft, Band 17, »Komplexität und Lernen«, wird eine Alternative vorgeschlagen. Die rationale Wahl wird durch Lernen in einer komplexen Welt ersetzt. Es werden die relevanten qualitativen, psychologischen und mathematischen Lernmodelle vorgestellt und kritisch bewertet. Es wird gezeigt, dass diese Modelle in der Lage sind, reales Verhalten zu erklären und effizientes Lernen zu erzeugen. Im Einzelnen werden dargestellt Multi-Agenten-Systeme, Genetische Algorithmen, Künstliche-Intelligenz-Techniken, Maschinelles Lernen, psychologische Lerntheorien, Evolutionäre Spieltheorie, Soziodynamische Lernmodelle, Organisationelles Lernen u.a.m. Insgesamt wird im vorliegenden Band ein exakter und doch leicht fassbarer Überblick über den heutigen Stand der Diskussion über Lernen und Komplexität gegeben. Inhalt Die Herausgeber Editorial Franz Haslinger und Christiane Clemens, Hannover Komplexität und Lernen: Relevanz für die ökonomische Forschung und qualitative Aspekte Thomas Brenner, Jena Komplexität und Lernen: Überblick über die mathematischen Methoden und Modelle Maik Heinemann, Hannover Zur Effizienz von Lernprozessen - Eine ökonomische Analyse von Informationsexternalitäten Edmund Chattoe, Oxford The Prospects for Artificial Intelligence Techniques in Understanding Economic Behaviour: An Overview Frank Beckenbach, Kassel Lernen in Multi-Agenten-Systemen Sylvie Geisendorf, Kassel Genetische Algorithmen als Lernmodell? Thomas Riechmann, Hannover Genetische Algorithmen und evolutionäre Spieltheorie Eyke Hüllermeier, Paderborn Maschinelles Lernen und Komplexität Wolfgang Weidlich, Stuttgart Lernprozesse in der Soziodynamik Andreas Beschorner, Kassel Institutionen - lebendiges Wissen und »Intelligenz« einer Organisation Gisela Kubon-Gilke, Darmstadt Verständnis und Einsicht: Kategorien psychologischer Lerntheorien und ihre Relevanz für ökonomische Fragen
Aktualisiert: 2021-10-21
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Ökonomie und Gesellschaft / Markt, Norm und Moral

Ökonomie und Gesellschaft / Markt, Norm und Moral von Gerlach,  Knut, Gijsel,  Peter de, Glombowski,  Jörg, Haslinger,  Franz, Kalmbach,  Peter, Nutzinger,  Hans G, Riese,  Hajo, Rothschild,  Kurt W, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wagener,  Hans-Jürgen, Weise,  Peter, Wittmann,  Ulrich
Inhalt Michael Baurmann, Hartmut Kliemt: Zur Ökonomie der Tugend Thomas Eger: Wieviel Normierung braucht der Markt? Ökonomische Aspekte der Vertragsfreiheit Bernhard Nagel: Autonomie, Abhängigkeit und Wettbewerb: Rechtliche und ökonomische Analyse Eberhard Dorndorf: Modelle des Rechtssystems in der ökonomischen Analyse des Rechts Bernd Woeckener: Märkte und Normenfindung Thomas Eger und Peter Weise: Die Evolution von Normen aus Unordnung: Ein synergetisches Modell Gisela Kubon-Gilke: Nützlichkeit und Moral Peter Weise: Moral zwischen Markt und Norm: Die Moraltheorie Arthur Schopenhauers aus ökonomischer Sicht Ulrich Hampicke: Moral, Zivilisation, Gerechtigkeit und die ökologische Bedrohung Editorial In neuerer Zeit hat unter Ökonomen und Sozialwissenschaftlern eine Diskussion über die Bedeutung der Moral für die Koordination von gesellschaftlichen Handlungen begonnen. Moral wird dabei als Verhaltensweise begriffen, die in bestimmten Dilemmasituationen einen pareto-superioren Zustand erreichen läßt, d.h. die kollektive Rationalität gegenüber der individuellen favorisiert und Transaktionskosten in einer Wirtschaftsgesellschaft senkt. Die Literatur hierzu ist stark normativ ausgerichtet und betrachtet Institutionen vor allem unter dem Blickwinkel der rationalen Wahl. Die Beziehungen zwischen den Koordinationsmechanismen Moral, Markt und Norm sind hingegen bisher noch nicht befriedigend geklärt worden. Die Autoren dieses Bandes haben sich genau dieses Ziel gesetzt. Bevor die einzelnen Autoren zu Wort kommen und spezifische Definitionen und Begriffe verwenden, seien zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zu den Koordinationsmechanismen Moral, Markt und Norm gemacht. Im groben kann man die unterschiedlichen Definitionen von Normen folgendermaßen klassifizieren: a) Norm als gemeinsames Bezugssystem; b) Norm als verbindliche Vorschrift; c) Norm als gemeinsame Erwartung; d) Norm als Rollenerwartung; e) Norm als Bewertungsstandard; f) Norm als durchschnittliches Verhalten; g) Norm als sanktionierte Verhaltensregelmäßigkeit. Die in diesem Band versammelten Autoren verstehen unter einer Norm vor allem entweder eine verbindliche Sollensvorschrift, der Folge zu leisten die Pflicht eines jeden Menschen ist (Definition b), oder ein Verhalten einer Regel gemäß, deren Nichteinhaltung eine Sanktion nach sich zieht (Definition g). Aber auch die anderen Definitionen werden vereinzelt in bestimmten Zusammenhängen verwendet. Die übliche exakte Definition des Marktes lautet: Der Markt ist der ökonomische Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage und der Preisbildung. Gemäß dieser Definition faßt man alle Käufe und Verkäufe für ein bestimmtes Gut und den sich dabei einstellenden Preis zusammen und ordnet ihnen gedanklich einen Ort, den ökonomischen Ort, zu, an dem die Käufe und Verkäufe stattfinden. Diese Definition abstrahiert vollständig von allen konkreten institutionellen Vorrichtungen, die Käufer und Verkäufer tatsächlich zusammenführen. Sie sagt nichts darüber aus, wie Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Denkt man aber an Bezeichnungen wie Wochenmarkt, Supermarkt oder Aktienmarkt, so erkennt man, daß ein Markt eine Institution ist. Unter dem Blickwinkel der Koordination ist ein Markt also eine Institution, die durch Bekanntgabe einer Zeit, eines Ortes, eines Preises und der Art und Qualität eines Gutes Käufer und Verkäufer zusammenführt, die Geld gegen Gut tauschen. Genaugenommen werden allerdings keine Güter gehandelt, sondern Verfügungsrechte über Güter. Die physische Übergabe von Gütern oder Geld ist keine Markttransaktion. Der Markt ist also ein Koordinationsmechanismus, bei dem Verfügungsrechte (d.h. Normen!) getauscht werden: die Verfügungsrechte, ein Gut auf eine bestimmte Art zu nutzen, gegen das Verfügungsrecht, mit Geld andere Güter zu kaufen. Dieser Begriff des Marktes liegt auch den Ausführungen der Autoren dieses Bandes zugrunde. Im wesentlichen lassen sich zwei Arten der Begründung von Moral unterscheiden. Der eine Begründungsversuch wurzelt in der Suche nach allgemeinen Moralprinzipien, die als unbedingt verbindlich anzusehen sind; eine Handlung wird demgemäß als an sich moralisch oder unmoralisch bezeichnet. Diese Moralprinzipien folgen aus Letztbegründungen wie Gott, ewiges Naturgesetz, Weltvernunft, Menschenvernunft, Menschenwillen u.a.m. Diese deontologische Auffassung bezieht die Begründung von Moral also auf den Begriff des Sollens. Der andere Begründungsversuch leitet die Gültigkeit von Moralprinzipien aus der Bewertung der Handlungskonsequenzen für den einzelnen oder die Gesellschaft ab; eine Handlung ist dann historisch oder situationsgemäß bedingt moralisch oder unmoralisch. Dieser Begründungsversuch analysiert den Zusammenhang von Handlungsumgebung und den durch das gesellschaftliche Miteinander entstehenden Normen, gemäß denen die Menschen sich tatsächlich verhalten und über deren moralischen Charakter sie reflektieren. Diese teleologische Auffassung bezieht die Begründung von Moral also auf den Begriff der Wirkung. Eine nützliche Definition von Moral ist die folgende: Moral ist ein Handeln in einer zwiespältigen Anreizstruktur, das auch den Interessen der anderen, und nicht nur den eigenen, dient und das auch den zukünftigen Nutzen gegenüber dem gegenwärtigen anstrebt. Moral ist immer dann von Bedeutung, wenn ein Konflikt zwischen den Konsequenzen von Handlungen für einen selbst und für andere bzw. für den gegenwärtigen und den zukünftigen Nutzen besteht. Um diese zwiespältige Anreizstruktur auflösen zu können, muß die kollektive gegenüber einer individuellen Rationalität und die langfristige gegenüber einer kurzfristigen Sichtweise verstärkt werden. Allerdings wird eine moralische Handlung nur dann begangen, wenn sie sich zwar nicht direkt, aber auf die Dauer und im Durchschnitt lohnt. Eine moralische Handlung kann sich lohnen, wenn Unmoral sich selbst schädigt, eine moralische Drohung erfolgreich ist, eine moralische Rache möglich ist, Moral als Vertrauen aufgebaut werden kann, Moral als Konvention sich selbst stabilisiert, sich mehr als eine kritische Proportion von Menschen moralisch verhält, ein moralischer Charakter Transaktionskostenvorteile hat oder Moral sich als gutes Gefühl selbst belohnt. Alle diese verschiedenen Gesichtspunkte einer moralischen Handlung werden von den Autoren dieses Bandes analysiert. Es gibt also drei grundlegende Koordinationsmechanismen, die Handlungen koordinieren und Willkür ausschließen. Der eine Mechanismus ist der Markt oder der Tausch, und sein Grundprinzip lautet: Alle Handlungen sind erlaubt, aber alle von ihnen Betroffenen sind wertmäßig zu entschädigen. Der zweite Mechanismus ist die Norm, und ihr Grundprinzip lautet: Alle Handlungen, die jeder in bestimmten Situationen durchzuführen hat, sind vorgeschrieben. Der dritte Mechanismus ist die Moral, und ihr Grundprinzip lautet: Verletze nicht den anderen, und hilf ihm so viel, wie du kannst. Alle drei Mechanismen erzeugen Kosten für menschliche Handlungen, wobei diese Kosten allerdings unterschiedliche Bedeutungen haben. Der am Markt zu zahlende Preis hat einen Entschädigungseffekt: Durch die Zahlung des Preises entschädigt der Käufer den Verkäufer für dessen entstandene Kosten. Die mit der Norm verbundene Sanktion hat hingegen einen Abschreckungseffekt: Sanktionen belegen verbotene Handlungen mit Kosten und sollen das Begehen dieser Handlungen verhindern. Sowohl der Preis als auch die Sanktion verteuern die ihnen zugeordnete Handlung, sind also Kosten, erfüllen aber unterschiedliche Funktionen - und werden von den Menschen daher in moralischer Hinsicht im Regelfall unterschiedlich wahrgenommen. Die Moral schließlich erzeugt psychische Kosten wie Gewissensbisse oder ein besseres Gefühl bei tugendhaften gegenüber nichttugendhaften Handlungen. Eine Norm hat vor allem die folgenden drei Auswirkungen: a) Durch die Androhung einer Sanktion bei Übertretung einer Norm verteuert die Norm eine Handlung relativ zu einer anderen und erzeugt dadurch eine Handlungsbeschränkung. Diese wird von den Menschen als Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten empfunden. b) Als Handlungsbeschränkung schützt die Norm einen Menschen vor den Willkürhandlungen der anderen und sichert ihm vor allem eine bestimmte Ausgangsausstattung und bestimmte Handlungsmöglichkeiten sowie seine Autonomie als Person. c) Eine Norm sorgt für Ordnungssicherheit, indem sie zum einen Handlungen, die in einer bestimmten Situation zu begehen sind, vorschreibt (Orientierungssicherheit) und zum anderen die Kosten der Übertretung der geforderten Handlung offenbart (Realisierungssicherheit). Dadurch macht die Norm das Verhalten der Menschen wechselseitig erwartbar und senkt folglich Koordinations- und Transaktionskosten. Während der Markt die Anreize dazu schafft, Normen in Form von Verfügungsrechten zu tauschen, d.h. Handlungen zu substituieren, unterbindet die Norm bei Sanktionsandrohung die Substitution von Handlungen. Das Ziel der Norm ist der absolute Schutz eines Gutes, das nicht gegen andere Güter substituiert werden kann. Dieser Schutz soll auch gegen widerstreitende Interessen durchgesetzt werden. So zählen bei der Normkoordination im Unterschied zum Markt Gesinnung, Schuldbewußtsein und Einsichtsfähigkeit; darüber hinaus verschärfen sich im Regelfall die Sanktionen bei Wiederholung der Norrnübertretung, während der Markt Mengenrabatte zugesteht. Moral bezeichnet dann Handlungen zwischen Markt und Nonn. Denn: 1) Handelt jemand derart, daß er von einem anderen uno actu wertäquivalent entschädigt wird, d.h. steht er in einer Markt-Beziehung zu diesem anderen, so hat seine Handlung keinen moralischen Wert, da sie sich direkt lohnt. 2) Handelt jemand derart, daß eine Handlung, die einen anderen schädigen könnte, nur deshalb unterbleibt, weil sie mit entsprechenden Sanktionen bewehrt ist, d.h. steht er in einer Norm-Beziehung zu diesem anderen, so hat seine Handlung ebenfalls keinen moralischen Wert, da sie sich ebenfalls direkt lohnt. 3) Handelt aber jemand derart, daß er das Wohl des anderen vermehrt, ohne sicher zu sein, in naher oder ferner Zukunft von diesem oder einem anderen äquivalent entschädigt zu werden, oder handelt er gemäß einer Norm, obwohl die angedrohte Sanktion relativ gering ist, so hat seine Handlung graduell einen moralischen Wert, da sie sich nicht direkt lohnt. Es folgt, daß die Koordinationsmechanismen Markt, Norm und Moral Institutionen sind, die in einem interdependenten Wechselspiel zueinander stehen. Einzelanalysen von Markt, Norm und Moral verfehlen demgemäß Wesentliches. Die Autoren des vorliegenden Bandes haben es sich daher zur Aufgabe gestellt, dieses Wechselspiel zu analysieren. Resultat ist ein Werk, das jedem Ökonomen oder Sozialwissenschaftler gefallen könnte. Die Beziehungen von Moral, Markt und Norm erörtern Michael Baurmann und Hartmut Kliemt in einem gemeinsamen Beitrag über die Ökonomie der Tugend. Sie zeigen mit Hilfe einer spieltheoretischen Argumentation, wann moralisches Handeln entstehen und in einer egoistischen Umwelt überleben kann, und gehen der Frage nach, ob Moral durch den "Kommerz" verdrängt wird. In seinem Beitrag Wieviel Normierung braucht der Markt? zeigt Thomas Eger, daß technische Normen und Verhaltensnormen in einer Marktwirtschaft einerseits die Vertragsfreiheit einschränken, andererseits aber auch die Chance eröffnen, wechselseitig vorteilhafte Kooperationsmöglichkeiten zu nutzen. Normen und Markt stehen folglich sowohl in einer substitutiven als auch in einer komplementären Beziehung zueinander. Unter juristischem Blickwinkel analysiert Bernhard Nagel Autonomie, Abhängigkeit und Wettbewerb und vergleicht die juristischen Begriffe und Leitbilder mit der entsprechenden ökonomischen Sichtweise. Es zeigt sich, daß die normative Setzung absoluter Leitbilder der Wirklichkeit nicht gerecht wird, daß vielmehr die Grenzen zwischen Autonomie und Abhängigkeit fließend sind. In seinem Aufsatz über Modelle des Rechtssystems setzt sich Eberhard Dorndorf mit der ökonomischen Analyse des Rechts auseinander. Sein Fazit lautet: Eine ausschließlich allokationsorientierte ökonomische Betrachtung ist lediglich partial korrekt und vernachlässigt den juristischen Distributions- und materiellen Gerechtigkeitsaspekt. Bernd Woeckener beschäftigt sich in seinem Aufsatz über Märkte und Normenfindung mit neueren Entwicklungen der Markt- und Wettbewerbstheorie. Er zeigt vor allem mit Hilfe eines synergetischen Modells, wie der Markt technische und Verhaltens-Normen herausbilden kann. Der Markt ist also nicht nur ein Mechanismus, der den Tausch von Gütern koordiniert, sondern einer, der auch Normen finden kann. Thomas Eger und Peter Weise zeigen in ihrem Beitrag über die Evolution von Normen aus Unordnung, wie aus einer ungeordneten Interdependenz in einer Gruppe von Individuen Verhaltensregelmäßigkeiten, d. h. Normen entstehen. Die Ursache hierfür liegt allein in dem Konformitätsdruck, den die Individuen untereinander wechselseitig ausüben. Den Gegensatz von Nützlichkeit und Moral thematisiert Gisela Kubon-Gilke. Sie stellt dem ökonomischen Begriff der Moral als Mittel für eine Lösung sozialer Dilemmata das gestaltpsychologische Konzept der Gefordertheit entgegen und zeigt, warum moralische Urteile auch den Charakter des Sollens besitzen. Unter Zuhilfenahme der Begrifflichkeit von Schopenhauers Moraltheorie zeigt Peter Weise in seinem Beitrag über Moral zwischen Markt und Norm, daß Moral Handlungen zwischen Markt und Norm bezeichnet, d.h. Handlungen, die nicht vollständig dem Entschädigungs- oder dem Abschreckungskriterium unterworfen sind. Ulrich Hampicke erörtert in seinem Aufsatz Moral, Zivilisation und Gerechtigkeit vor dem Hintergrund der ökologischen Bedrohung. Er weist nach, daß ökonomische Markt- und Normen-Instrumente alleine nicht hinreichen, eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen, sondern daß sie vielmehr durch moralische Maximen im Sinne von Kant ergänzt und unterstützt werden müssen. Die Reihenfolge der Aufsätze ist von den Herausgebern so bestimmt worden, daß eine systematische Einführung in das Problemfeld von Markt, Norm und Moral gegeben ist. Aber auch eine von dem Leser gewählte andere Reihenfolge ist dem großen Lesevergnügen nicht abträglich.
Aktualisiert: 2018-11-08
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Ökonomie und Gesellschaft / Nachhaltigkeit in der ökonomischen Theorie

Ökonomie und Gesellschaft / Nachhaltigkeit in der ökonomischen Theorie von Gerlach,  Knut, Gijsel,  Peter de, Glombowski,  Jörg, Haslinger,  Franz, Kalmbach,  Peter, Nutzinger,  Hans G, Riese,  Hajo, Rothschild,  Kurt W, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wagener,  Hans-Jürgen, Weise,  Peter, Wittmann,  Ulrich
Inhalt Günter Vornholz: Die neue Sicht der Nachhaltigkeit und die neoklassische Ressourcen- und Umweltökonomie Hans G. Nutzinger: Nachhaltigkeit und Standardökonomik: komplementär oder substitutiv? Sylvie Geisendorf: Die Umweltökonomische Gesamtrechnung als Grundlage einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik Rudi Kurz: Unternehmen und nachhaltige Entwicklung Jürgen Freimann: Umweltmanagement zwischen staatlicher Regulierung und Eigeninitiative Achim Lerch: Verfügungsrechte und Umwelt. Zur Verbindung von Ökologischer Ökonomie und ökonomischer Theorie der Verfügungsrechte Silke Gronemann und Ulrich Hampicke: Die Monetarisierung der Natur - Möglichkeiten, Grenzen und Methoden Jürgen Meyerhoff: Ökonomische Bewertung biologischer Vielfalt - aufgezeigt an der Kosten-Nutzen-Analyse der Bundesverkehrswegeplanung Michael Finus: Eine spieltheoretische Betrachtung internationaler Umweltprobleme. Eine Einführung Peter Michaelis: Effiziente schadstoffübergreifende Klimapolitik: Eine empirische Modellsimulation Editorial Die Beiträge des vorliegenden Jahrbuchs "Ökonomie und Gesellschaft" befassen sich in unterschiedlicher Weise und auf unterschiedlichen Ebenen mit einem Problemkreis, der in der allgemeinen Diskussion als "Umweltproblematik" oder "Ökologieproblematik" bezeichnet wird. Dabei werden diese Begriffe zum einen manchmal nahezu gleichbedeutend verwendet, mitunter wird damit aber auch eine begriffliche Unterscheidung angedeutet, der zufolge mit "Umwelt" die Vorstellung verbunden ist, daß das überkommene volks- und betriebswirtschaftliche Instrumentarium mehr oder weniger unverändert auf ein neues Gebiet - eben die Umwelt - angewendet und dementsprechend weiterentwickelt wird, während dem Begriff "Ökologie" bisweilen die Idee zugrunde liegt, es müßten grundsätzlich neue Analyseverfahren, Methoden und Instrumente jenseits traditioneller Ökonomik entwickelt und implementiert werden, um der fundamentalen Bedeutung der Natur als unverzichtbare Lebensgrundlage für heutige und künftige Generationen gerecht zu werden. Wie die meisten Beiträge des vorliegenden Bandes allerdings zeigen, hat sich in den letzten zehn Jahren jenseits ideologischer Grundsatzdispute eine gewisse Annäherung der Sichtweisen ergeben. Neoklassisch orientierte Umwelt- und Ressourcenökonomen akzeptieren zunehmend, daß das gewohnte ökonomische Instrumentarium der Modifikation und Weiterentwicklung bedarf, um den Spezifika der ökologischen Problematik mindestes ansatzweise gerecht zu werden, während umgekehrt ökologische Ökonomen in steigendem Maße Verfahren und Ergebnisse der "Mainstream Economics" übernommen und auf die spezifische ökologische Problematik hin weiterentwickelt haben. Der einleitende Beitrag von Günter Vornholz (Hannover) über "Die neue Sicht der Nachhaltigkeit und die neoklassische Ressourcen- und Umweltökonomie" betont zunächst einmal die Differenz zwischen traditioneller Umweltökonomik und der "neuen Sicht der Nachhaltigkeit", die vor allem die seit Ende der 80er Jahre entstandene "Ökologische Ökonomie" (Ecological Economics) in die Diskussion eingebracht hat. Im Anschluß an Herman Daly (1992) kann man vor allem die Betonung des "Ausmaßes" (scale) ökonomischer Aktivitäten als das Spezifische der Ökologischen Ökonomie betrachten, da hierbei die physischen Grenzen menschlicher Aktivitäten als gesonderte Problematik in das Blickfeld kommen und nicht einfach, wie in der traditionellen Neoklassik, als Problem zunehmender (Schatten-)Preise infolge des Erreichens natürlicher Beschränkungen behandelt werden. Vornholz diskutiert in seinem Beitrag zunächst verschiedene Konzepte von "Nachhaltigkeit", bevor er das von der Brundtland-Kommission 1987 definierte Leitbild der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) einer eingehenden Erörterung unterzieht. Dabei werden nicht nur die bereits in der Literatur der letzten zehn Jahre ausgiebig diskutierten konzeptionellen Fragen beleuchtet, sondern es wird darüber hinaus auch der Beitrag der Technik zur Umsetzung dieses Leitbildes in der heutigen Welt untersucht, Der Autor erörtert sowohl Chancen als auch Grenzen und Probleme technischen Fortschritts bei der Umsetzung des Nachhaltigkeits-Leitbildes, wobei auch institutionelle Hemmnisse und eingefahrene ökologieschädliche Verhaltensmuster der Menschen in Betracht gezogen werden. Bei dem Vergleich der traditionellen neoklassischen Ressourcen- und Umweltökonomie betont Vornholz nochmals die Grenzen der "Mainstream Economics" aber auch seine Ausführungen machen deutlich, daß an die Stelle der ursprünglich scharfen Frontstellung mit zunehmender Entwicklung des Gebiets, insbesondere auch durch das Bestreben, zur Lösung konkreter Probleme beizutragen, eine weitgehende Annäherung der zunächst recht konträren Standpunkte getreten ist. Es kann auch durchaus sein, daß manche der von der Ökologischen Ökonomie noch kritisch angemahnten Fragen - sie betreffen insbesondere das bereits erwähnte Konzept des "Ausmaßes" (scale) und das Problem der intra- und intergenerationalen Gerechtigkeit - in Zukunft stärker als heute auch mit Methoden und Begrifflichkeiten traditioneller Ökonomik untersucht werden. Auf diese in den letzten Jahren stärker gewordenen Beziehungen zwischen "Ökologischer Ökonomie" und heute nicht mehr so traditioneller "Umweltökonomie" verweist Hans G. Nutzinger (Kassel) in seinem Kommentar. Von der Ebene konzeptioneller Klärung bis zu den Möglichkeiten statistischer Erfassung der Ökologie- bzw. Umweltproblematik im Rahmen einer erweiterten "Umweltökonomischen Gesamtrechnung" ist es allerdings ein weiter Schritt. Sylvie Geisendorf (Kassel) untersucht in ihrem Beitrag "Die Umweltökonomische Gesamtrechnung als Grundlage einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik" zunächst einmal die vielfältigen Probleme, welche die mangelnde Berücksichtigung des Naturverbrauchs in der traditionellen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung hervorgerufen hat und noch immer hervorruft. Sie widmet sich dabei zunächst der Frage, warum das traditionell gemessene Bruttosozialprodukt die Umweltzerstörung nicht (korrekt) abbildet; in erster Annäherung kann man diese Gründe dahingehend klassifizieren, daß sie zum einen auf der fehlenden Bilanzierung des Naturverbrauchs beruhen und zum anderen auf der Tatsache, daß die in der VGR zugrunde gelegten Markt- oder Verrechnungspreise aufgrund ökologischer Ordnungsdefizite die im Wirtschaftsprozeß verursachten Umweltschäden und Ressourcenverbräuche nicht angemessen erfassen. Das Bruttosozialprodukt als immer noch gebräuchlicher Indikator wirtschaftlichen Erfolgs ist daher aus ökologischer Perspektive höchst fragwürdig, weil ein Teil des Sozialprodukts nicht durch wohlstandssteigernde Leistungen, sondern nur durch die Reparatur von Schäden entsteht, weit im Bruttosozialprodukt noch nicht der Verbrauch von Maschinen und Anlagen berücksichtigt ist und daher nicht die tatsächliche Wertschöpfung angegeben wird, weil keine Abschreibungen für den Naturverbrauch gebildet werden, weil die Leistungen natürlicher Faktoren nicht angemessen von der Gesamtrechnung erfaßt werden und weil schließlich in der Volkswirtschaftlichen Vermögensrechnung bisher nur die Bestände an produziertem Vermögen, nicht aber die Bestände natürlichen Vermögens erfaßt werden. Im Anschluß an diese Kritik diskutiert Sylvie Geisendorf verschiedene Vorschläge zur ökologischen Erweiterung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, bevor sie die in jüngster Zeit in der Bundesrepublik Deutschland (wie auch in einigen anderen Ländern) praktizierte "Umweltökonomische Gesamtrechnung" des Statistischen Bundesamts darstellt und kritisch beleuchtet. Damit wird die Notwendigkeit einer umfassenden Umweltökonomischen Gesamtrechnung - nicht zuletzt als Grundlage einer sinnvollen ökologieorientierten Wirtschaftspolitik - überzeugend dargelegt. Die Leitidee der "nachhaltigen Entwicklung" hat längst die Ebene nur konzeptionellen Denkens oder möglicher statischer Erfassung, etwa im Rahmen einer "umweltökonomischen Gesamtrechnung", überstiegen und wird nicht nur in vielfältigen Formen auf die Ebene individueller und kollektiver Akteure übertragen, sondern auch schon in vielen Ansätzen praktisch angewandt. Rudi Kurz (Pforzheim) gibt in seinem Beitrag "Unternehmen und nachhaltige Entwicklung" einen anschaulichen Überblick über die Rolle der Unternehmen im Rahmen eines umfassenden gesellschaftlichen Suchprozesses nach Ansatzpunkten und Formen einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Er sieht dabei drei verschiedene Stufen des Engagements für Unternehmen in diesem Prozeß, beginnend mit solchen Maßnahmen, die einen meßbaren Beitrag zur Gewinnerzielung leisten (Stufe 1), über Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung, die ohne direkte Gewinnsteigerung als Beitrag zur langfristigen Existenzsicherung des Unternehmens begriffen werden können (Stufe 2), bis hin zu solchen Beiträgen von Unternehmen, die ohne kalkulatorische oder strategische Absicht aus Gründen individualethischer oder gesamtgesellschaftlicher Verantwortung geleistet werden (Stufe 3). Die mittlere Stufe 2 steht im Zentrum seiner Überlegungen, ausgehend von der These, daß trotz keineswegs ökologiegerechter Rahmenbedingungen und erkennbarer Wettbewerbszwänge durchaus Freiheitsgrade und potentielle Handlungsspielräume für nachhaltige Unternehmensentwicklung verbleiben. Daran anschließend entwickelt Rudi Kurz Maßstäbe für eine nachhaltige Entwicklung von Unternehmen, wie absolute Nutzungsmengen, Ressourcenproduktivität, gute ökologische Managementpraktiken und umfassende Kennzahlensysteme. Schließlich wird Nachhaltigkeit als wichtiger Impuls für die Unternehmensentwicklung charakterisiert, da die Beteiligung von Unternehmen am gesellschaftlichen Suchprozeß nach nachhaltigen Entwicklungspfaden strategische, die langfristige Existenz des Betriebes stützende Vorteile erbringt. Der Verfasser erläutert dies am Beispiel einer verbesserten Wahrnehmungsfähigkeit, verbesserter Anpassungsfähigkeit und gesteigerter Gestaltungsfähigkeit von Unternehmen. Schließlich wird die nachhaltige Unternehmensentwicklung in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext gestellt. Auch wenn der Autor nicht erwartet, daß die Unternehmen insgesamt Motor der Nachhaltigkeitsdiskussion sein werden, plädiert er doch sehr dafür, daß sie interessierte und engagierte Mitwirkende sein werden, vor allem, wenn das Thema Nachhaltigkeit weiterhin eine bedeutende gesellschaftliche Relevanz hat. Im zweiten betriebswirtschaftlich orientierten Beitrag von Jürgen Freimann (Kassel) über "Umweltmanagement zwischen staatlicher Regulierung und Eigeninitiative" werden zunächst überblicksartig zahlreiche Konzepte und Instrumente des Umweltmanagements beleuchtet. Es wird gezeigt, daß die "neuen" Instrumente einer sozial-ökologischen Unternehmenspolitik weitestgehend veränderte Variationen der bereits bestehenden jeweiligen Funktionslehre sind, z.B. Portfolioanalyse oder Produktionstheorie. Diese generelle Charakterisierung muß allerdings insofern eingeschränkt werden, als Umweltinformationssysteme und das Modell der "Anspruchsgruppen" (stakeholders) zwei neuere Entwicklungen darstellen, die nicht dem mainstream der Betriebswirtschaftslehre entlehnt zu sein scheinen. Jürgen Freimann leitet anhand zweier exemplarischer Darstellungen - zum einen geht es um die Koexistenz von Auflagenbefolgern und ökologischen Pionieren und zum anderen um die Möglichkeiten zur Umsetzung des Umweltmanagements im EG-Öko-Audit - empirisch begründete Prognosen über die absehbare Entwicklung des Umweltmanagements in der Betriebswirtschaftslehre und der Unternehmenspraxis ab. Der Beitrag von Achim Lerch (Kassel) behandelt ein Gebiet, auf dem in den letzten Jahren weltweit ein deutlicher Erkenntnisgewinn erzielt werden konnte, welcher allerdings noch zu langsam von den nicht im Forschungsgeschehen stehenden Ökonomen und von der Lehrbuchliteratur aufgenommen wird. Früher unterschied man private und öffentliche Güter im Sinne von Samuelson (1954), und der Ansatz der Property Rights behandelte zunächst vorzugsweise das Modell der uneingeschränkt verfügbaren, "unverwässerten" und an Privatsubjekte verliehenen Rechte. Als Folge stellte man sich die Welt so vor, daß Güter entweder privat oder öffentlich waren und daß Property Rights entweder für Private oder gar nicht bestanden. In der Empirie beobachtete Fehlentwicklungen wurden danach regelmäßig mit der Abwesenheit privat definierter Property Rights erklärt, wie in Garrett Hardins vielzitierter "Tragik der Allmende". Diese Theorie stand schon immer mit zahlreichen empirischen Beobachtungen im Konflikt, wonach auf Gemeineigentum beruhende Ressourcennutzungssysteme durchaus über lange Zeit funktionieren konnten. Das Rätsel löste sich erst, als begrifflich zwischen Eigentum und Eigentumslosigkeit (Open Access), zwischen res communis und res nullius unterschieden und Privat- sowie Gemeineigentum als ein abgestuftes Kontinuum unterschiedlich definierter Property Rights erkannt wurden. Die irreführende Idee von der "Tragödie des Gemeineigentums" wurde durch die korrekte von der "Tragödie der Eigentumslosigkeit" ersetzt. Achim Lerch ist einer der wenigen in Deutschland, die diese Erkenntnisse auf die weltweite Bewirtschaftung fundamentaler ökologischer Ressourcen, insbesondere der Biodiversität, anwenden. Er klärt, daß mit der Pflicht, derartige irreversibel vernichtbare Ressourcen für künftige Generationen zu erhalten, nur ein Eigentumsbegriff im Sinne des Patrimonium, nicht aber des Dominium verträglich ist, welcher die Verfügung allein im Sinne des usus fructus und usus, nicht aber im Sinne des abusus gewährt. Ein solches Eigentum - privat oder kollektiv - sollte aber bestehen, um Anreize zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung zu setzen. Von einer effizienten, das heißt insbesondere Transaktionskosten minimierenden und gerechten Distribution der Property Rights an biologischer Vielfalt insbesondere in tropischen Ländern wird, wie man ohne Übertreibung sagen darf, deren Erhalt in den kommenden Jahrzehnten abhängen. Achim Lerch evaluiert hier einige erste praktische Versuche, wie den vielzitierten Handel zwischen Merck und INBio in Costa Rica. Silke Gronemann und Ulrich Hampicke (beide Greifswald) untersuchen in ihrem sehr umfassenden Beitrag Möglichkeiten, Grenzen und Methoden einer Monetarisierung der Natur und damit eine jener kontroversen Grundsatzfragen, die zu Beginn der Debatte über "Umweltökonomie versus Ökologische Ökonomie" eine unüberbrückbare Kluft zwischen zwei verschiedenen Denkrichtungen zu markieren schienen. Der vorliegende Beitrag zeigt überzeugend, daß an die Stelle eines ursprünglichen "Alternativradikalismus" über die Zulässigkeit monetärer Bewertungen mit dem binären Code "ja" oder "nein" jetzt weitaus differenziertere Überlegungen getreten sind, welche die empirische Seite der Problematik in den Vordergrund rücken (für wie ersetzbar oder unersetzbar halten Menschen bestimmte Elemente ihrer natürlichen Umwelt?), die Möglichkeit einer partiellen Monetarisierung (bei Anerkenntnis tatsächlicher oder ethischer Schranken einer umfassenden geldlichen Bewertung) und die praktischen Schwierigkeiten einer Wertermittlung (verbunden mit interessanten praktischen Lösungsvorschlägen) in den Vordergrund rücken. Im Hinblick auf die uns unbekannten Präferenzen künftiger Generationen entwickeln die Autoren überzeugend die Pflicht, "Künftigen möglichst viele Optionen durch Hinterlassung einer reichen Welt offenzuhalten, so lange uns dies nicht unzumutbare Kosten abfordert". In diesem Zusammenhang gewinnen auch eingeschränkte Verfahren, die nicht immer den "Nutzen" von Naturschutzmaßnahmen monetär erfassen können, aber doch wenigstens auf kosteneffiziente Erreichung vorgegebener ökologischer Ziele ausgerichtet sind, zunehmend an Bedeutung. Der Beitrag von Gronemann und Hampicke liefert einen instruktiven Überblick über verschiedene direkte und indirekte Bewertungsverfahren und untersucht die vorliegende, in den letzten Jahren stark angewachsene Literatur nicht nur im Hinblick auf methodische Probleme, sondern auch auf verschiedene Anwendungsfälle und weitere Entwicklungsmöglichkeiten. Ein interessantes Ergebnis ihrer Analyse ist, daß bestimmte, anfänglich für zentral gehaltene Probleme - wie der vermutete "Warm-Glow-Effekt" der durch Befragung ermittelten Zahlungsbereitschaften aufgrund des befriedigenden Gefühls, etwas für irgendeinen guten Zweck gegeben zu haben - heute wohl nicht mehr als grundsätzliche Einwände gegen Befragungsmethoden gelten, da es durchaus Erklärungsansätze gibt, welche die Konzentration von Unterstützung auf einzelne Tier- und Pflanzenarten (bei gleichzeitiger Vernachlässigung anderer Arten) nicht mehr zwangsläufig als Ausdruck irrationalen Verhaltens erscheinen lassen. Die Autoren weisen auch richtig darauf hin, daß jenseits aller weiterhin bestehenden Ungenauigkeiten und Probleme bei der Ermittlung absoluter Zahlungsbereitschaften durchaus wichtige qualitative Ergebnisse über die Bedeutung gewonnen werden, welche die Bevölkerung verschiedenen Maßnahmen zum Erhalt bestimmter Arten zukommen läßt. Schließlich weisen die Verfasser auch darauf hin, daß verschiedene Einwände gegen Zahlungsbereitschaftsanalysen zugleich als Einwände gegen die mikroökonomische Theorie generell gedeutet werden können, so daß sich von hier aus ein allgemeiner Forschungsbedarf ergibt, der keineswegs auf die Naturschutzproblematik beschränkt ist. Jürgen Meyerhoff (Berlin) diskutiert Probleme und bisherige Leistungen der Kosten-Nutzen-Analyse bei der Bewertung biologischer Vielfalt. Weltweit verfügbare Daten und das Urteil von Kennern des Problems lassen keinen Zweifel daran, daß wir uns nunmehr nach fünf bis sechs Episoden starker Artenverarmungen in kurzer Zeit während der vergangenen 600 Mio. Jahre, die aber sämtlich durch geologische oder andere physische Ursachen hervorgerufen waren, in einem Abschnitt der Evolution befinden, in dem erstmals eine Art (homo sapiens) Auslöser einer "Mass Extinction" ist. Ist hier auch in ökonomischer Sicht ein Problem der Abwägung von Kosten und Nutzen im weitesten Sinne zu sehen, so zeigt Jürgen Meyerhoff doch, daß das herkömmliche Instrumentarium der Kosten-Nutzen-Analyse der neuartigen Dimension der Fragestellung nicht mehr angemessen ist. Er führt dann aus, wie diesem Mangel durch schrittweise Erweiterungen und Vertiefungen von Begriffen und Methoden abgeholfen werden kann, wenn eine verallgemeinerte und "ökologisch bewußte" Kosten-Nutzen-Analyse als Entscheidungshilfe herangezogen wird. In weltweiter Perspektive besteht das Nahziel hier immer noch darin, den völlig regellosen, vollständigen abusus einschließenden Umgang mit der Biodiversität durch Entscheidungen von nicht perfekter, aber relativer Rationalität abzulösen. Die Erweiterungen der Kosten-Nutzen-Analyse betreffen - zunächst noch durchaus im herkömmlichen Verständnis - den Einbezug nicht monetarisierter Werte sowie von Options- und Existenzwerten (Total Economic Value") und die Erfassung der Funktionen der biologischen Vielfalt für die Selbstorganisation der Ökosysteme. Daran schließt sich die Übernahme einiger neuer Konzepte der Ökologischen Ökonomie an, während die grundlegendste methodische Neuerung, welche durchaus als ein Bruch mit neoklassischem Denken angesehen werden kann, in der Akzeptanz des Prinzips der Komplementarität besteht. In der realen Welt ist eben, anders als in der neoklasischen Standardtheorie, nicht alles substituierbar. In einer vielleicht später als epochemachend erkannten Arbeit (Gren et al. 1994) wird der Natur ein von individuellen Präferenzen unabhängiger und daher aller Monetarisierung vorgelagerter "Primary Value" zuerkannt, der in ihrer unersetzbaren Grundlage für das Leben besteht. Daß es Dinge gibt, die nicht aus moralischen, sondern faktenlogischen Gründen unersetzbar sind und sich daher - stets vergleichender - monetärer Bewertung entziehen, ist eine Erkenntnis, die Nicht-Ökonomen offenbar geringere Schwierigkeiten bereitet als Wirtschaftswissenschaftlern. Jürgen Meyerhoff weist darauf hin, daß das verwandte Konzept des "Safe Minimum Standards" schon vor mehreren Jahrzehnten von dem Pionier S. v. Ciriacy-Wantrup entwickelt wurde, und er schließt seine Ausführungen mit kurzen Berichten über einige praktische Anwendungen der erweiterten Kosten-Nutzen-Analyse im Bereich der bayerischen und österreichischen Donauauen. Michael Finus (Hagen) behandelt mit der Spieltheorie eine Methode, welche wie keine andere die ökonomische Theorie auf zahlreichen Gebieten in den letzten Jahren durchdrungen und teilweise erheblich verändert hat. Für den spieltheoretisch orientierten Ökonomen beschreibt die herkömmliche Mikroökonomie die ihm mehr oder weniger uninteressant erscheinenden Sonderfälle menschlicher Interaktion, in denen es keinen Raum für strategisches Verhalten gibt oder wo von diesem Aspekt, ohne allzu große Fehler zu begehen, im Interesse der Einfachheit von Modellen abgesehen werden darf. Für ihn sind Strategie, Konflikt, Verhandlung und Kooperation der "Normalfall" ökonomischer Interaktion. Wie Michael Finus aber selbst schreibt, hemmen die unabdingliche mathematische Formulierung schon der einfachsten Probleme und erst recht die sehr schnell ansteigenden mathematischen Anforderungen bei komplexeren Fragestellungen die Verbreitung der Spieltheorie erheblich. So ist der vorliegende, streng systematische und dabei gut lesbare Beitrag für alle Leser wertvoll, die sich über die Methode schon unabhängig von ihren Anwendungsmöglichkeiten in der Ökologischen Ökonomie informieren wollen. Unter ihren Anwendungen steht derzeit das weltweite "Pokern" unter Staaten über die Verteilung von Anrechten an knappen globalen Ressourcen, insbesondere von Anrechten zur Emission von klimawirksamem CO2 an erster Stelle. Wir erleben mit, was in dichtbesiedelten Ländern bezüglich des Grundeigentums schon vor Jahrhunderten und bezüglich der Meeresressourcen vor wenigen Jahrzehnten entschieden wurde: die Erstverteilung von Verfügungsrechten. Dabei gibt es einerseits keine zentrale Autorität mit uneingeschränkter Verteilungskompetenz, andererseits erfolgt die Appropriation jedenfalls bisher auch nicht nach dem Prinzip allein rücksichtslosen Machteinsatzes, was den Prozeß, abgesehen von der Unakzeptierbarkeit der Ergebnisse, dann auch wissenschaftlich-ökonomisch uninteressant machen würde. Die typische Verhandlungssituation resultiert teils aus einem gewissen Machtgleichgewicht zumindest zwischen größeren Blöcken von Ländern und andererseits daraus, daß vor einer kritischen Weltöffentlichkeit nicht einfach nur zugegriffen werden kann, sondern argumentiert werden muß, wobei Aspekte der Gerechtigkeit, der Bedürftigkeit, der Allokationseffizienz von Emissionsvermeidungen, der Verantwortung für die schon bestehende Vorbelastung und anderes mehr zur Sprache kommen. Die Spieltheorie kann die Qualität dieses Entscheidungsprozesses auf vielfältige Weise heben. Es wäre zum Beispiel eine lohnende Leistung, wenn sie die Politik darüber aufklären könnte, daß bestimmte, zur gegenseitigen Paralysierung führende Dogmen etwa derart, daß einseitige Emissionsvermeidungsmaßnahmen von Ländern gar nichts nützten, keineswegs als unumstößliche Wahrheiten gelten dürfen. Weitere, sich mehr oder weniger klar herausschälende Erfolgsbedingungen für Verhandlungsprozesse um globale Ressourcen nennt der Autor am Schluß seines Beitrages. Das globale CO2-Klima-Problem ist denn auch das Thema des Beitrags von Peter Michaelis (Bernburg an der Saale), der sich in die in schon große Zahl von empirischen Modellsimulationen einreiht, welche die Konsequenzen bestimmter zeitlicher Emissionsprofile von Treibhausgasen in den kommenden Jahrzehnten zu antizipieren versuchen. Die bekannteste Arbeit dieser Art, das DICE-Modell von Nordhaus (1994), vergleicht heutige Kosten der Vermeidung von Klimaänderungen mit den wahrscheinlichen Kosten unterlassener Vermeidung - also die Kosten der Klimaänderung - und setzt sich damit unter anderem dem Einwand aus, daß die letzteren Kosten heute nur mit so großer Ungenauigkeit antizipiert werden können, daß jede Berechnung mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Peter Michaelis beschränkt sich hier, indem er künftige Effekte selbst nicht bewertet, sondern sich an politisch gesetzten Zielen orientiert, vor allem der Maxime: Lassen wir maximal nur solche Klimaänderungen zu, die aus einer Verdoppelung des vorindustriellen CO2-Gehaltes der Atmosphäre folgen würden. Zwei Aspekte zeichnen die vorliegende Arbeit vor allen anderen weltweit vorgenommenen Modellrechnungen aus: Zum einen verarbeitet sie die physischen Fakten, wie zum Beispiel den Austausch von anthropogen emittiertem CO2 zwischen Atmosphäre und Ozean, mit erheblich größerer Sorgfalt, als es die meisten Ökonomen nur für nötig halten. Hier leisten sich sogar diejenigen, welche sich "Ökologische Ökonomen" nennen, noch immer Oberflächlichkeiten, die geeignet sind, das Renommee ihrer Zunft bei Naturwissenschaftlern erheblich in Mißkredit zu bringen, wie jüngst wieder Costanza et al. (1997). Zweitens greift Peter Michaelis den Umstand auf, daß es nicht ein Treibhausgas (CO2), sondern mehrere (unter anderen CO2, N2O, CH4 und FCKWs) gibt; somit entsteht das spezifisch ökonomische Problem der kostenminimalen Einhaltung eines konsensual bestimmten Klimaziels. Es werden also Fragen der Kostenwirksamkeitsanalyse (Cost-Efficiency Analysis) gestellt. Das Ergebnis ist, daß zur Einhaltung solcher Ziele zwar schon jetzt und erst recht in wenigen Jahrzehnten wesentlich energischere Maßnahmen als bisher ergriffen werden müssen, daß aber nicht zuletzt bei Ausnutzung von Effizienzspielräumen - Emissionsvermeidung bei den Stoffen, wo es am kostengünstigsten ist - durchaus erwartet werden kann, daß sich hochentwickelte und wohlhabende Volkswirtschaften auf der Erde derartige Maßnahmen werden "leisten" können. Während die Anfänge der Umwelt- und Ressourcenökonomik mindestens bis zum Beginn unseres Jahrhunderts zurückverfolgt werden können (frühe Spuren umweltökonomischen Denkens zeigen sich bereits in der älteren Historischen Schule 100 Jahre zuvor), sind die Grundgedanken der Ökologischen Ökonomie - sieht man einmal von John Stuart Mills zu Recht berühmten Ausführungen über den "stationary state" in seinen Principles (1848) ab - im wesentlichen erst in den letzten 20 Jahren entwickelt worden, auch wenn es mit Karl William Kapp (1950) und Nicholas Georgescu-Roegen (1971) zumindest zwei bedeutende Vorläufer gibt. Bisher findet man noch keine verbindlichen "Lehrbücher" oder "Textbücher" für dieses neu entstandene Gebiet, sondern verschiedenartige Aufsatzsammlungen sowie laufende Artikel in der seit 1985 erscheinenden Zeitschrift "Ecological Economics". Einen ersten Versuch einer zusammenfassenden Darstellung der "Ökologischen Ökonomie" haben Robert Costanza u.a. (1997) mit ihrer "lntroduction to Ecological Economics" unternommen. Auch diese einführende Darstellung zeigt, ebenso wie die hier im Jahrbuch "Ökonomie und Gesellschaft" präsentierten Beiträge, daß traditionelle Umwelt- und Ressourcenökonomie und die in den letzten Jahrzehnten entstandene "Ecological Economics" in der Zwischenzeit in einen konstruktiven und fruchtbaren Dialog miteinander eingetreten sind, der alte Grenzziehungen überwindet und immer neue Fragestellungen sowohl in der grundlagenorientierten als auch der anwendungsbezogenen Forschung eröffnet.
Aktualisiert: 2018-11-08
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Ökonomie und Gesellschaft / Die Neoklassik und ihre Herausforderungen

Ökonomie und Gesellschaft / Die Neoklassik und ihre Herausforderungen von Gijsel,  P de, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wittmann,  Ulrich
Inhalt Franz Haslinger, Johannes Schneider: Die Relevanz der Gleichgewichtstheorie. Gleichgewichtstheorien als Grundlage der ordnungs- und wirtschaftspolitischen Diskussion Peter Kalmbach, Heinz Kurz: Klassik, Neoklassik und Neuklassik Hajo Riese: Geldökonomie, Keynes und die Anderen. Kritik der monetären Grundlagen der Orthodoxie Winfried Vogt: Eine Theorie des kapitalistischen Gleichgewichts Matthes Buhbe/Rolf von Lüde: Grundlagen und Probleme der Angebotspolitik Jürgen Frank: Markt versus Staat. Zur Kritik einer Chicago-Doktrin Ein Jahrbuch für Ökonomie und Gesellschaft!? Diese uns Individuen immer wieder so unerklärliche Gesellschaft! Zwischen Reichtum und Armut, Freiheit und Unterdrückung, Individualität und Entfremdung, Aufstieg und Niedergang, Ordnung und Anarchie - wo stehen, was bewirken, was verhindern wir, und warum, bzw. warum nicht? Welche Theorie erklärt uns, was geschehen ist, vor sich geht und sein kann? Es hat eine politische Ökonomie gegeben, die sich den Versuch zugetraut hat, über das problematische Verhältnis von Individuum und Gesellschaft aufzuklären. War dieser Anspruch unberechtigt, überzogen, vermessen? Es scheint so, wenn man bedenkt, daß die ökonomische Wissenschaft selbst lange schon weitgehend auf ihn verzichtet hat. Auch spricht dafür, daß es eine Reihe von Gesellschaftsphilosophien gibt, welche ohne die Begriffe der politischen Ökonomie ausgekommen sind. Aber haben sie die Gesellschaft in ihrem Verhältnis zum Individuum besser begriffen? Bei allem Respekt vor nicht-ökonomischen philosophischen und sozialwissenschaftlichen Deutungen dieses Verhältnisses wird man doch in keiner von ihnen einen so unmetaphysischen und gründlichen analytischen Ansatz finden wie in der klassischen politischen Ökonomie von Smith bis Marx. Ja, man wird den Eindruck nicht los, daß diese politische Ökonomie wie der Igel vor dem Hasen immer schon da war. In der klassischen politischen Ökonomie leuchtet nämlich schon die Dialektik des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft so auf, daß keiner seiner Aspekte ganz im Dunkeln bleibt. Erstens bricht die Idee voll durch, daß sich individuelle Freiheit und gesellschaftliche Wohlfahrt gegenseitig bedingen und fördern und in Tausch und Markt Raum und Wege schaffen. Zweitens wird aber auch bewußt, daß und warum Tausch und Markt Ungleichheit und Ungleichgewicht, Unterdrückung und Entfremdung hervortreiben. Drittens wird (wenigstens von den bedeutenden Vertretern) weder die erste noch die zweite Sichtweise noch auch der Widerspruch zwischen beiden durch Vorurteile oder voreilige Parteinahme zu begründen oder zu lösen versucht, sondern eine angemessene wissenschaftliche Methode entwickelt, mit der sich die Gesellschaft in ihrer Widersprüchlichkeit entschlüsseln läßt. Die Strenge und Konsistenz ihrer Methoden vor allem hebt die politische Ökonomie von alternativen Gesellschaftsphilosophien ab. Sie erlaubt ihr gewissermaßen einen privilegierten Zugang zu den Grundproblemen von Gesellschaft und Individuum, wie sie sich niederschlagen nicht nur in Wohlstand und Armut, sondern auch in Ordnung und Ungleichgewicht, Freiheit und Unterdrückung, Individualität und Entfremdung. Um so verwunderlicher muß es erscheinen, daß die ökonomische Wissenschaft offensichtlich von sich aus auf dieses methodische Privileg verzichtet hat. Dort, wo sie selbstbewußt ihre Methoden pflegt und entwickelt, hat sie vielfach den Anspruch auf eine Gesellschaftsphilosophie aufgegeben oder einfach vergessen. Wo sie ihn aufrecht erhalten hat, ist sie der Methode untreu, nämlich ideologisch und dogmatisch geworden. So ist die Ökonomie heute als Wissenschaft (!) von der Gesellschaft nahezu verschüttet. Entweder fehlt ihr der Begriff der Gesellschaft, oder sie kann in ihm nicht mehr zusammenhalten, was in der klassischen politischen Ökonomie, wenn auch widersprüchlich, noch vereinigt war. Eine Dialektik, in der Freiheit, Individualität, Wohlstand und Ordnung mit Unterdrückung, Entfremdung, Armut und Anarchie zusammen gedacht werden konnten in einer methodisch fundierten Theorie von Tausch und Markt. Gewiß, auch in der klassischen politischen Ökonomie findet sich nicht mehr als der Ansatz für ein solch umfassendes theoretisches Programm, Aber anstatt ihn weiterzudenken, hat die ökonomische Wissenschaft gewissermaßen die Einheit des klassischen Erbes durch Aufteilung zerstört. Der Zusammenhang von aufklärerischem Optimismus, aufklärender Kritik und klärender Methode ist in seine Elemente zerfallen und hat drei verselbständigte Orthodoxien hinterlassen. Die erste Orthodoxie ist die vorherrschende Schulökonomie, die sich am besten als technokratisch charakterisieren läßt. Sofern sie nicht überhaupt nur Partialanalyse innerhalb der Ökonomie bleibt, versteht sie sich, von Ausnahmen abgesehen, doch als Partialanalyse der Ökonomie in der Gesellschaft. In diesem Rahmen behandelt sie zwar das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, aber streng "ceteris paribus". Die Individuen sind von vornherein fertig da, und was sie außer dem Tauschgleichgewicht zusammen und in ein Verhältnis bringt (oder was sie auseinanderreißt!), mag Angelegenheit der anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen oder Metaphysik sein. Die Frucht ihrer Disziplinierung erntet diese Orthodoxie in der bemerkenswerten Entwicklung ihrer Methoden. Aber ob diese sie je in die Lage versetzen wird, wieder Gesellschaftstheorie zu sein, läßt sie offen. Respektabel bescheidet sie sich selbst, beansprucht erst gar nicht den Blick über den Rand. Die zweite Orthodoxie ist eine ökonomische Apologie der Marktgesellschaft. Hier hat eine konservative Ideologie den klassischen Aspekt des Zusammenhangs von individueller Freiheit, Wohlfahrt und Markt verabsolutiert. In der freien Marktgesellschaft als der besten aller Welten sind Unterdrückung, Entfremdung und Anarchie entweder nur Einbildung, oder Ergebnis von illusionären oder diktatorischen Verletzungen der Gesetze der Freiheit. Eine wissenschaftliche Begründung dieser Ideologie, die den Standards der entwickelten professionellen Methoden gewachsen wäre, wird in der Regel nicht einmal versucht. Die dritte Orthodoxie pflegt eine Kritik der Marktgesellschaft, die mehr oder weniger ausschließlich aus der klassischen Analyse von Unterdrückung, Entfremdung und Anarchie den voreiligen Schluß zieht, daß der Zusammmenhang zwischen individueller Freiheit, gesellschaftlicher Wohlfahrt und Tausch nur einem falschen Bewußtsein entspringen könne. Dies ist die Orthodoxie des linken Dogmatismus. Sie ist dogmatisch, weil sie sich nie die Mühe macht, die Theorie von Tausch und Markt mit den dafür entwickelten Methoden nachzuvollziehen und dann erst zu urteilen. Sie ist es aber insbesondere dann, wenn sie in ihrer Abwehr gegen das aufklärerische Moment in der klassischen politischen Ökonomie die ökonomische Befreiung der Gesellschaft nicht mehr auch als Befreiung des Individuums verstehen will. Ökonomie: Technokratie, Apologie oder Dogmatismus. Die Entwicklung der drei Orthodoxien hat die Widersprüche, die in der klassischen politischen Ökonomie noch das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft kennzeichneten, beseitigt, ohne sie zu lösen. Kann ein Marktsystem (rein oder gemischt) überhaupt Unterdrückung und Entfremdung vermeiden? Welche gesellschaftlichen Institutionen müssen hierfür geschaffen werden? Ist ein solches System überhaupt stabil? Wie sieht das Individuum in einer solchen Gesellschaft aus? Diese Fragen sind auch nach dem Zerfall der klassischen politischen Ökonomie in jeder der drei genannten Orthodoxien virulent geblieben, ohne daß sie von diesen wissenschaftlich befriedigend behandelt werden können. Die Technokratie muß trotz der Entwicklung ihrer Methoden hierbei versagen, weil sie das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft nur noch instrumentell betrachtet. Die Möglichkeit, daß das Individuum eine Fiktion ist, solange die bestehenden gesellschaftlichen Institutionen nicht verändert werden, ist für die Technokratie kein Problem. Die konservativen Apologeten des Kapitalismus entscheiden die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft durch die wissenschaftlich problematische Behauptung, daß Freiheit und Individualität nur unter Aufrechterhaltung und Stärkung kapitalistischer Institutionen möglich sind. Das Problem beider Orthodoxien wird am besten durch das Fazit eines der Autoren dieses Jahrbuchs illustriert: Die Fehler des Neoliberalismus/Neokonservativismus sind nicht: zu viel Liberalismus, sondern zu wenig - zu viel Wohlfahrtsökonomie, sondern zu wenig. Seine Mahnung, daß sich die Kritiker über dieses Fazit nicht allzu schnell freuen sollten, trifft auch den Linksdogmatismus. Dieser verweist zwar mit Recht auf das Problem von Unterdrückung und Entfremdung. Der von ihm geforderte Sprung aus einer in Agonie befindlichen bürgerlichen Gesellschaft in eine neue, in der Freiheit, Gleichheit und Solidarität bestehen soll, findet jedoch ohne das verdinglichte bürgerliche Individuum statt, das es gerade zu befreien gilt. Die Dialektik der Aufklärung, welche die Vorstellung eines freiheitlichen, gleichen und solidarischen Menschen ins Gegenteil verkehrt hat, wird durch den Linksdogmatismus in einer fatalen Weise bestätigt. Aber so verkürzt und irreführend die drei Orthodoxien in ihrer Einseitigkeit sind, so enthalten sie doch auch die positiven Elemente, die eine politische Ökonomie, welche sich als Erbe der klassischen politischen Ökonomie versteht, wieder zusammenzuführen hat. Die entwickelten Methoden der technokratischen Orthodoxie erlauben heute ein wesentlich besseres Verständnis der Funktionsweise von Tausch und Markt als dies noch vor hundert Jahren der Fall war. Auf diese Methoden kann eine politische Ökonomie nicht verzichten. Die konservative Orthodoxie beharrt mit Recht auf der Leistungsfähigkeit eines Marktsystems. Der Linksdogmatismus macht zu Recht darauf aufmerksam, daß ein Marktsystem zu Entfremdung und Unterdrückung führen kann. In der Zusammenführung dieser Einsichten also hat eine politische Ökonomie heute erneut das Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Reflexion zu stellen. Der aufklärerische Impetus, durch den die klassische politische Ökonomie zumindest in ihren Anfängen gekennzeichnet war, kann allerdings heute nur noch überzeugen, wenn der verlorenen Unschuld dieser Aufklärung Rechnung getragen wird. Wie sich in der Geschichte des Liberalismus immer wieder gezeigt hat, kann die Forderung nach Verwirklichung des Individuums durch die Schaffung von mehr Freiheit, Gleichheit und Solidarität stets in einem doppelten Sinne verstanden werden: als Forderung nach der Durchsetzung eines Wirtschaftsliberalismus unter Beibehaltung kapitalistischer Institutionen, andererseits nach der Veränderung dieser Institutionen. Das Individuum ist heute sowohl das ideologische Substrat einer Gesellschaft, in der es in Wirklichkeit im Sinne der Aufklärung gar keinen Platz findet, als auch Fluchtpunkt für eine wissenschaftlich fundierte Kapitalismuskritik, die nachzuweisen sucht, daß kapitalistische Institutionen unvereinbar sind mit Institutionen, die eine Verwirklichung des Individuums auf Dauer garantieren. Eine solche ökonomische Kapitalismuskritik, die sich der Forderung der Aufklärung nach Verwirklichung des Individuums verpflichtet fühlt, ohne dabei die Dialektik der Aufklärung aus dem Auge zu verlieren, ist bislang ein Desiderat. Die Formulierung einer solchen Kritik, die sich der entwickelten Methoden der ökonomischen Wissenschaft bedient, ist als zentrale Aufgabe einer modernen Kritik der politischen Ökonomie zu begreifen, welche die widersprüchliche Einheit der klassischen politischen Ökonomie wieder herzustellen versucht, indem sie das Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft sowie von Ökonomie und Gesellschaft in Marktsystemen zu Ende zu denken versucht und sich dabei als sensibel gegenüber dogmatischen Positionen erweist. Die Ausformulierung einer solchen Kritik verlangt dreierlei. Erstens eine ökonomische Gesellschaftsanalyse, die sich nicht in den Engpässen von Ideologie, Dogmatismus und Technokratie verfängt. Sie erfordert damit zweitens eine gründliche Auseinandersetzung mit diesen Orthodoxien. Ihre dritte Aufgabe liegt in der Diskussion von ökonomischen Utopien der Gesellschaft, in denen Freiheit, Gleichheit und Solidarität der Individuen eine Chance haben. Das Jahrbuch für Ökonomie und Gesellschaft soll dazu beitragen, ein solches Programm voranzubringen. Es bietet Raum für ökonomische Funktionsanalysen der Gesellschaft, für die Kritik technokratischer, apologetischer und dogmatischer Positionen sowie für Überlegungen über gesellschaftfich-ökonomische Bedingungen für individuelle Freiheit und gesellschaftliche Wohlfahrt ohne Unterdrückung und Entfremdung. Obwohl in diesem Programm das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft eine zentrale Rolle spielt, soll darin kein Präjudiz für die Anwendung der neoklassischen Methode liegen, die dieses Verhältnis direkt thematisiert. Im Bewußtsein, daß der unmittelbare Zugriff auf das Individuum vorschnell sein kann, ist das Jahrbuch offen für konkurrierende Theorieansätze, wie einem marxschen, postkeynesianischen oder neoricardianischen. Schließlich charakterisieren diese Theorien das Individuum und die Gesellschaft sehr dezidiert, wenn auch einige Vertreter dieser Positionen um diesen Umstand vergessen haben. Die Diskussion soll zeigen, welche Methode in der Kritik der Orthodoxien, der ökonomischen Analyse der Gesellschaft und in der Diskussion von sozialen Utopien überlegen ist. Der vorliegende erste Band eröffnet gewissermaßen diese Diskussion. Der Titel Die Neoklassik und ihre Herausforderungen ist in beiden Bedeutungen zu verstehen. Erstens ist die Neoklassik eine Herausforderung für jede kritische ökonomische Analyse der Gesellschaft. Zweitens muß sie aber auch als etablierte Orthodoxie von alternativen Ansätzen herausgefordert werden, die sich ebenfalls auf ökonomische Denktraditionen berufen können. Haslinger/Schneider plädieren für die allgemeine Gleichgewichtstheorie, und, wenn man so will, für die neoklassische Methode. Hingegen demonstrieren sie an einer Reihe von Modellen, welche explizit "Marktfehler" - vor allem Unsicherheit - berücksichtigen, daß sich das zentrale Resultat der Neoklassik, nämlich die Hauptsätze der Wohlfahrtsökonomie, als unhaltbar erweist. Kalmbach/Kurz suchen in einer von ihnen so genannten neuklassischen Ökonomie klassische und keynesianische Elemente zu verbinden. Die Bestimmung der absoluten Höhe der Produktion soll anders als in der Neoklassik nicht durch eine vorgegebene Menge von Ressourcen und durch die Handlungen der Individuen bestimmt werden, sondern durch die Vorgabe eines Investitionsvolumens und der Produktionsstruktur. Riese, dessen Theorie einen ähnlichen Ableitungszusammenhang enthält, räumt darüber hinaus radikaler in der Tradition von Keynes der monetären Ökonomie Vorrang und Steuerungsfunktion ein. Er insistiert darauf, daß eine keynesianische (Geld-)Ökonomie eine andere werttheoretische Basis hat als die Gütertauschtheorien klassischer und neoklassischer Provenienz. Im Aufsatz von Vogt wird die neoklassische Methode für eine ökonomische Kapitalismuskritik in Dienst genommen, mit Ergebnissen, die dem neoklassischen Weltbild an sich widersprechen. Diese vier Beiträge, die die grundlegenden Konstrukte ökonomischer Theorie - Klassik, Neoklassik und Keynesianismus - entlang ihres normativen und explikativen Gehalts deuten, werden ergänzt durch zwei Arbeiten, die sich mit (neo-)konservativer Praxis und Theorie auseinandersetzen. Eine von Buhbe/v.Lüde vorgelegte wirtschaftspolitische Analyse US-amerikanischer und bundesrepublikanischer Angebotspolitik versucht, deren theoretische Hintergründe und praktische Folgen zu ermitteln. Die Folgerungen dieser Autoren exemplifizieren die Ergebnisse von Franks Kritik der Chicago-Doktrin (an Hand des Buches von Lepage "Kapitalismus von morgen"): Ein liberales Programm, das das Freiheitspostulat verabsolutiert, wird illiberal und in Folge unsozial. Eine Theorie, die die Norm für Natur ausgibt, begründet damit letztlich, daß es ein Recht auf Umweltverschmutzung gibt ebenso wie ein Recht auf Arbeitslosigkeit. Wem auch gesellschaftliche Zustände Natur sind, feiert die Zuteilung von Rechten darauf als liberalen Sieg. Dennoch, der politische Siegeszug des Neokonservativismus muß nachdenklich stimmen. Er signalisiert die Schwäche einer ökonomischen Theorie, deren Vertreter es offenbar nicht vermochten, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Argumenten zu überzeugen. Die Analysen von Frank und Buhbe/v.Lüde machen erneut deutlich, auf wie schwachen Füßen beispielsweise eine Sozialpolitik (ganz zu schweigen von einer Umweltpolitik) steht, wie wenig sie theoretisch abgesichert ist. Sie fiel mit dem Wahlsieg einer Person.
Aktualisiert: 2018-11-08
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Ökonomie und Gesellschaft / Die Gewerkschaft in der ökonomischen Theorie

Ökonomie und Gesellschaft / Die Gewerkschaft in der ökonomischen Theorie von Gerlach,  Knut, Gijsel,  Peter de, Glombowski,  Jörg, Haslinger,  Franz, Kalmbach,  Peter, Nutzinger,  Hans G, Riese,  Hajo, Rothschild,  Kurt W, Schmid-Schönbein,  Thomas, Schneider,  Johannes, Vogt,  Winfried, Wagener,  Hans-Jürgen, Weise,  Peter, Wittmann,  Ulrich
Inhalt John T. Addison: On Modeling Union Behavior Wilhelm Althammer: Gewerkschaften als Informationsagentur Filip Abraham: Union and the Government: What does Economic Theory (Not) Tell Us? Roland Eisen und Klaus Schrüfer: Institutionelle Restriktionen für Gewerkschaften: Lohnhöhe und Beschäftigung Lutz Bellmann: Gewerkschaften und Arbeitsmarktrigiditäten Claus Schnabel: Die gewerkschaftliche Mitgliederentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland - eine ökonometrische Untersuchung Kornelius Kraft: Gewerkschaften, Löhne und Produktivität Wolfgang Meyer: Der gewerkschaftliche Einfluß auf die Geldlohndynamik Jürgen Wahl: Mikroökonomische Gewerkschaftstheorie und tarifliche Arbeitszeitverkürzung Editorial Das 1941 von Sumner H. Slichter veröffentlichte Werk "Union Policies and Industrial Management" beginnt mit den folgenden Sätzen: "Collective bargaining, as carried on by labor unions with employers, has two principal aspects. In the first place, it is a method of price-making - making the price of labor. In the second place, it is a method of introducing civil rights into industry, that is of requiring that management be conducted by rule than by arbitrary decision. In the latter aspect, collective bargaining becomes a method of building up a system of 'industrial jurisprudence'." Slichter beschäftigt sich dann auf knapp 600 Seiten ausschließlich und in Fallstudien mit dem zweiten Aspekt des Collective Bargaining und kommt zu dem Ergebnis, "that in important respects trade union shop rules and policies may contribute to more efficient management". Diese im Großen und Ganzen positive, weil mit Effizienzgewinnen und mit nicht nur ökonomischen Gewinnen für eine demokratische Gesellschaft verbundene Beurteilung der Gewerkschaften, findet sich noch etwa 25 Jahre später in dem Beitrag "Gewerkschaften - Theorie", den Götz Briefs im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften publizierte. Er betont dort u.a., es sei der Ruhmestitel der Gewerkschaften, dazu beigetragen zu haben, aus den Labouring Poor des Beginns der Industrialisierung "den gleichberechtigten, mitverantwortlichen und respektierten Arbeiter von heute gemacht zu haben. Sie haben mitgeholfen, dem arbeitenden Menschen den Status der Person zu geben". Diese positive Beurteilung der Gewerkschaften ist von der ökonomischen Theorie nie ganz geteilt worden. Aus ökonomischer Sicht werden Gewerkschaften bislang in erster Linie als monopolistische Anbieter von Arbeit begriffen, die gesamtwirtschaftlich zu statischen Effizienzverlusten führen. Für die ökonomische Gewerkschaftsforschung gilt allerdings, wie Henry S. Farber in seinem Überblicksartikel im Handbook of Labor Economics betont: "While the union will obviously be concerned with a wide range of employment related issues, virtually all economic research on the behavior of unions has focused on the determination of wages and employment." In dem Monopolmodell der Gewerkschaft, das auf Dunlop zurückgeht, wird dabei davon ausgegangen, daß in der gewerkschaftlichen Nutzenfunktion Reallohn und Beschäftigung der Gewerkschaftsmitglieder berücksichtigt werden. Die Gewerkschaft handelt unter der Nebenbedingung der Nachfragefunktion nach Arbeit, d.h. des inversen Zusammenhangs zwischen Lohnhöhe und Beschäftigungsniveau. Nur der Lohnsatz wird ausgehandelt. Die Unternehmung entscheidet über die gewinnmaximale Beschäftigung. Der aus der Perspektive der Gewerkschaft optimale Lohn liegt dort, wo die marginale Grenzrate der gewerkschaftlichen Indifferenzkurve zwischen Beschäftigung und Löhnen gleich der Steigung der Arbeitsnachfragekurve ist. Das Monopolmodell sieht sich dem zentralen Einwand ausgesetzt, daß es nicht begründet, warum es für Gewerkschaften und Unternehmen vorteilhaft ist, nur über den Lohnsatz zu verhandeln und die Festlegung der Beschäftigung bei gegebenem Lohnsatz der Unternehmung zu überlassen. Wie das effiziente Verhandlungsmodell von McDonald und Solow jedoch zeigt, können sich sowohl Gewerkschaften als auch Unternehmen besser stellen, wenn sie simultan über Beschäftigung und Lohnsatz verhandeln. Auch wenn das effiziente Verhandlungsmodell aus theoretischer Sicht befriedigender ist als das Monopolmodell, bleibt das Problem bestehen, daß in der Realität die Entlohnung üblicherweise Gegenstand von Tarifverhandlungen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften ist, über die Beschäftigung aber ganz überwiegend von den Firmen entschieden wird. Theoretisch bleibt zu begründen, warum sich in der Realität die effiziente Verhandlungslösung bislang in den meisten westlichen Ländern nicht durchgesetzt hat. Daß dieses Problem bislang im Rahmen der ökonomischen Gewerkschaftstheorie nicht befriedigend gelöst worden ist, dürfte in hohem Maße damit zusammenhängen, daß in dieser Theorie den Gewerkschaften als eine bestimmte Organisationsform ökonomischer Interessen bislang nur in unzureichenden Maße Rechnung getragen wurde. Die institutionelle Seite der Gewerkschaften ist von jeher eher durch die Industrial Relations Forschung als durch die ökonomische Gewerkschaftsforschung betont worden, die sich bislang schwer damit getan hat, die Existenz und Funktion von Gewerkschaften als eine bestimmte Organisationsforrn ökonomischer Interessen im Rahmen einer Theorie der Wettbewerbsmärkte zu begründen. Eine interessante Verbindung zwischen der ökonomischen Gewerkschaftsforschung und der Industrial Relations Forschung ist allerdings in den letzten Jahren durch die Arbeiten von Freeman und Medoff über die "Two Faces of Unionism" hergestellt worden. Danach haben Ökonomen zwar die Monopoleffekte gewerkschaftlicher Lohnsetzung immer und zu Recht betont, ihrer Analyse aber sind die ökonomischen Effekte der zwischen Gewerkschaften und Firmen ausgehandelten Regeln und Verhaltensgrundsätze entgangen. Die Quelle der Inspiration war Hirschman, dessen Buch "Exit, Voice, and Loyalty" die Rolle der Partizipation an Entscheidungen in Organisationen (Voice) als eine Alternative zur Mobilität (Exit) diskutiert. Eine Entscheidungspartizipation setzt häufig kollektives Verhandeln (z.B. Gewerkschaften) voraus, da wesentliche Aspekte der Arbeitswelt die Eigenschaften von öffentlichen Gütern haben und individuelle Arbeitskräfte ihre wahren Präferenzen aus Furcht vor Entlassungen häufig nicht äußern. Wenn die von Gewerkschaften ausgehandelten Regeln die negativ bewerteten Eigenschaften der Beschäftigungsverhältnisse schneller und besser korrigieren als das durch Mobilität möglich wäre, müßten freiwillige Kündigungen zurückgehen und die Dauer der Betriebszugehörigkeit zunehmen. Damit wären auch bestimmte Kosten für das Unternehmen rückläufig, besonders solche, die mit der betriebsinternen Bildung von Humankapital verbunden sind. Gefragt worden ist natürlich, weshalb das Management erst durch gewerkschaftliche Organisation und kollektives Erheben der Stimme zu effizientem Handeln veranlaßt wird. Freeman und Medoff appellieren hier an Vorwissen und Erfahrung: "The reader who believes that the industrial relations and personnel policies of management can affect the outcome of the economic system will find our results more believable than the reader who believes that all enterprises are always operating with perfect information in a way that makes profits as large as possible." Die stärkere Berücksichtigung institutioneller Aspekte im Rahmen der ökonomischen Analyse dürfte der einzig erfolgversprechende Weg sein, um zu einer befriedigenden ökonomischen Theorie der Gewerkschaft zu kommen, weil nur auf diesem Wege dem empirischen Faktum Rechnung getragen werden kann, daß sich historisch ganz unterschiedliche Organisationsformen der Gewerkschaften in den westlichen Ländern herausgebildet haben. Die Existenz solch unterschiedlicher Organisationsformen verbietet es, umstandslos ökonomische Analysen der Gewerkschaften in bestimmten Ländern, die in der Regel implizit oder explizit auf ganz bestimmten institutionellen Regelungen der Gewerkschaften beruhen, auf andere Länder zu übertragen. So belegt ein auch nur kurzer Blick auf die ökonomische Gewerkschaftsanalyse die Prädominanz insbesondere der amerikanischen Beiträge. Dies ist deswegen nicht unproblematisch, weil häufig Modelle, die für amerikanische Gewerkschaften entwickelt wurden, auf europäische und deutsche übertragen werden, ohne ihre andersartige Geschichte, institutionelle Struktur und ihre spezifischen Zielsetzungen in Rechnung zu stellen. Mit fast schon heroischem Mut zur Vereinfachung können die folgenden gemeinsamen Merkmale europäischer Gewerkschaften benannt und mit der amerikanischen Situation verglichen werden. Die europäischen Gewerkschaften profitieren von einer umfassenden Anwendung der Kollektivverträge, weil auch die Arbeitgeberverbände über einen hohen Organisationsgrad verfügen. In vielen europäischen Ländern existiert darüber hinaus die Möglichkeit, Kollektivverträge über die vertragsabschließenden Parteien hinaus auf legislativem oder exekutivern Weg als verbindlich zu erklären. Dies mag erklären helfen, weshalb Fragen des gewerkschaftlichen Lohndifferentials nicht die entscheidende Bedeutung zukommt, die sie in den USA faktisch und in der wissenschaftlichen Literatur einnehmen. Europäische Gewerkschaften sind häufig als Industriegewerkschaften zentralisiert, und schließen Kollektivverträge für Branchen ab. Ihre betriebliche Präsenz ist weniger ausgeprägt als die ihrer amerikanischen Partnerorganisationen, sie ist zum Teil durch Betriebsrätegesetze eingeschränkt. Allerdings ist in den letzten Jahren das Bemühen europäischer Gewerkschaften, eine festere Verankerung in den Betrieben zu erreichen und an kollektiven Verhandlungsprozessen auf betrieblicher Ebene direkt oder indirekt über die Betriebsräte zu partizipieren, unverkennbar. Europäische Gewerkschaften sind im Vergleich mit den amerikanischen Institutionen politisch im Sinne einer engen Verbindung mit einer politischen Partei. Rudimentäre Anklänge einer kapitalismuskritischen Einstellung sind weiterhin auszumachen, jedenfalls haben sie nur selten jene ungebrochene marktwirtschaftsfreundliche, prokapitalistische Haltung entwickelt, die häufig von amerikanischen Gewerkschaften vertreten wird. Darüber hinaus genießen die Gewerkschaften in Europa eine größere gesellschaftliche Akzeptanz als in den USA, was dazu beitragen mag, ihnen einen wirtschafts- und sozialpolitisch weiteren Horizont zu eröffnen. Die holzschnittartigen Kontraste sollen verdeutlichen, daß eine Übertragung von Ergebnissen der neueren amerikanischen Gewerkschaftstheorie auf europäische und speziell deutsche Gewerkschaften vieler Modifikationen bedarf. Auf einen viel kommentierten empirischen Befund sei in diesem Zusammenhang zusätzlich hingewiesen. In den USA wird der Rückgang des Organisationsgrades in den letzten Jahren häufig als eine Krise der Gewerkschaften interpretiert. Allerdings ist die Mitgliederentwicklung der amerikanischen Gewerkschaften auch nicht einheitlich, einer Abnahme im privaten Sektor der Wirtschaft steht eine Zunahme im öffentlichen Sektor gegenüber. Für die deutschen Gewerkschaften läßt sich hingegen feststellen, daß ihre Mitgliederzahlen von den ökonomischen Krisen der 70ger und 80ger Jahre nur wenig beeinflußt wurden. So drängt sich hier die Frage auf, ob die USA die deutsche und eventuell die europäische Entwicklung nur vorwegnehmen oder ob sich die Entwicklungspfade der Gewerkschaften getrennt haben. Die in diesem Band veröffentlichten Beiträge decken wesentliche Bereiche der ökonomischen Gewerkschaftsforschung ab. In dem längeren Überblicksartikel von Addison wird die neuere theoretische und empirische Literatur dargestellt. Behandelt werden verschiedene Zielfunktionen, das Monopolmodell sowie das "Efficient Bargaining, Model" einschließlich der vorliegenden empirischen Studien, die Modellierung der gewerkschaftlichen Mitgliedschaft und die Probleme einer Darstellung der Gewerkschaften als demokratische Institutionen. Althammer untersucht die für die meisten Ökonomen zentrale Frage nach den Funktionen, die Gewerkschaften in einem marktwirtschaftlichen System übernehmen. Seine Antwort läuft darauf hinaus, daß Gewerkschaften hauptsächlich Informationsdienstleistungen für Arbeitnehmer erbringen, die dazu beitragen, Informationsasymmetrien zwischen den beiden Arbeitsmarktseiten zu verringern oder abzubauen. In dem Beitrag von Abraham wird eine Annahme der traditionellen makroökonomischen Theorie, daß Regierungen zumindest für eine gewisse Zeitspanne unabhängig sind, aufgegeben. Gewerkschaften und die Regierung kooperieren in einer Phase, bedrohen und bestrafen sich in der nächsten und sind um ihre Reputation besorgt. Der Autor arbeitet heraus, daß sich die Präferenzen der Gewerkschaften und Regierung für Beschäftigung und Reallöhne unterscheiden können und daß Strategien einer nachfrageseitigen Akkomodation oder Nicht-Akkomodation Auswirkungen auf Arbeitslosigkeit und Lohninflation haben. Eisen und Schrüfer zeigen, daß sich die Arbeitsumverteilung als Bestandteil eines effizienten Vertrages auffassen läßt und folglich Gewerkschaften und Arbeitgeber über Löhne und Arbeitszeiten verhandeln müssen. Im Gegensatz zu der von vielen Ökonomen und Politikern vertretenen Auffassung, daß von den Gewerkschaften verursachte Rigiditäten am Arbeitsmarkt Unterbeschäftigung verursachen, läßt Bellmanns Analyse von Effizienzlohnmodellen das gewerkschaftliche Handeln in einem günstigeren Licht erscheinen. Unter bestimmten Bedingungen können Arbeitsmarktrigiditäten durchaus effizienzsteigernd wirken. Schnabel schätzt Modelle der gewerkschaftlichen Mitgliederentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Das von ihm präferierte Modell kann im Beobachtungszeitraum 1955-1986 die jährliche prozentuale Veränderung der Mitgliederzahlen hinreichend gut erklären und vorhersagen. In dem Beitrag von Kraft wird für die Bundesrepublik Deutschland der Zusammenhang zwischen Gewerkschaften, Löhnen und Produktivität analysiert. Der Verfasser gelangt mit Hilfe verschiedener empirischer Überprüfungen zu dem Ergebnis, daß sich die von der Voice-Theorie behauptete produktivitätssteigernde Wirkung von Gewerkschaften nicht nachweisen läßt und daß die Fixierung der Beschäftigung recht gut mit dem Kontraktmodell erklärt werden kann. Meyer untersucht die Steigerungsraten der Ecklöhne, die sich aus den im Metalltarifbezirk Nordwürttemberg-Nordbaden in den Jahren 1962-1987 abgeschlossenen Lohntarifverträgen ergeben. Er zeigt, daß diese durch die Faktoren Arbeitsmarktanspannung, erwartete Inflationsrate, verzögerte Wachstumsdifferenz, gewerkschaftliches Mitgliederwachstum sowie einem auf das Jahr 1970 bezogenen Sondereinfluß bestimmt werden. In dem abschließenden Beitrag von Wahl werden tarifpolitische Strategien vor dem Hintergrund der gewerkschaftlichen Zielfunktion diskutiert. Betrachtet man die Maximierung der gewerkschaftlichen Beitragseinnahmen als ein wesentliches Argument der Zielfunktion, dann läßt sich nachweisen, daß in Zeiten einer Unterbeschäftigung Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung zur budgetmaximierenden Strategie der Gewerkschaften werden können.
Aktualisiert: 2018-11-08
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