„Allersorgfältigste Ueberlegung“
Nord- und mitteldeutsche Singspiele in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
Adrian Kuhl
Singspiele aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelten heute oft undifferenziert
als ästhetisch belanglose Trivialkunst. »Allersorgfältigste Ueberlegung«, wie sie Johann Friedrich Reichardt in ihnen verwirklicht sah, vermutet man heute dagegen nicht – Wolfgang Amadeus Mozarts Genrebeiträge einmal ausgenommen. Dabei sollte bereits die Dominanz des Singspiels in der damaligen Theaterpraxis, eine schichtübergreifende Rezeption und theoretische Reflexion der Werke bei den Zeitgenossen an der heutigen Pauschalklassifi zierung zweifeln lassen.
In der vorliegenden Studie steht daher die Untersuchung von nord- und mitteldeutschen Libretti und Vertonungen hinsichtlich ihrer künstlerischen Faktur
im Zentrum. Ausführliche Text- und Musikanalysen zeichnen dabei vor dem
Hintergrund des jeweiligen Entstehungskontextes und der zeitgenössischen
Erwartungshaltung an musiktheatrale Gestaltung ein völlig anderes Bild des
heute fast vergessenen Repertoires: Differenzierte Figurengestaltung, planvoll
motivierter Gesang und genau kalkulierte Handlungsvertonung widerlegen die
tradierte Meinung vom ästhetisch anspruchslosen Singspiel.