Anna hat zwei Tage
Vom Mutterglück und anderen Umständen · Erzählungen
Karin Ivancsics
Der Abend begann ruhig und romantisch, wir waren in das Haus eines Freundes auf der Anhöhe des Hügels, der zum Meer abfällt, eingeladen, mit Blick auf das erleuchtete Nizza. Das Wasser war zu ahnen, zu riechen, tief unten, dunkel und geduldig die grellen Farben der Stadt und die langsam beginnenden Feuerwerksexplosionen aufnehmend und reflektierend. Es wurde hervorragend gekocht, gegessen und getrunken. Ich fühlte mich wohl. Irgendjemand hatte dann kurz vor Mitternacht die Idee, schwimmen zu gehen, um dieses Ereignis eben ganz besonders zu feiern, sozusagen als Taufe, als kraftvollen Einstieg ins nächste Jahrtausend, nur kurz, das war klar, das Wasser war kalt, und wer keine Lust dazu hätte, könnte auch vom Strand aus zusehen.
Du warst blau, als ich dich das erste Mal zu Gesicht bekam. Du erschienst mir im Zug, als ich kurz eingenickt war auf der langen Fahrt von Wien nach Nizza, um dort den Millenniums-Silvester mit meinem neuen Geliebten und seinen französischen Freunden zu feiern. Ich erschrak zunächst, weil du so nah und klar umrissen wie nie zuvor mir zulächeltest.
Ich hatte dich schon früher in meinen Träumen gehabt, aber da war immer ich es, die dich rief, und ich hatte vage Antworten empfangen, die ich zu deuten versuchte. Nun zeichnetest du mir erstmals ein Gesicht zu meinen Wünschen, Erwartungen und Fragen.