AusReise
Gottlob nannten sie das Dorf meiner Kindheit
Frieda Hermann
Rumänien 1970er-Jahre. Die stalinistische Diktatur Nicolae Ceaușescus befindet sich auf ihrem Höhepunkt. Das Land und seine Bewohner werden zunehmend von Repressalien, Entbehrung und Mangelwirtschaft beherrscht, jede Hoffnung auf Veränderung im Keim erstickt.
Der einzige Ausweg aus der Misere scheint der Ausreiseantrag der Familie. Doch damit beginnen die Diffamierungen erst: Bespitzelung, Denunziation, Exmatrikulation und Verhöre durch die Securitate werden die täglichen Begleiter der Protagonistin. Es beginnt eine schmerzhafte Suche, die auch im Ankunftsland ein Gefühl der Entfremdung zurücklässt und sich zu einem Irrweg zwischen den Kulturen, politischen Systemen und Mentalitäten entwickelt – „wie von Stiefmutterland zu Stiefmutterland.“
Mit sprachlicher Virtuosität entwirft die Autorin ein eindringliches Zeugnis einer Individualbiografie vor dem Hintergrund historischer Prozesse und gesellschaftspolitischer Ereignisse, dessen fragmentarischer Charakter den Leser mit ungeheurer Intensität trifft.
Sogar der metaphorische Spieluhr-Engel der Kindheit – beklemmend identifikatorischer Hoffnungsträger – kapituliert angesichts der Unwegsamkeiten, um am Ende doch Zuversicht zu offenbaren.
„Das Geheimnis der Unterschiede. Das abgewetzte alte Land. Das strahlend neue Land. Gute alte Zeiten. Jähe neue Zeiten. Ostwunden lecken. Westwunder schmecken. Im ständigen Vergleich. Verschleiß der Bedeutungen.“