Bewußtsein und Bewußtseinsstörungen
Ein II. Beitrag zur Strafrechtsreform
Wolfgang de Boor
Erfahrungen und Einsichten aus zwei Jahrzehnten gerichtsärztlicher Sachverstän digentätigkeit veranlassen mich, einen II. Beitrag zur Strafrechtsreform zu veröffent lichen. Die Entwürfe für das neue Strafgesetzbuch (E 1960 wie E 1962) lassen erkennen, daß einige der in unserem I. Beitrag zur Strafrechtsreform (1959) publizierten An regungen verständnisvoll aufgenommen wurden. Die §§ 24 und 25 E 1962 sind nun mehr stärker als in den früheren Fassungen am medizinischen Krankheitsbegriff orien tiert. In § 24 E 1962 sind die lediglich auf angeborenen oder erworbenen ,Abartig keiten‘ beruhenden seelischen Störungen des § 23 Entwurf 1958, Bezeichnungen, die weitgehend den ,abnormen Persönlichkeiten‘ des klinischen Sprachgebrauches entspre chen, nicht mehr enthalten. Ziel dieses II. Beitrages ist es, die Vertreter des Strafrechtes für den auf den Er fahrungen der ärztlichen, besonders der psychiatrischen Wissenschaft beruhenden medizinischen Krankheitsbegriff zu gewinnen, der überzeugender als der normative Krankheitsbegriff des Juristen eine tragfähige Grundlage für richterliches Werten und Urteilen bilden kann. 1 Bei der Darstellung des forensischen Materials wurde eine dialektische Methode benutzt: die Gegenüberstellung von forensischen Fällen, in denen die Frage der ,Schuld fähigkeit‘ nach einem medizinisch orientierten Krankheitsbegriff beantwortet wurde und andere Fälle, deren Entscheidung vorwiegend auf den Ergebnissen psychologischer oder rein normativer Methoden beruhte.