Bittersegen
Erzählung
Senta Baumgartner
Mit jedem Schritt fällt etwas ab. Ein wenig leichter. Viele Schritte sind es. Vom kalten dunklen Bahnhof in die neue Welt. Ungefähr ahnt sie den Weg ins Zentrum. Sie kommt von weit her, obwohl nur eine Stunde Bahnfahrt hinter ihr liegt. Sie entscheidet, den Geleisen der Tramway zu folgen.
Sie müssen wohl an einem Ort von Wichtigkeit enden. Sie geht. Ihre derben Gesichtszüge, ihre hagere Gestalt, ihr grobes Kleid mit den viel zu kurzen Ärmeln, ihr riesiger Rucksack mit den Stockflecken. Dennoch fühlt sie sich richtig hier. Sie weiß es, da ist sie richtig. Da könnte es so etwas wie Zukunft für sie geben. (Rosa)
Am schlimmsten sind nicht die durchwachten Nächte. Nicht die Abgründe seiner kurzen Träume. Am schlimmsten ist das morgendliche Auftauchen in das Nichts. Das absolute Nichts. Viel Erinnerung. Hier aber nichts. Und was weiter sein soll? Keine Aussicht. Auf nichts. Die Kälte der morgendlichen Stube durchbohrt ihn richtiggehend. Die Milch gefroren zwischen den Fenstern. Kalt. Geräusche einer drohenden Explosion dringen aus dem gusseisernen Ofen. So ähnlich auch das Gefühl in seinem Kopf. Reduziert. Auf diesen Raum. Auf sich selbst. (Johann)
Die Erzählung stellt stark verdichtetet die Schicksale zweier Menschen, die den politischen, gesellschaftlichen und sozialen Erschütterungen und Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der österreichischen Provinz ausgeliefert sind, in den Mittelpunkt: Rosa und Johann. In ländlicher Armut und gesellschaftlicher Randständigkeit lebend, schaffen sie es, ihren erdrückenden Schicksalen zumindest Wendungen zu geben, versuchen sie Ausbrüche mit unterschiedlichen Ausgängen.