Dank meines Vaters wurde die Schleuse nicht gesprengt
Ein Sudetendeutscher aus Aussig/Elbe erinnert sich an Kindheit- und Jugend in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Eine späte Würdigung.
Josef Ullrich
Josef Ullrich geboren 1938 in Aussig an der Elbe, heute Usti nad Labem (Tschechien) kommt aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie. Seinen Vater hatten die Tschechen 1945 auf Grund seiner Nazigegnerschaft als Antifaschisten anerkannt. Dadurch war die Familie nach den Beneš-Dekreten von der unmittelbaren Vertreibung ausgenommen. Mit Leopold Pölzl, dem Aussiger Bürgermeister, war er von den sudetendeutschen Nazis in der ehem. Malzfabrik 1938 inhaftiert worden. Das Lager wurde nach 8 Wochen von der Deutschen Wehrmacht aufgelöst. Mein Vater war zuvor aus politischen Gründen bei den Schicht-Werken fristlos entlassen worden. Als Werkzeugmacher bekam er aber gleich wieder Arbeit. Die Schicht-Werke sollten ein nationalsozialistischer Musterbetrieb werden, frei von Roten. 1944 bildete sich eine Widerstandsgruppe, die die geplante Sprengung der Elbe-Staustufe durch die Wehrmacht verhinderte. Mein Vater war Abschnittsleiter. Einiges von den Besprechungen, die in unserer Wohnung stattfanden, bekam ich mit. Täglich wurden die deutschsprachigen Sendungen der BBC gehört, was ja strengstens verboten war. Der Kriegsverlauf war ein ständiges Thema bei Familientreffen. Aussig wurde von der Roten Armee kampflos eingenommen. Sogleich wollten die Schreckensteiner Sozialdemokraten an den demokratischen Wiederaufbau der alten Gemeindeverwaltung zusammen mit den tschechischen Genossen von früher gehen, doch die wollten nicht mehr. Im Sommer 1945 geschah das Massaker an der deutschen Bevölkerung, dem mein Vater nur knapp entkam. Eine späte Würdigung der Widerstandsgruppe erfolgte 2022 in der Ausstellung „Unser Deutschen – Naše Němci“ im Historischen Museum von Ústí nad Labem.
1948 siedelten wir mit dem letzten Antifatransport nach Hessen aus. Es war Vertreibung und Flucht zugleich, da die Amerikaner damals keine Übersiedler mehr aufnahmen.
Ich hatte also das Glück, wie ich später merkte, in einer nicht üblichen deutschen Familie aufzuwachsen.