Das kreative Chaos bei Thomas Mann und Hans Henny Jahnn
Ein Vergleich von "Doktor Faustus" und "Fluss ohne Ufer"
Birgit Schillinger
Zwei deutsche Autoren schreiben gleichzeitig einen Roman. Tausende Kilometer liegen zwischen ihnen, sie haben keinen Kontakt zueinander – und wählen doch überraschend ähnliche Motive. Während des Zweiten Weltkrieges entstehen „Doktor Faustus“ von Thomas Mann in Kalifornien und „Fluß ohne Ufer“ von Hans Henny Jahnn in Dänemark. Beide Romane erzählen die Biographie eines fiktiven Komponisten, der moderne Musik, Mathematik und Männer liebt … und Tieren, Tod und Teufel verfallen ist. Ist das Zufall? Wenn es nicht Zufall ist, was ist es dann? In beiden Romanen ist das Wechselspiel von Chaos, Kreativität und Ordnung zugange. Ob auf inhaltlicher, sprachlicher oder reflektorischer Ebene – immer steht Struktur mit ihrer Auflösung in spannungsreichem Verhältnis. Ideen der modernen Chaostheorie wie Unvorhersagbarkeit, Selbstähnlichkeit, Unschärferelation und Fuzzy-Logik dienen hier als Erkenntnismittel. Damit können alte Fragen neu gestellt werden: – Was ist der Unterschied zwischen Zufall und Wahrscheinlichkeit? – Können Zahlen Ordnung stiften? – Sind Wiederholungen Schicksal? – In welchem Kontrast stehen Jahnns Philosophie des Plötzlichen und Manns Fuzzy-Logik? – Warum ist Kunst mit Kopfweh und Kapitalverbrechen verbunden?