Das topographische Ich
Zur räumlichen Dimension der Autobiographie in Goethes »Dichtung und Wahrheit«
Stephan Berghaus
Wie erzählen Menschen über ihr Leben und wie geben sie der Erzählung ihrer Biographie Bedeutung? Traditionellerweise hat die Autobiographieforschung dies mit dem Verweis auf die zeitliche Strukturierung der erlebten Ereignisse beantwortet. Die Autobiographie wurde so als chronologisch-linear angelegte Erzählform definiert. Hier setzt die vorliegende Studie an. Sie rückt die bislang kaum beachtete räumliche Dimension autobiographischer Texte ins Zentrum. Autobiographische Räume und Orte erscheinen unter dieser Perspektive als Schnittstellen von Individuum und Kultur. Sie sind zwar immer schon kulturell vorgeprägt, werden in der autobiographischen Narration jedoch stets aufs Neue konstruiert und modifiziert. Welche Bedeutungen und Funktionen besitzen vor diesem Hintergrund konkrete Orte wie Elternhaus, Garten oder Gasthöfe, aber auch Reisewege und Landschaften für die jeweilige Narration und das autobiographische Ich? Nachgegangen wird diesen Fragen exemplarisch anhand des Textes, der die deutschsprachige Autobiographie der Moderne als Genre etabliert: Goethes ,Dichtung und Wahrheit’.