Das Urphänomen des Lebens
Martin Sihle
Nachdruck des Originals von 1935: Für den synthetisch denkenden Arzt ist nicht Hochmut, sondern ehrfürchtige Demut vor den Mysterien des Lebens der Leitstern. Der Tadel ist immer billig, und der Hochmütige lächelt und belächelt leicht. Falls er aber in seiner Potentialschicht das, war wir Gewissen nennen, zur Verfügung hat, wird er, bei aufmerksamem Durchdenken der in der vorliegenden Schrift berührten Probleme, eine Realisation seiner Potentiale erleben, bei deren Bewußtwerden — so hoffe ich — ihm jegliches Lächeln vergehen wird. Es gibt merkwürdigerweise noch immer eine Anzahl von Forschern, auch unter den Klinikern, die alles, was über die physiko-chemische Basis hinüberstrebt, auf den naturwissenschaftlichen Schutthaufen zu werfen geneigt sind. Diese Forscher, speziell die ärztlichen Forscher unter ihnen, vergessen, daß sie, wenn sie dem Kranken von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, zwischen Naturwissenschaft und Weltanschauung gestellt sind, daß sie sich mit einem Teil, und zwar nur mit einem Teil ihrer Aufgabe im Physikalischen, mit dem anderen Teil dagegen im Metaphysikalischen befinden. Es scheinen bisher noch nicht alle begriffen zu haben, daß zur Gesamtwissenschaft nicht nur Physik, sondern auch Metaphysik gehört.