Der anthroposophe Wagner
Rudolf Steiner über Richard Wagner
Udo Bermbach
Richard Wagners Wirkungen gehen oft verblüffende Wege. Dass er auf Musiker erheblichen Einfluss hatte, mag wenig erstaunen, wie auch seine Wirkung auf die Literatur ihre Erklärung finden kann in ungewohntem Gebrauch der Alliteration und Neuerfindung von Wörtern in seinen musikdramatischen Texten. Wenig erklärungsbedürftig ist auch sein weltanschaulicher-politischer Einfluss, den er mit seinen engsten Freunden von Bayreuth aus auf die allgemeine gesellschaftlich-politische Entwicklung Deutschlands nahm, um seine eigenen kulturmissionarischen Ideen durchzusetzen. Schon erstaunlicher war seine starke Wirkung auf verschiedene Strömungen der Lebensreform, deren Vertreter sich in ihren Grundintentionen vielfach auf ihn beriefen. Und noch erstaunlicher und bisher nahezu unbekannt ist die Tatsache, dass Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, in ihm einen Geistesverwandten sah, der in seinen musikdramatischen Werken Grundideen der Anthroposophie vorwegnahm, vor allem im Tristan und im Parsifal. So überrascht es nicht, dass Steiner im Jahre 1905 insgesamt 6 Vorträge in Berlin, Köln und Wien zu Wagner und seinem Werk hielt, mit denen er den Komponisten in den Kosmos seines eigenen Denkens einordnete. Diese Vorträge haben in der Wagner-Literatur bisher keine Aufmerksamkeit gefunden, vermutlich deshalb, weil diese Adaptionen im allgemeinen Wagner-Diskurs kaum anschlussfähig sind. Gleichwohl sind sie ein bedeutendes Dokument der Wirkung Wagners auf außermusikalische Bereiche. Das hier vorgelegte Buch macht erstmals den Versuch, sie einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.