Der Baudekor des zweiten Jahrtausends v. Chr. in Mesopotamien
Formen - Motive - Perzeption
Martin Gruber
Die vorliegende Abhandlung widmet sich den archäologischen Belegen für Baudekor im Mesopotamien des zweiten Jahrtausends v. Chr. und versucht unter Berücksichtigung verschiedener zeitgenössischer Quellen die unterschiedlichen Aspekte dieser architektonischen Ausdrucksform zu beleuchten.
Im Vordergrund stehen Sakralbauten, da die Fülle an Belegen sie als den bevorzugten und nicht selten einzigen Träger der hier behandelten Formen des Baudekors ausweist. Der plastische Baudekor an den Außen- und Hoffassaden altorientalischer Tempel ist neben ihrer monumentalen Bauweise einer der unmittelbarsten architektonischen Formalismen, mit deren Hilfe der sakrale Raum bildkräftig von der übrigen Stadtbebauung abgegrenzt wird. Die ostentative Morphologie sakraler Baukörper unterstreicht die architektonische Distinktion zwischen „Tempeln“, „Wohnhäusern“ oder „Palästen“, die im altorientalischen Sprachverständnis deutlich unschärfer zu Tage tritt. Darüber hinaus bilden die oft über Jahrhunderte gepflegten Sakralbauten innerhalb des wechselhaften urbanen Umfelds eine wichtige architektonische Konstante und stehen in dieser Hinsicht den zumeist kurzlebigeren Palast- und Profanbauten entgegen.
Die sakrale Architektur wird dadurch zu einem bedeutenden und vor allem dauerhaften Bezugspunkt für die räumliche Orientierung der Stadtbewohner und ist daher nicht nur als leblose, räumliche Kulisse der Gesellschaft zu verstehen, sondern als eigenständiges, aktives und lenkendes System, dessen Kommunikationspotential selbst nach Jahrtausenden nicht erloschen ist.