Der Gedankensinn bei Rudolf Steiner.
Eine diskursive Betrachtung aus phänomenologischer, neurobiologischer und sinnesorganologischer Perspektive.
Martin Dr. Dr. Peveling
Zusammenfassung
Einleitung: Rudolf Steiner stellte von 1909 bis 1921 seine zuletzt 12 Sinne umfassende
Lehre der menschlichen Sinnesorganisation vor. Die zentrale Forschungsfrage dieser
Untersuchung lautet: Wie ist Steiners Konzept der Gedankenwahrnehmung einschließlich
der postulierten Sinnesorganisation zu verstehen, und wie verhält es sich zu den
einschlägigen Ergebnissen der phänomenologischen, perzeptions- und
kognitionswissenschaftlichen, neurobiologischen sowie sinnesorganologischen Forschung?
Methode: Die in der Rudolf Steiner Gesamtausgabe auffindbaren Aussagen Steiners zum
Gedankensinn werden zu 13 Kernaussagen zusammengefasst und mit den in einer
Literaturrecherche gewonnenen empirischen Erkenntnissen der untersuchten
Wissenschaftsbereiche in Beziehung gesetzt und diskutiert. Ergebnisse: Die Aussagen
Steiners hinsichtlich der der Gedankenwahrnehmung vorgängigen Sprachwahrnehmung
zugrunde liegenden Abläufe (wie heteromodale, sinnesübergreifende Wahrnehmung oder
multimodale, einschließlich zeitliche Integration) können gestützt werden, des Weiteren auch
seine Ansicht, Sprachwahrnehmung als Sinnesprozess sei eine das Hören, Vernehmen von
Worten und Erfassen von Gedanken umfassende Dreifachtätigkeit. In der Untersuchung wurden in einem nächsten Schritt umfassend weitere empirische Befunde aus der philosophischen Phänomenologie, Steiners Konzept der ganzheitlichen Leib-Seele-Interaktion, der Perzeptions- und Kognitionsforschung sowie der Neurobiologie und der
Embodiment-Forschung untersucht und diskursiv verarbeitet. Schlussfolgerung: Unter
Berücksichtigung aller vorgestellten und in der Arbeit diskutierten Ergebnisse kann
abschließend die Hypothese aufgestellt werden, dass tatsächlich der ganze Leib („the
vegetative whole body“) als ganzer das gesuchte Sinnes- oder Resonanzorgan ist, dessen
Afferenzen und evtl. Efferenzen erforderlich sind, um im zentralen Nervensystem – dann
mutmaßlich unter Einbeziehung der Spiegelneuronen sowie weiterer zentralnervöser
Strukturen – die Perzeption von Gedanken des Anderen bewusst zu machen.