Der Mann mit dem Aktenkoffer
Kathrin Wee
Ein kühler Windstoß streichelt meine feucht-warme Haut, die Laufschritte der Jogger, die für die gelegentlichen Windstöße verantwortlich sind, erzeugen rhythmische Trab-Geräusche und erinnern mich unvermeidlich an meine Kindheit auf dem Pferdehof. Eine Frau reißt gerade noch den hellbraunen Mischlingshund an ihrer Leine aus dem Weg eines Kamikaze-Fahrradfahrers, der im Vorbeifahren laut klingelt. Während sich die Frau eine Schweißperle von der Stirn wischt, setzt der Hund unbeirrt hechelnd seinen Weg fort, Speichel tropft von seiner Zunge und mischt sich am Boden mit den Schweißperlen hinterlassen bei den verschwitzten Joggern, die den Flusspfad zur Erfüllung des täglichen Bewegungsquantums nutzen. Eine Haushaltshilfe schleppt ein unwilliges Kind in Schuluniform Richtung Schule. Ein riesiger mit Dinosauriern bedruckter Rucksack hängt schräg über ihre Schulter und zwingt sie in eine leicht gebückte Haltung. Sie sieht angestrengt aus, redet dennoch ermutigend auf den kleinen, dicklichen Buben ein. Der Bube gähnt auf. Und da bemerke ich ihn wieder. Da ist er, in seinen schwarzen Jogginghosen und dem orangen, ärmellosen Oberteil: der Mann mit dem Aktenkoffer. Mit riesigen Schritten schreitet er zielstrebig dahin. Täglich kreuzen sich unsere Wege. Egal wann und wo ich gehe, er taucht auf. Der Mann mit dem Aktenkoffer, seine unkonventionelle Erscheinung, sein Aktenkoffer erwecken eine unangenehme, dringliche Neugier und ein Gefühl der Machtlosigkeit in mir. Wo kommt er her? Wo geht er hin? Wo ist er her? Was macht er? Und vor allem, was befindet sich in seinem altmodischen Aktenkoffer? Und so begebe ich mich auf eine Schnitzeljagd nach Antworten.