Der Marxismus Antonio Gramscis
Von der Utopie zum 'kritischen Kommunismus'
Erdmute Brielmayer, Domenico Losurdo
Seit den 1960er Jahren gab es immer wieder Gramsci-Renaissancen, die auch einhergingen mit der Erschließung seiner Schriften, in erster Linie der ‚Gefängnishefte‘, die inzwischen vollständig in deutscher Übersetzung vorliegen. Darüber hinaus sind viele der von Gramsci geprägten Begriffe wie Zivilgesellschaft, Hegemonie, Stellungskrieg, passive Revolution oder organische Intellektuelle in aller Munde.
In den politischen Diskursen, insbesondere innerhalb der Linken, wird Gramsci hauptsächlich bei strategischen Fragen und Neuausrichtungen ‚konsultiert‘. Das galt insbesondere nach 1989 für die kommunistischen Parteien, das Verhältnis zu den globalisierungskritischen Bewegungen, in den 1990er Jahren für die Einschätzung der Hegemonie des Neoliberalismus und seit 2007ff. für die Zeitdiagnose einer ‚organischen Krise‘ (Gramsci).
Losurdo betrachtet Gramsci als ‚Marxisten zwischen Ost und West‘. Er spannt den Bogen von den theoretischen Einflüssen, die den jungen Gramsci prägten, über seine ‚Theorie der Revolution‘ und seine Solidarität mit den ’subalternen Klassen‘ bis hin zu Gramscis Marx-Rezeption und zentralen politischen Konzeptionen wie dem ‚Absterben des Staates‘.
‚Mit Gramsci gewinnt der historische Materialismus eine außergewöhnliche Flexibilität, die es ihm ermöglicht, die Komplexität der ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Verhältnisse sowohl der bürgerlichen Ordnung als auch der zu errichtenden ›ordine nuovo‹ zu erfassen. Gramsci hat mit seiner Distanzierung von jeder anarchistischen und mehr oder weniger apokalyptischen Auffassung der gesellschaftspolitischen Umwandlung einen Weg aufgezeigt, der noch bis zuletzt zurückgelegt werden muss: einen wirksamen Emanzipationsplan denken, der nicht beansprucht, das Ende der Geschichte zu sein.‘