Der Stern der Erlösung
U. Rosenzweig
I. Geschichtliche Voraussetzungen und Fragestellungen „Der Stern der Erlösung“ ist ein Beispiel für die Neuorientierung des Denkens in der Zeit um den ersten Weltkrieg, die Suche nach einem Weg aus der Krise der europäischen Kultur. Es ist deshalb für das Verständnis wichtig, sich die Probleme zu verdeutlichen, die Rosenzweig zu seinem neuen Denken herausgefordert haben. Dabei lassen sich drei Ebenen der Fragestellung unterscheiden, eine historische, eine philosophische und eine theologische. Die Situation für den Historiker Als Historiker hatte sich Rosenzweig mit der Frage zu befassen, ob und wie es für den in die geschichtlichen Vandlungen ver strickten Menschen allgemein gültige Wahrheit geben könne. Die Schwierigkeit, verbindliche Wahrheit in der Geschichte zu finden, war im neuzeitlichen Denken umso deutlicher geworden, je weniger von der geschichtlichen Bedingtheit aller Vorstellungen und Erkenntnisse einer Zeit abgesehen werden konnte. Das christliche Denken hatte für die Abfolge der verschiedenen . Epochen und ihr Verhältnis zur Wahrheit ein heilsgeschichtliches Schema geschaffen: wie dem Äon des „Neuen Testaments“ gegenüber dem des „Alten Testaments“ so eigne jedem neuen Weltzeit alter als einer neuen Offenbarungsstufe ein tieferes Ver hältnis zur Wahrheit als dem früheren; die Gegenwart sei jeweils überwindung der Vergangenheit. Trotz der Säkularisierung diente dieselbe Denkstruktur auch noch dem Selbstverständnis der Auf klärung, schien doch in ihr mit der Entdeckung des Menschen als eines wahrhaft freien Wesens ein absolutes Ziel erreicht, eine neue Zeit der Wahrheit, die bei allem weiteren Fortschritt nicht mehr x EINFÜHRUNG grundsätzlich überwunden werden könne.