Der wirtschaftende Mensch in der Geschichte (1923)
Richard Bräu, Lujo Brentano, Hans G Nutzinger
Die 11 Aufsätze und Reden, die der Münchner Nationalökonom, Sozialreformer und Wirtschaftspolitiker Lujo Brentano (1844-1931) zu einem Ganzen zusammenfasste, erschien erstmals 1923 im Leipziger Verlag von Felix Meiner. Sprachlich und stilistisch ansprechend liefert der Band ein reichhaltiges Wissen über wirtschaftsgeschichtliche Zusammenhänge und gibt zugleich einen tiefen Einblick in das Wissenschaftsverständnis des Autors von Nationalökonomie auf historischer und empirisch-analytischer Grundlage.
Was verbindet die einzelnen Teile des Bandes? Was macht ihn zu einem Ganzen? Mit Brentanos Worten gesagt, ist es „das Streben nach einer mit den Tatsachen des Lebens übereinstimmenden Lehre vom Wirtschaftsleben.“ Eine bis heute nicht veraltete Aufgabe! Unter dem Eindruck der gegenwärtigen Veränderungen des Kapitalismus und der damit verbundenen Herausforderungen kann das „alte“ Brentano-Buch wiederum die Erfahrung bestätigen: „Jedes Zeitalter bekommt neue Augen“ beim Lesen alter gehaltvoller Werke (Heinrich Heine).
Dabei bietet jeder einzelne Text auf seine Weise Erkenntnisgewinn, so die Rektoratsrede zu Beginn des 20. Jahrhunderts, über „Ethik und Volkswirtschaft in der Geschichte“ mit der unverzichtbaren Warnung, beim Verkünden der „Lehre vom Seinsollenden“ vorher die „Tatsachen des Seienden“ objektiv zu erforschen und diese im Handeln nicht zu vernachlässigen. Hervorgehoben sei auch der Text „Die Anfänge des modernen Kapitalismus“ und die damit im Zusammenhang stehenden Exkurse „Über Begriff und Wandlungen der Wirtschaftseinheit“, „Handel und Kapitalismus“, „Puritanismus und Kapitalismus“ sowie „Judentum und Kapitalismus“. Hier stellen sich beim Lesen wie von selbst Assoziationen zur Gegenwart und Zukunft des Kapitalismus ein. Aufschlussreich ist auch die Auseinandersetzung mit Werner Sombart und Max Weber. Brentano entwickelt dabei eine zu Max Weber teils komplementäre, teils auch von ihm divergierende Sicht der Entstehung des Kapitalismus