Die Freigeld- und Freilandtheorie von Silvio Gesell (1862-1930)
Eine rezeptionsgeschichtliche Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung von John Maynard Keynes
Curt Philipp Lorber
In der ersten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts war neben vielen anderen vor allem der deutsch-argentinische Ökonom Silvio Jean Gesell (1862-1930) bemüht, einen «dritten Weg» abseits der Standardökonomie zu finden. Er entwickelte die Theorie der Freiwirtschaft, die er in seinem Hauptwerk Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld (1916) veröffentlichte. Gesells besonderer Beitrag zur Theorie des Geldes und des Zinses ist, dass er deutlich unterscheidet zwischen dem Zins und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Ferner beschreibt er, dass der Besitz an Geld nur unbedeutende Durchhaltekosten verursacht, wohingegen Vorräte von Waren mit weit höheren Durchhaltekosten belastet sind. Die Anhänger Gesells haben schon früh auf Parallelen zu Keynes Liquiditätstheorie hingewiesen und darauf, dass in der The General Theory of Employment, Interest and Money (1936) neben der «klassischen» Idee, dass der Zinssatz primär durch die Zentralbank bestimmt ist, eine Zinstheorie entworfen wird, in der durch die «Entscheidung zu horten» der Zinssatz zum Preis für eine aufgegebene Liquidität wird. Darüberhinaus ist Keynes’ positive Würdigung der Person Gesells und seiner Reformvorschläge so gut wie unbekannt.