Die indirekte Prozessprüfung als Nachweismethode der hygienischen Unbedenklichkeit von Bioabfallkompost
Werner Bidlingmaier, Martin Kranert, Jürgen Martens
Kompostierung und kein Ende? Seit 1975 sind in deutscher Sprache über 70 Dissertationen zu diesem Thema angefertigt worden. Es gibt allein in der BRD je nach Zählweise mehr als 900 Anlagen in Betrieb, wo liegt da noch Forschungsbedarf? Es gibt ihn! Wir betreiben heute Anlagen, deren Dimensionierung auf einer empirisch festgelegten Rottezeit beruht, ohne z.B. die Raumbelastung mit organischer Substanz zu berücksichtigen. Wir betreiben heute Anlagen ohne weitgehende Prozesszusammenhänge zu kennen, die eine nachhaltige Steuerung auf bestimmte Ziele hin erlauben würden. Und wir betreiben heute Anlagen, ohne am Prozessende sicher sein zu können, dass wir das gewünschte Produkt erhalten haben.
Dass Kompostierung dennoch so erfolgreich betrieben wird ist sicher der Robustheit des Prozesses zu verdanken. Doch reicht dies? Ohne auf ökonomische Optimierungen einzugehen muss diese Frage verneint werden. Die Gesetzgebung bezüglich der Hygienisierung von Abfällen, die als Kompost später in die Biosphäre eingebracht werden, ist mittlerweile so umfassend, dass deren Erfüllung eines der wesentlichen Steuerungsziele der Kompostierung sein muss. Damit stellt sich sofort die Frage wie ist dies zu überprüfen und wie zu gewährleisten?
Hierzu hat Herr Dr. Martens mit der vorliegenden Arbeit einen wichtigen Beitrag geleistet, wichtig für den Betreiber, da er seine Anlage einordnen und sein Verhalten neu gestalten kann, wichtig für die Gütesicherung, da sie Schwachstellen beseitigen und das Sicherungssystem nachhaltig verbessern kann und wichtig für die Gesellschaft, da zur Justikabilität von Gesetzen ein wesentlicher Schritt getan wurde.
Diese Arbeit befasst sich mit den Fragen, wie effizient kann Hygienisierung über die Prozesstemperatur angezeigt werden, gibt es für gleiche technische Anlagen gleiche Temperaturprofile und welche Regelschemata lassen sich ableiten. In großer Breite der technischen Optionen und enormer Tiefe der Betrachtung geht der Autor dieser Frage nach und trifft über den wissenschaftlichen Ansatz hinaus wichtige Aussagen für den, der mit dem täglichen Betrieb von Kompostierungsanlagen befasst ist.
Diese Arbeit ist ein wesentlicher Schritt hin zu mehr Sicherheit im Betrieb sowie zur Überwachung von Kompostanlagen und der Qualität von Komposten.
Prof. Dr.-Ing. habil. W. Bidlingmaier, Bauhaus-Universität Weimar
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung 1
2 Problem- und Zielstellung 5
3 Kenntnisstand 9
3.1 Wärmeproduktion 14
3.1.1 Substratcharakterisierung 15
3.1.1.1 Energiepotenzial 15
3.1.1.2 Abbaubarkeit 16
3.1.1.3 Nährstoffgehalt und Nährstoffverhältnis 17
3.1.1.4 pH-Wert 18
3.1.1.5 Struktur des Rottekörpers 19
3.1.2 Mikrobiologie und Selbsterhitzungsprozess 20
3.1.3 Prozesskinetische Faktoren der Wärmeproduktion 22
3.1.3.1 Wasserversorgung 23
3.1.3.2 Sauerstoffversorgung 23
3.1.3.3 Rottesteuerung 24
3.1.4 Wärmehaushalt des Haufwerkes 25
3.1.5 Rottetemperatur 26
3.1.5.1 Zeitlicher Verlauf 26
3.1.5.2 Räumliche Verteilung 30
3.2 Hygienische Unbedenklichkeit 34
3.2.1 Physiologie der Inaktivierung 34
3.2.2 Thermische Inaktivierung 35
3.2.2.1 Wärmeenergieübertrag 35
3.2.2.2 Thermoresistenz 37
3.2.2.3 Subletale Schädigung und Reaktivierung 39
3.2.3 Hygienisierungsleistung der Kompostierung 40
3.2.4 Wiederbesiedlung durch Pathogene 47
3.2.5 Antiphytopathogenes Potential 47
3.3 Qualitätssicherung 48
3.3.1 Stand der Kompostierung 48
3.3.2 Regelungsansätze 51
3.3.3 Qualitätssicherung der Hygienisierungsleistung 53
3.3.3.1 Anlagenzulassung 56
3.3.3.2 Direkte Prozessprüfung 57
3.3.3.3 Indirekte Prozessprüfung 57
3.3.3.4 Endproduktprüfung 59
4 Material und Methoden 63
4.1 Hygienebaumusterprüfsystem 65
4.2 Daten 66
4.3 Methoden 69
4.3.1 Konzept 69
4.3.2 Datenaufbereitung 70
4.3.3 Beschreibende Statistik 71
4.3.4 Normalverteilung 71
4.3.5 Beurteilende Statistik 72
4.3.6 Gruppierung 73
4.3.6.1 Beurteilung der Gruppierungsgüte 74
4.3.6.2 Voruntersuchung 75
4.3.7 Qualitätsregelkarten 77
4.3.7.1 Prozessbeherrschung 78
4.3.7.2 Prozessfähigkeit 78
5 Ergebnisse 81
5.1 Rohdaten 83
5.1.1 Datenaufbereitung 83
5.1.2 Beschreibung der Rohdaten 85
5.1.2.1 Lage 85
5.1.2.2 Streuung 102
5.1.2.3 Indikatoren für gemischte Normalverteilung 105
5.2 Gruppierung 108
5.2.1 Bewertung der Gruppierungslösungen 108
5.2.2 Normalverteilung 111
5.2.3 Streuungsparameter 112
5.2.3.1 Standardabweichung 112
5.2.3.2 Varianz 113
5.2.3.3 Spannweite 114
5.2.3.4 Variabilitätskoeffizient 115
5.2.4 Verteilungsform 116
5.2.4.1 Schiefe 116
5.2.4.2 Exzess 116
5.2.5 Anteil mehrerer Modalwerte 117
5.2.6 Zusammenfassung 117
5.3 Kurvengrundformen 118
5.3.1 Bestimmung 118
5.3.2 Verteilung 120
5.3.3 Abweichungen vom Normalverlauf 121
5.4 Kurvenkomponenten 125
5.4.1 Zerlegung der Teilgruppenkurven 125
5.4.2 Klassifizierung der Kurvenkomponenten 128
5.4.3 Normalverteilung 129
5.4.4 Zeitliche Länge der Kurvenkomponenten 130
5.4.5 Vergleich der Steigungen 131
5.4.6 Vergleich der Standardabweichungen 133
5.4.7 Korrelationen 135
5.5 Gleichheit der Temperaturverläufe 138
5.5.1 Anlagen- und BM-Ebene 138
5.5.1.1 BM “HerHof-Boxenkompostierung” (I.1) 138
5.5.1.2 BM “Biodegma-Containerkompostierung” (I.2) 139
5.5.1.3 BM “Gicom-Tunnel” (III.1) 140
5.5.1.4 BM “Sutco/Biofix/Zeilenkompostierung” (III.5) 140
5.5.1.5 BM “Horstmann WTT–Tunnel” (III.6) 141
5.5.1.6 BM “Eingehauste Miete, Horstmann Kompo–Plus” (V.1) 141
5.5.1.7 BM “Eingehauste Miete, Thyssen Dynacomp” (V.4) 143
5.5.1.8 BM “Eingehauste Miete, Stratmann” (V.5) 144
5.5.1.9 BM “Offene unbelüftete Miete mit Umsetzen” (VI.2) 144
5.5.1.10 BM “Offene belüftete Tafelmiete mit Umsetzen” (VI.5) 144
5.5.1.11 BM “Überdachte Dreiecksmiete mit Umsetzen” (VI.8) 145
5.5.2 Baumusterebene 146
5.5.2.1 BM-Kategorie “Boxen- und Containerkompostierung” (I) 146
5.5.2.2 BM-Kategorie “Tunnel- und Zeilenkompostierung” (III) 146
5.5.2.3 BM-Kategorie “Eingehauste Miete” (V) 147
5.5.2.4 BM-Kategorie “Offene und überdachte Mieten” (VI) 148
5.5.3 Baumusterkategorieebene 149
5.5.4 Zusammenfassende Bewertung 155
5.6 Lage- und Streuungsvergleich mit Referenzanlagen 157
5.7 Hygienisierungsgrad 163
5.7.1 Referenzanlagen 164
5.7.2 Untersuchte Anlagen 165
5.7.3 Vergleich der Gesamt-Hygienisierungsgrade aller Anlagen 166
5.8 Eignung zur Gestaltung von Qualitätsregelkarten 173
5.8.1 Prozessbeherrschung 173
5.8.2 Prozessfähigkeit 174
5.8.3 Zusammenfassende Bewertung 176
5.9 Schwankungsbereich aus Hauptkurvenkomponenten 176
5.9.1 Anlagenschwankungsbereiche 177
5.9.2 BM-Schwankungsbereiche 178
5.9.3 Umfang des hygienischen Risikobereiches 184
5.10 BGK/HBPS – Umfrage 186
5.10.1 Anlageninput und Kapazitäten 186
5.10.2 Messung von Prozessdaten 186
5.10.3 Prozesssteuerung 189
5.10.4 Vermarktung 190
6 Diskussion und Ausblick 193
6.1 Untersuchungskonzept 195
6.2 Prozesscharakteristik 196
6.2.1 Kennwerte 196
6.2.2 Kurvengrundformen 199
6.2.3 Baumusterspezifische Prozessverläufe 200
6.2.4 Prozessstabilität 201
6.3 Hygienisierung 202
6.3.1 Dokumentation 203
6.3.2 Lage- und Streuungsvergleich mit HBPS-Referenzanlagen 204
6.3.3 Hygienisierungsgrad 205
6.3.4 Hygienischer Risikobereich und Prozessoptimierung 206
6.4 Ausblick 208
7 Zusammenfassung 211
8 Literatur 217
Der Anhang auf CD-Rom ist auf Anforderung erhältlich beim:
Lehrstuhl Abfallwirtschaft
Fakultät Bauingenieurwesen
Bauhaus Universität Weimar
Coudraystr. 7
99423 Weimar
Diese Arbeit befasst sich mit der indirekten Prozessprüfung als Nachweismethode der hygienischen Unbedenklichkeit von Bioabfallkompost. Dazu werden Rottetemperaturmessungen aus der indirekten Prozessprüfung von Anlagen verschiedener Baumuster über längere Zeiträume ausgewertet.
Das Ziel der Arbeit ist es, die Annahme der baumusterspezifischen und reproduzierbaren Rottetemperaturverläufe anhand von Rottetemperaturprotokollen aus dem Normalbetrieb von Kompostanlagen des HBPS zu überprüfen. Aus der statistischen Auswertung der Rottetemperaturprotokolle sollen Erkenntnisse zur Charakteristik von Rotteprozessen abgeleitet und die Eignung der Temperaturverläufe für ein Hygiene-Qualitätssicherungskonzept untersucht werden.
Einführung
Seit mehreren Jahren ist die getrennte Bioabfallsammlung und -behandlung in
Deutschland das abfallwirtschaftliche Regelverfahren für die Verwertung organischer Siedlungsabfälle.
In der letzten Erhebung der Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V. (BGK) sind insgesamt 810 Kompostierungsanlagen und 75 Vergärungsanlagen (nur größere Anlagen aufgeführt, die zusammen über eine Verarbeitungskapazität von zwölf Mio. Mg/a Bioabfall verfügen. Davon werden 9,6 zwölf Mio. Mg/a in Kompostierungsanlagen und 2,4 Mio. Mg/a in Vergärungsanlagen verarbeitet. In der BGK sind 53 % der Kompostierungsanlagen mit 67 % der Verarbeitungskapazität sowie 22 % der Vergärungsanlagen mit 50 % der Verarbeitungskapazität organisiert. Schätzungen sprechen von ca. 3.000 Arbeitsplätzen im Bereich der biologischen Abfallbehandlung.
Im Hygienebaumuster-Prüfsystem (HBPS) der Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V. (BGK) sind gegenwärtig 429 Kompostierungsanlagen und 17 Vergärungsanlagen aufgeführt und unterliegen der RAL-Gütesicherung.
Eine Reihe von EU-Mitgliedsstaaten wie Schweden, Italien, die Benelux-Länder,
Deutschland oder Schweden hat das Konzept der getrennten Bioabfallsammlung und -kompostierung bereits umgesetzt, der Entwurf einer EU-Richtlinie zur biologischen Behandlung von Bioabfall ist in der Abstimmung.
Die Gewährleistung der hygienischen Unbedenklichkeit des Produktes Kompost ist einer der Schwerpunkte der Qualitätssicherung. Die hygienische Unbedenklichkeit wird im normalen Anlagenbetrieb durch indirekte Prozesskontrolle und Endproduktkontrolle sichergestellt. Die indirekte Prozesskontrolle umfasst die Dokumentation der Rottetemperatur und weiterer betrieblicher Daten sowie den Nachweis, dass die Rottetemperatur den gesetzlichen Vorgaben der BioabfV entspricht.
Bis 2001 hat die BGK mit der Konformitätsprüfung auf der Grundlage von bau- und verfahrenstechnischen Anlagenmerkmalen und dem stichprobenartigen Vergleich von Rottetemperaturverläufen die Anerkennung der hygienischen Leistungsfähigkeit von Kompostierungsanlagen durchgeführt. Die Konformitätsprüfung baute auf der Annahme auf, dass in Anlagen mit den gleichen bau- und verfahrenstechnischen Merkmalen die gleichen Rottetemperaturverläufe stattfinden. Eine wissenschaftliche Überprüfung dieses Sachverhaltes hat bisher nicht stattgefunden.