Die MISSA (1984-87) von Dieter Schnebel
Das Experiment einer Versöhnung
Magdalena Zorn
Der Komponist und Theologe Dieter Schnebel gehörte zu Beginn der 1950er Jahre einem Kreis europäischer Komponisten an, die sich entschieden von der musikalischen Vergangenheit lossagten. Entgegen der Maxime einer traditionsfernen Musik, die den Geist der Darmstädter Schule prägte, gab Schnebel seiner Liebe zur europäischen Musikgeschichte in den 1970er Jahren jedoch zunehmend nach. Im Zuge des Werkzyklus Tradition (1975-2011) schuf er eine Vielzahl an Kompositionen, die aufgrund ihrer Konstruktion als avantgardistische Traditionsstücke faszinierend ambivalente Gehalte offenbaren. Seine ökumenisch ausgerichtete, lateinische Messe, die MISSA für Soli, Chor und Orchester (1984-1987), spiegelt den Versuch wider, neue Musik „in Richtung Tradition“ transparent zu machen. Ihr dialektisches Programm verschränkt avantgardistische Fortschrittslogik und theologische Rückbesinnung auf Traditionelles. Ihr musikalisch-serielles Konzept vereint eine Vielfalt an historischen Kompositionstechniken und offenbart Anklänge an die gesamte Tradition der geistlichen Musik, von den Messen Guillaume de Machauts bis hin zu Karlheinz Stockhausens Gesang der Jünglinge. Mit der vorliegenden Publikation erscheint die erste Monographie über die MISSA, die der Einführung in zentrale Aspekte ihres musikalischen und theologischen Gehalts dient.