Die religionsgeschichtlichen Grundlagen von Homers ,Ilias’
Andreas Brüschweiler
Ein prägendes Merkmal unserer Zeit ist die Säkularisierung, und dementsprechend stellt das Verständnis und die Auslegung von antiken Werken mit religiösen Inhalten eine besondere Herausforderung dar, denn der Interpret kommt nicht umhin, sich auch mit dem Weltbild des antiken Autors (und insbesondere mit dessen religiösen Grundansichten) auseinanderzusetzen, will er den vollen Gehalt des Werkes ausschöpfen. Die herrschende Lehre vertritt die Ansicht, die homerischen Epen seien (auch soweit sie explizit von jenseitigen, unsterblichen Persönlichkeiten handeln, welche auf die irdischen Geschehnisse Einfl uss nehmen) nicht als religiöse Texte, sondern als reine Erzählungen aufzufassen. Diese Sichtweise mag zwar bei der Interpretation von Homers Werken insofern zweckmäßig erscheinen, als sie dem modernen, säkularisierten Menschen die heikle Auseinandersetzung mit religiösen Inhalten a priori erspart, doch es wird damit – beinahe unmerklich und verdeckt – dem hohen geistigen Gehalt von Homers Werk Abbruch getan, denn eine reine Erzählung steht geistig betrachtet nicht auf derselben Stufe wie ein historisches Epos, das in einen religiösen Kontext eingebettet ist. Das vorliegende Werk widmet sich der Untersuchung des religiösen Kontextes von Homers Werk und bietet dem Leser eine alternative, mögliche Sichtweise bei der Interpretation der Ilias.