Ein römischer Kapellmeister im 17. Jahrhundert: Antonio Maria Abbatini (ca. 1600-1679) von Andrae,  Anne Karin

Ein römischer Kapellmeister im 17. Jahrhundert: Antonio Maria Abbatini (ca. 1600-1679)

Studien zu Leben und Werk

Antonio Maria Abbatini, ein heute fast vergessener oder nur dem Namen nach erinnerter Musiker, war zu seinen Lebzeiten in Rom zweifellos ein bekannter Mann – er leitete die Kapellen der großen Basiliken Roms – und erfreute sich, auch nach seinem Tode noch, eines bedeutenden Rufes: sein Zeitgenosse Athanasius Kircher nannte ihn einen „celeberrimus symphoneta“, in der Generation seiner Schüler bezeichneten ihn Angelo Berardi als „dottissimo Teorico“ und Arcangelo Spagna als „famoso Contrapuntista“, und Johann Mattheson schließlich erwähnt ihn in dem Artikel über J. Ph. Krieger in der „Ehrenpforte“ als „der arbeitsame Antonio Maria Abbatini“. In dem handschriftlichen Werk Alessandro Certinis über „Uomini Illustri in Lettere Di Città di Castello“ wird Abbatinials“ Eccelentissimo nella professione della musica“, in den „Memorie ecclesiastiche e Civili di Città di Castello“ von Giovanni Muzi als hervorragender Kontrapunktiker und als Kapellmeister der ersten Basiliken Roms für erwähnenswert gehalten.

Giuseppe Ottavio Pitoni unternahm es als erster, Leben, Wirken und Werk Abbatinis zu beschreiben, und legte damit den Grundstein, auf dem alle späteren Artikel in Nachschlagewerken, Bibliographien und Gesamtdarstellungen aufbauen. Giuseppe Baini fügte den Notizen Pitonis eigene Forschungsergebnisse – Abbatinis (von Baini vermutete) Lehrzeit bei Giovanni Maria Nanino und Palestrina, seine Anstellung an S. Giovanni in Laterano und an S. Maria Maggiore sowie die Revision der Hymnen Palestrinas unter Papst Urban VIII. betreffend – hinzu, und vermutlich lag dieses Werk Bainis sowohl F. J. Fétis als Robert Eitner, als auch Giovanni Tebaldini vor, als sie die entsprechenden Beiträge für ihre Quellenwerke verfaßten. Seit Pitoni und Baini geistern zwei Irrtümer durch sämtliche musikhistorischen Aussagen über Abbatini: das Geburtsjahr 1595-97 und die Annahme, Abbatini sei Schüler der beiden Nanino gewesen. Den einen Irrtum versuchte Lorenzo Bianconi zu berichtigen, der die „Autobiographie“ Abbatinis fand und daraus das Geburtsjahr 16l0 entnahm. Auch die Artikel „Abbatini“ in neueren Nachschlagewerken stützen sich im wesentlichen auf Baini, berücksichtigen aber auch die Forschungsergebnisse aus Spezialuntersuchungen zum Thema Barockoper.

Eine umfassende Monographie des Komponisten liegt bisher nicht vor. F. Coradini veröffentlichte 1922 Dokumente aus den Archiven in Città di Castello, die sowohl das Leben – Taufe, Hochzeit – als auch die Tätigkeit Abbatinis in dieser Stadt betreffen. Abbatinis Wirken an den römischen Kirchen Il Gesù, S. Maria Maggiore und S. Luigi dei Francesi wird in Monographien über deren Kapellen mehr oder weniger ausführlich dargestellt und die betreffenden Dokumente werden teilweise veröffentlicht, während Abbatinis Tätigkeit an diesen Kapellen in Hinblick auf seine Mitgliedschaft in der Accademia di S. Cecilia, der Berufsgenossenschaft der Musiker Roms, im Rahmen einer Monographie dieser Vereinigung beleuchtet wird.

Obwohl Abbatini in erster Linie Kirchenmusiker war, ist über seine geistliche Musik kaum etwas zu lesen: selbst in Gesamtdarstellungen der Epoche wird Abbatini gewöhnlich als Opernkomponist behandelt; lediglich August W. Ambros würdigt ihn als „polychorischen Komponisten“ und „Hauptvertreter des polychoren Stils in Rom“ – zweifellos aufgrund der Aussagen Bainis, da nur ein einziges polychorales Werk Abbatinis fragmentarisch erhalten ist.

Mit Abbatinis Oper „Dal male il bene“ – in dem grundlegenden Werk Alessandra Ademollos über Oper in Rom nur am Rande erwähnt – hat sich zum ersten Mal Hugo Goldschmidt ausführlich befaßt. In seiner Analyse des „Dramatischen“ – der musikalischen Verwirklichung des dramatischen Konzepts – kommt Goldschmidt zu dem Schluß, daß durch die „Förderung des seccorecitativischen Stils“ und durch die „Einigung der Handelnden zum Ensemble“ (Goldschmidt schreibt Abbatini die Institution des Opernfinales zu) mit dieser Komposition „Fortschritte von ungeheurer Bedeutung für die Opera buffa“ gemacht wurden. Goldschmidt veröffentlicht außer einer ausführlichen Inhaltsangabe auch Ausschnitte der Partitur. Goldschmidts Schlußfolgerungen – die Bedeutung der Oper „Dal male il bene“ für die Entwicklung des Secco-Rezitativs und des Ensemble-Finales – werden von Hermann Kretzschmar, August W. Ambros und Donald J. Grout übernommen. Anna Amalie Abert kommt in einer vergleichenden Analyse der Opern „Dal male il bene“ (Abbatini/M. Marazzoli) und „Chi soffre speri“ (V. Mazzocchi/M. Marazzoli) im wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen.

Auf die Untersuchung der Libretti Giulio Rospigliosis von Irmgard Küffel aufbauend, erstellte Margaret Murata 1975 eine Arbeit über die auf Rospigliosi-Libretti basierenden Opern, die sich auch ausführlich mit Libretto, Aufführung und musikalisch-dramatischen Teilaspekten (Rezitativ, Soloszenen) der Opern „Dal male il bene“ und „La Comica del Cielo“ befaßt. Die Aufführung der letztgenannten Oper im Rahmen der Karnevalsfestivitäten beschreibt Murata, unter Verwendung der Darstellungen Ademollos, in einem Aufsatz über den Karneval der Jahre 1667 – 1668.

Abbatinis Oper „Ione“ wurde von der Musikwissenschaft bisher stiefmütterlich behandelt; sie findet kurze Erwähnung lediglich in Egon Wellesz‘ Arbeit über die Opern am Wiener Kaiserhof.

Sind in den zitierten Arbeiten einzelne Punkte in verschiedenen Zusammenhängen angesprochen worden, so fehlt doch eine diese Teiluntersuchungen einbeziehende Gesamtdarstellung. Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist es, die Biographie Abbatinis so vollständig als möglich zu erarbeiten und Wirkungskreis und -möglichkeiten eines Kirchenmusikers in Rom im 17. Jahrhundert exemplarisch darzustellen, ferner einen Überblick über die Werke Abbatinis zu geben und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Musik in Rom zu bestimmen.

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