Einfluss von Tibial Plateau Leveling Osteotomy und Arthroskopie unter Berücksichtigung des Effektes von Nichtsteroidalen Antiphlogistika auf Gerinnungs- und Entzündungsreaktion beim adulten Hund von Weiss,  Mirjam

Einfluss von Tibial Plateau Leveling Osteotomy und Arthroskopie unter Berücksichtigung des Effektes von Nichtsteroidalen Antiphlogistika auf Gerinnungs- und Entzündungsreaktion beim adulten Hund

Hintergrund:
Bei großen orthopädischen Eingriffen kommt es in der Humanmedizin im Rahmen der Knochenpräparation und Eröffnung der Knochenmarkshöhle zur hämatogenen Abschwemmung und Manifestation von Fett, Luft und Knochenmarkspartikeln. Über eine Aktivierung der Gerinnungskaskade führt dies zu einem hyperkoagulablen Zustand, der mit einem erhöhten Thromboserisiko assoziiert ist. In der Veterinärmedizin existiert nur eine eingeschränkte Studienlage, die bei orthopädischen Eingriffen und Frakturen eine relative Hyperkoagulabilität mittels Thrombelastogramm sowie Veränderungen der plasmatischen Gerinnung mit einem Verbrauch von pro- und antikoagulatorischen Faktoren sowie erhöhten Fibrinolyseparametern beim Hund nachweisen konnten. Bei Betrachtung der Hämostase sollte immer eine Untersuchung auf eine mögliche postoperative akute-Phase-Reaktion im Rahmen des Eingriffes erfolgen, da eine Inflammation zu einer Gerinnungsaktivierung führen kann. Um das Risiko einer Thrombembolie zu vermindern ist daher auch in der Veterinärmedizin eine strenge Überwachung der Gerinnung unumgänglich. Verschiedene Gerinnungshemmer sind bereits in der Tiermedizin fest etabliert und könnten bei Bedarf als Thromboseprophylaxe nach orthopädischen Eingriffen beim Hund eingesetzt werden.
Ziel der Studie:
Das Hauptziel der Studie war die Untersuchung des Einflusses von Tibial Plateau Leveling Osteotomy (TPLO) und Arthroskopie auf Parameter der plasmatischen Gerinnung und Entzündungsreaktion. Die Hypothese der vorliegenden Studie war, dass es bei Hunden im Rahmen der Knochenpräparation zu einer Aktivierung der Gerinnungsfaktoren und gleichzeitig einem Verbrauch an natürlichen Gerinnungsinhibitoren mit daraus resultierender Thrombophilie kommt. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen somit die Frage beantworten, ob eine postoperative Thromboseprophylaxe bei einer TPLO notwendig ist. Weiterhin galt es zu untersuchen, ob und in welcher Ausprägung eine akute-Phase-Reaktion im Rahmen des Eingriffes auftritt. Da die Hunde teilweise unter analgetischer Dauermedikation mit Nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAIDs) standen, von denen ein Effekt auf das Gerinnungssystem wissenschaftlich bekannt ist, wurde in dieser Studie ebenfalls ein Einfluss auf die plasmatische Gerinnung untersucht.
Material und Methoden:
Die vom Regierungspräsidium Gießen genehmigte Studie (V 54 – 19 c 20 15 h 02 GI 18/17 kTV 12/2017) erfolgte von Dezember 2017 bis Juli 2019. Der Studie wurden insgesamt 116 Hunde inkludiert. Eingeschlossen wurden Hunde, die zur TPLO und Arthroskopie vorstellig wurden und eine bzw. keine Vorbehandlung mit NSAIDs aufwiesen. Es wurde ein Mindestkörpergewicht von 18 kg Körpergewicht sowie ein Alter von über 12 Monaten vorausgesetzt. Hunde, die trächtig waren, weitere Medikamente (außer NSAIDs) erhielten oder bei denen eine Grunderkrankung mit Beeinflussung der Gerinnung vorlag, wurden exkludiert. Es erfolgte eine Unterteilung der Hunde in fünf Gruppen. Als Kontrollgruppe (KG, n = 25) dienten Hunde mit Anästhesie, aber ohne OP. Die übrigen Hunde wurden den Gruppen TPLO ohne NSAIDs (TON, n = 24), TPLO mit NSAIDs (TMN, n = 22), Arthroskopie ohne NSAIDs (AON, n = 26), Arthroskopie mit NSAIDs (AMN, n = 19) zugeordnet.
Die Blutprobenentnahme erfolgte bei allen Gruppen unmittelbar vor der Narkose (ZP-1) und am Ende der Narkose (ZP-2) sowie bei den Hunden mit TPLO (TON, TMN) 24 Stunden postoperativ (ZP-3), so dass ein Kurzzeiteffekt sowie ein Langzeiteffekt (24 Stunden Effekt) untersucht wurde.
Die untersuchten Gerinnungsparameter umfassten prokoagulatorische Parameter wie Faktor VIII (FVIII), die Gerinnungszeiten PT und aPTT, die natürlichen Antikoagulanzien Antithrombin (AT) und Protein C (ProtC) sowie als Parameter der Fibrinolyse D-Dimere (Ddim). Die Messung der Gerinnungsparameter erfolgte mittels STA Compact® Analyzer (Stago Germany, Düsseldorf, Deutschland). Die hämatologische Untersuchung erfolgte mit dem ADVIA 120/2120 (Siemes Healthcare GmbH, Erlangen, Deutschland) und umfasste die automatisierte Zellzählung der Leukozyten, neutrophilen Granulozyten (Neutrophile), Lymphozyten sowie des Hämatokritwerts (Hkt) und die Thrombozytenzahl. Als Entzündungsmarker erfolgte die Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP) am automatischen Analysegerätes Pentra C400 (Fa. ABX Horiba, Montpellier, Frankreich) sowie des Fibrinogens (FIB) mittels STA Compact® Analyzer (Stago Germany, Düsseldorf, Deutschland). Aus den Ergebnissen für FIB und CRP wurde manuell die Fibrinogen/CRP Ratio (FIB/CRP Ratio) errechnet.
Die statistische Auswertung erfolgte mittels Softwareprogramm GraphPad Prism® 6 (GraphPad Software, La Jolla, Kalifornien, USA). Zur Vermeidung eines Fehlers 1. Art (alpha-Fehler) wurden prospektiv 6 Hauptparameter der Entzündung (Leukozyten, Neutrophile, Lymphozyten, CRP, FIB, FIB/CRP Ratio) sowie Hauptparameter der plasmatischen Gerinnung (FVIII, AT, ProtC, Ddim) ausgewählt. Für die Hauptparameter erfolgte eine Überprüfung der Normalverteilung mittels Shapiro-Wilk Test sowie eine zweifaktorielle Varianzanalyse (two-way ANOVA) sowie die beiden Nach-Tests Turkey-Test (Kurzzeiteffekt) und Sidak`s Mehrfachvergleichtest (Langzeiteffekt). Es erfolgte eine merkmalsbezogene Adjustierung der Fehlerwahrscheinlichkeit 1. Art nach Bonferroni-Holm. Die Nebenbefunde (Hkt, Thrombozyten, PT, aPTT) wurden deskriptiv dargestellt. Für alle durchgeführten Analysen wurde ein Signifikanzniveau von p < 0,05 festgelegt.
Ergebnisse und Schlussfolgerung:
Zu ZP-2 kam es zu geringen, aber signifikanten Veränderungen der Parameter. Es kam zu einem zeitlich signifikanten Abfall der Leukozyten (p < 0,0006) getragen durch die neutrophilen Granulozyten (p < 0,0005) sowie der Lymphozyten (p < 0,0004). Eine signifikant niedrigere mediane Leukozytenzahl zeigte sich zum ZP-2 bei der TPLO (TON, TMN) (6,4 x109/l bzw. 6,1 x109/l vs. 9,9 x109/l, p < 0,0001) und Arthroskopie (AON, AMN) (7,6 x109/l bzw. 7,6 x109/l vs. 9,9 x109/l, p < 0,01) sowie der neutrophilen Granulozyten bei TON (4,0 x109/l vs. 6,1 x109/l, p < 0,0001) und TMN (4,1 x109/l vs. 6,1 x109/l, p < 0,01) im Vergleich zur Kontrollgruppe (KG). Es konnte eine signifikant niedrigere Leukozytenzahl bei TON (8,0 x 109/l vs. 9,8 x109/l, p < 0,05) im Vergleich zu KG zum ZP-1 und TON (6,4 x109/l vs. 7,6 x109/l, p < 0,05) und AON zum ZP-2 detektiert werden. Weiterhin zeigten sich eine signifikant niedrigere mediane Lymphozytenzahl bei der TPLO (TON, TMN) (1,7 x109/l bzw. 1,6 x109/l vs. 2,6 x109/l, p < 0,0001) und AON (2,1 x109/l vs. 2,6 x109/l, p < 0,05) im Vergleich zu KG zum ZP-1. Zum ZP-2 konnte eine signifikant niedrigere Lymphozytenzahl von den Tieren mit TPLO (TON, TMN) (1,4 x109/l bzw. 1,4 x109/l vs. 2,4 x109/l, p < 0,0001) und Arthroskopie (AON, AMN) (1,8 x109/l bzw. 1,9 x109/l vs. 2,4 x109/l, p < 0,01) im Vergleich zu KG aufgezeigt werden.
Das CRP (p = 0,85) sowie die FIB/CRP Ratio (p = 0,18) blieben zum ZP-2 in allen Gruppen unbeeinflusst, wogegegen das FIB (p < 0,0003) einen signifikanten Abfall zum ZP-2 innerhalb aller Gruppen zeigte.
Zum ZP-2 kam es zu einem Verbrauch von prokoagulatorischen Faktoren FVIII (p < 0,0003) sowie der natürlichen Gerinnungsinhibitoren AT (p < 0,0004), ProtC (p = 0,0004) sowie einem Anstieg von Ddim (p = 0,038). TON wies zum ZP-2 eine niedrigere AT Aktivität im Vergleich zu KG auf (119% vs. 128%, p < 0,05).
Die Verabreichung von NSAIDs hatte keinen signifikanten Effekt auf die plasmatische Gerinnung.
Weiterhin kam es zum ZP-2 zu einem Abfall des Hkt und der Thrombozyten innerhalb aller Gruppen. Die PT zeigte zum ZP-2 eine leichte Verlängerung innerhalb aller Gruppen, während die aPTT unbeeinflusst blieb.
Im Langzeiteffekt zeigten sich Veränderungen, die auf eine postoperative akute-Phase-Reaktion zum ZP-3 hindeuten. In beiden Gruppen TON und TMN stellte sich ein hochsignifikanter Anstieg der medianen Leukozytenzahl (von 6,4 x109/l bzw. 6,1 x109/l auf 15,4 x109/l bzw. 15,7 x109/l , p < 0,0006) getragen durch neutrophile Granulozyten (von 4,1 x109/l bzw. 4,1 x109/l auf 13,2 x109/l bzw. 13,5 x109/l, p < 0,0005) sowie ein Absinken der medianen Lymphozytenzahl (von 1,4 x109/l bzw. 1,4 x109/l auf 1,3 x109/l bzw. 1,3 x109/l, p < 0,0004) in beiden Gruppen (TON, TMN) dar. Des Weiteren wurde eine Erhöhung der akuten-Phase-Proteine CRP (von 2,7 mg/l bzw. 1,6 mg/l auf 67,8 mg/l bzw. 70,1 mg/l, p < 0,0001) und FIB (von 1,7 g/l bzw. 1,6 g/l auf 3,1 g/l bzw. 2,8 g/l, p < 0,0003) sowie eine Erniedrigung der FIB/CRP Ratio (von 552 bzw. 1059 auf 42 bzw. 47, p < 0,0002) in beiden Gruppen (TON, TMN) belegt.
FVIII (von 79% bzw. 90% auf 84% bzw. 94%, p = 0,0004) sowie AT (von 119% bzw. 123% auf 130% bzw. 127%, p < 0,0004) zeigten einen erneuten Anstieg zu ZP-3, während es zu einem weiteren Verbrauch von ProtC (von 87% bzw. 92% auf 81% bzw. 89%, p < 0,0003) in beiden Gruppen (TON, TMN) kam. Ddim blieben zum ZP-3 für beide Gruppen (TON, TMN) unbeeinflusst (von 0,2 µg/ml bzw. 0,1 µg/ml auf 0,1 µg/ml bzw. 0,1 µg/ml, p = 0,29).
NSAIDs hatten auch zum ZP-3 keinen Einfluss auf Parameter der plasmatischen Gerinnung.
Zum ZP-3 stieg sowohl der Hkt als auch die Thrombozytenzahl erneut in beiden TPLO Gruppen (TON, TMN) an. Die PT sank geringgradig ab, während die aPTT keine Veränderung zeigte.
Fazit:
Innerhalb der Studie kam es zum ZP-2 zu einem Verbrauch von Leukozyten, neutrophilen Granulozyten und Lymphozyten. Weiterhin konnte neben auf Hämodilution zurückzuführende Veränderungen, ein intraoperativer Verbrauch von pro- sowie antikoagulatorischen Gerinnungsfaktoren aufgezeigt werden. Insgesamt waren die Befunde jedoch von marginaler Ausprägung, so dass letztlich weder im Rahmen von TPLO noch von Arthroskopie eine übermäßige Gerinnungsaktivierung nachgewiesen werden konnte. Es konnte keine klinisch relevante Hyperkoagulabilität durch die Knochenpräparation detektiert werden, so dass eine postoperative Thromboseprophylaxe bei Hunden nach orthopädischen Eingriffen nicht notwendig ist.
Postoperativ konnte eine Entzündungsreaktion mit einem Anstieg der akute-Phase-Proteine nachgewiesen werden. In diesem Zusammenhang war auch ein geringgradiger Verbrauch des ProtC detektierbar.
NSAIDs hatten in unserer Studie zu keinem Zeitpunkt einen Einfluss auf die Parameter der plasmatischen Gerinnung.
In der Humanmedizin sind insbesondere Polytraumata sowie Frakturen der Hüfte und langer Röhrenknochen mit einer gesteigerten Gerinnungsaktivierung assoziiert. Möglicherweise war die Knochenpräparation im Rahmen der TPLO zu wenig invasiv, um einen nachweisbaren Effekt auf die plasmatische Gerinnung aufzuzeigen. Ziel zukünftiger Studien könnte daher die Untersuchung des Einflusses von akut traumatischen Mehrfachfrakturen auf die sekundäre Hämostase sein.

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